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Leitartikel: Kampf um die Mitte Amerikas

Leitartikel

Kampf um die Mitte Amerikas

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    Winfried Züfle
    Winfried Züfle Foto: Wagner

    Die Mittelschicht, das Herz der amerikanischen Gesellschaft, leidet unter der am längsten andauernden Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Viele Bürger, die glaubten, dass sie es geschafft hätten und dass ihr Lebensstandard auf Dauer gesichert sei, erleben, wie ihre ökonomische Existenz wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht. Und die anderen spüren die Gefahr näher kommen.

    Die Symptome der Krise waren vielfältig. Jobs, sogar gut dotierte, gingen verloren, Kunden blieben aus und Rechnungen wurden nicht bezahlt, Immobilien erwiesen sich als unverkäuflich und die in Aktien angelegte Altersvorsorge verlor dramatisch an Wert. Das Hauptproblem aber war und ist: Es gibt keine Garantie, dass sich die ökonomische Lage in absehbarer Zeit nachhaltig bessert.

    Mittelschicht im Zentrum des Wahlkampfes

    Doch genau dies erwarten die US-Bürger von dem Präsidenten, den sie heute in einem Monat wählen werden. Daher stellen beide Bewerber, Amtsinhaber Barack Obama von den Demokraten und sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney, neuerdings die Mittelschicht ins Zentrum ihres Wahlkampfes. So versucht Obama sein Image abzustreifen, dass er vor allem die Interessen der Armen und der Minderheiten vertrete, und Romney, der Multimillionär, kämpft gegen den Ruf an, nur für die Reichen da zu sein.

    Obama hat die Krise nicht verursacht, aber vom Präsidenten wird erwartet, dass er sie überwindet. Das ist ihm lange nicht überzeugend gelungen, obwohl er mit viel Staatsgeld die Banken und die Autobranche gerettet hat. Jetzt aber ist die Arbeitslosigkeit überraschend deutlich auf 7,8 Prozent gesunken – ein großer Erfolg für den Präsidenten. Mit dieser Zahl kann er dem Eindruck entgegentreten, er habe sich zu wenig um den Aufschwung und zu sehr um die Krankenversicherung für alle gekümmert. Beiträge zu zahlen und Verantwortung an Großorganisationen abzugeben – das behagt dem typischen Amerikaner nämlich nicht.

    Romneys Rezept: Steuersenkungen

    Mitt Romney hingegen will durch Steuersenkungen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen – ein altes Rezept, das viele nicht überzeugt. Schon bei Ronald Reagan endete dieses Experiment in einer gigantischen Staatsverschuldung. Um dies zu verhindern, sollen dieses Mal gleichzeitig die Staatsausgaben drastisch gekürzt werden. Romneys Vize-Kandidat Paul Ryan hat hierfür detaillierte Pläne entwickelt. Doch wo bleibt in diesem Konzept die Mittelschicht? Romney hatte sie schon zum Teil abgeschrieben: In einem Wahlkampfauftritt vor reichen Spendern rückte er 47 Prozent der Amerikaner in die Nähe von Sozialschmarotzern. Es dauerte bis gestern, bis er sich dafür entschuldigte. Er wolle für „alle hundert Prozent“ der Amerikaner da sein, sagt Romney jetzt.

    Ob der Republikaner, der in Umfragen hinter dem Präsidenten liegt, mit der neuen Linie das Blatt zu seinen Gunsten wenden kann, ist die spannende Frage. Punkte hat er bereits beim ersten TV-Duell der Kandidaten gutgemacht, in dem er sich angriffslustig zeigte, während Obama seltsam zurückhaltend auftrat. Deutsche Zuschauer konnten sich ins Jahr 2002 zurückversetzt fühlen, als ein aggressiver Unions-Kandidat Edmund Stoiber überraschend Kanzler Gerhard Schröder zusetzte, der zu sehr versuchte, den Staatsmann zu spielen.

    TV-Duelle und Kampf um Ohio und Florida

    In den USA folgen noch zwei TV-Duelle, und der Wahlkampf wird generell an Schärfe zunehmen. Doch beide Kandidaten wissen: Ohne hohe Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft können sie nicht gewinnen. Vor allem nicht in den besonders umkämpften, stark von der Mittelschicht geprägten Staaten wie Ohio und Florida.

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