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Leitartikel: Der Fall Steinbrück

Leitartikel

Der Fall Steinbrück

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    Walter Roller
    Walter Roller

    Dem designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ist ein schwerer taktischer Fehler unterlaufen. Er hat die Debatte um seine hohen Nebeneinkünfte eine Woche lang köcheln lassen, statt umgehend mit offenen Karten zu spielen. Erst jetzt, unter massivem Druck, bequemt sich Steinbrück zu einer umfassenden Darstellung seiner einträglichen Rednertätigkeit. Der Merkel-Herausforderer will demnächst „Auftraggeber, Ort und Thema“ jedes einzelnen Vortrags nennen und mitteilen, wie viel Honorar er dafür im Durchschnitt von Banken, Beratungsunternehmen und Lobbyorganisationen kassiert hat. Er zieht die Notbremse, ehe sich die mit dem hinlänglich bekannten antiparteipolitischen Reflex aufgeladene Debatte zu einer ernsten Belastung für seine Kanzlerkandidatur auswächst.

    Steinbrücks Glaubwürdigkeit soll beschädigt werden

    Der einfache, ob seiner Sprachgewalt und Unterhaltungskunst gerühmte Abgeordnete Steinbrück war seit dem Herbst 2009 ein gefragter Redner, dessen Gagen sich gelegentlich im fünfstelligen Bereich bewegten. Experten taxieren die Einkünfte des Vortragsreisenden in dieser Zeit auf rund eine Million Euro – das Mehrfache dessen, was er als Finanzminister und Abgeordneter verdient hat. Eine Menge Geld, das – bis tief in die SPD hinein – nicht nur Neid und Missgunst hervorruft, sondern auch die Frage nach einer unstatthaften Verquickung von privaten Interessen und öffentlichem Amt provoziert.

    Die Vorwürfe von CSU, FDP und Linkspartei, die Steinbrück als Büttel des Kapitals vorzuführen versuchen, sind maßlos überzogen und dienen dem Zweck, die Glaubwürdigkeit des Kandidaten zu beschädigen. Die Empörung schwarz-gelber Politiker ist schon deshalb unehrlich, weil sich die Koalition bisher gegen eine transparentere Regelung für die Veröffentlichung von Nebeneinkünften gestemmt hat. Steinbrück hat die einschlägigen Bestimmungen eingehalten und seine Auftritte so angegeben, wie es das – völlig unzureichende – Gesetz vorschreibt. Im Übrigen steht es jedem Abgeordneten frei, nebenher Geld zu verdienen – auch viel Geld. Daran ist nichts Ehrenrühriges oder Verwerfliches – es sei denn, die hohen Gagen wären eine Art Belohnung für früher geleistete Dienste oder dienten dazu, einen Politiker für sich einzunehmen.

    Peer Steinbrück: ein angriffslustiger, kompetenter Mann

    Der Fall Steinbrück liefert diesbezüglich – noch? – keine ernsthaften Hinweise. Aber er spielt nun mal in jenem heiklen Grenzbereich, der zu Spekulationen über die mangelnde Unabhängigkeit der Politik von mächtigen Interessenvertretern einlädt. Genau darin – und nicht in der Häufigkeit der Auftritte – liegt das Problem des Kanzlerkandidaten, der als wortgewaltiger Bankenkritiker die große Bühne betreten hat und sich nun des Verdachts erwehren muss, mit der Finanzindustrie einträgliche Beziehungen unterhalten zu haben. Und so hart, wie es der Wahlkämpfer nun tut, ist Steinbrück als Bundesfinanzminister und NRW-Ministerpräsident mit den Banken ja nicht umgesprungen. Die Rettung von großen Banken auf Steuerzahlers Kosten, die Deregulierung der Finanzmärkte, die Zockerei der kollabierten WestLB – all dies hat der Finanzfachmann mit zu verantworten. Es kommt nicht von ungefähr, dass die mit dem Schröder-Verehrer und Agenda-2010-Verfechter Steinbrück fremdelnde SPD-Linke noch vor dem politischen Gegner die „Offenlegung“ der Nebeneinkünfte gefordert hat.

    Steinbrück ist ein angriffslustiger, kompetenter Mann. Er hat eine Chance gegen Angela Merkel, weil er in der Mitte Wähler hinzugewinnen kann. Aber der Kandidat tickt und denkt anders als starke Kräfte seiner Partei, weshalb sein Wahlkampf zu einem riskanten Balanceakt werden wird.

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