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Leitartikel: Das Bauernopfer Röttgen

Leitartikel

Das Bauernopfer Röttgen

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    Walter Roller
    Walter Roller

    Norbert Röttgen, der tief abgestürzte Wahlverlierer von Nordrhein-Westfalen, hat nun doch keine zweite Chance am Berliner Hofe der Kanzlerin bekommen. „Muttis Klügster“, wie der gefeuerte Bundesumweltminister bis zu seiner total verkorksten Wahlkampagne genannt wurde, ist von „Mutti“ ohne viel Federlesens abserviert worden.

    Freiwillig wollte der jahrelang als Kronprinz Merkels gehandelte Mann nicht gehen – also hat ihm die CDU-Vorsitzende kurzerhand den Stuhl vor die Tür gesetzt. Zum ersten Mal in ihrer nunmehr fast siebenjährigen Amtszeit entledigt sich Merkel eines in Ungnade gefallenen Kabinettsmitglieds auf so brachiale Weise. Da der kurze Prozess nicht zu den Spezialitäten der Kanzlerin gehört, muss bei dieser kühl exerzierten Demonstration der Macht mehr im Spiel gewesen sein als die Verärgerung über einen Spitzenkandidaten, der eine wichtige Landtagswahl vermasselt und die CDU auf blamable 26 Prozent gedrückt hat.

    Die gescheiterten Kronprinzen der Union

    Christian Wulff: Aufstieg und Fall lagen selten dichter beieinander als bei dem früheren Bundespräsidenten. Bis zu seiner Wahl zum Präsidenten im Juni 2010 galt Wulff als aussichtsreicher Kronprinz der Union. Als langjähriger niedersächsischer Ministerpräsident wurde er immer wieder für höhere Ämter gehandelt. Nur 20 Monate nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten folgte im Februar der tiefe Sturz, als Wulff nach wochenlangen Debatten um mögliche Vorteilsnahme zurücktrat.

    Karl-Theodor zu Guttenberg: Der CSU-Shootingstar war Deutschlands beliebtester Politiker und wurde als größter Hoffnungsträger der Union gehandelt. Doch dann stürzte Guttenberg über die Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit. Ende Februar 2011 erkannte die Universität Bayreuth Guttenberg den Doktortitel ab, kurz darauf trat der CSU-Politiker als Verteidigungsminister zurück.

    Roland Koch: Im Mai 2010 kündigte Hessens Ministerpräsident überraschend seinen Rückzug von allen politischen Ämtern an. Koch war zeitweilig sogar als möglicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt worden. Nach dem Ende seiner politischen Karriere zog es ihn in die Wirtschaft: Koch ist mittlerweile des Chef des Baukonzerns Bilfinger Berger.

    Peter Müller: Der langjährige Saar-Ministerpräsident wurde Ende 2011 zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt. Müller war es nach herben Stimmenverlusten nach der saarländischen Landtagswahl im Jahr 2009 noch gelungen, eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen zu bilden. Doch seine Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte das Bündnis Anfang des Jahres auf und steht nach vorgezogenen Neuwahlen nun an der Spitze einer großen Koalition aus CDU und SPD.

    Jürgen Rüttgers: Wie Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen musste der frühere NRW-Ministerpräsident Rüttgers eine schwere Wahlniederlage einstecken. Als sich nach der Wahl 2010 in Düsseldorf eine rot-grüne Minderheitsregierung gebildet hatte, zog sich Rüttgers aus der ersten Reihe der Politik zurück. Nachfolger als CDU-Landeschef wurde Röttgen, der dieses Amt nun auch wieder abgibt. Rüttgers arbeitet mittlerweile unter anderem für eine Anwaltskanzlei.

    Ole von Beust: Im Juli 2010 verkündete der damalige Hamburger Bürgermeister seinen Rückzug vom Regierungsamt - und leitete damit indirekt das Ende des schwarz-grünen Bündnisses in der Hansestadt ein. Drei Monate nach seinem Rückzug aus der Politik kündigten die Hamburger Grünen ihr Bündnis mit der CDU auf. Bei der Wahl im Februar 2011 holte die SPD die absolute Mehrheit.

    Friedrich Merz: Der frühere Fraktionschef galt einst als großer Hoffnungsträger der Union. Doch nachdem er im Jahr 2000 den Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag übernommen hatte, verlor er das Amt schon zwei Jahre später wieder. Nach der damaligen Bundestagswahl sicherte sich Parteichefin Merkel das Amt. Nach der Bundestagswahl im Jahr 2009 zog sich Merz aus der Politik zurück. Er arbeitet heute als Anwalt

    Angela Merkel nutzt die Gelegenheit, um dem nur schleppend vorankommenden Großprojekt „Energiewende“ mit einem neuen Minister mehr Schubkraft zu geben. Peter Altmaier soll endlich liefern, wozu Röttgen (und sein FDP-Kollege Rösler) nicht imstande waren und was einem schwer angezählten Minister wohl auch künftig nicht gelungen wäre: ein rasch umsetzbares Konzept für eine sichere Stromversorgung zu bezahlbaren Preisen. Zugleich jedoch versucht die Kanzlerin, die in den eigenen Reihen drohende Debatte über ihren Anteil an den Wahlniederlagen der Union und über das anhaltend diffuse, von Streit und Stillstand geprägte Bild der schwarz-gelben Koalition im Keim zu ersticken.

    Röttgens Rauswurf, seine Abstempelung zum Alleinschuldigen am NRW-Desaster und der personelle Neuanfang im Umweltministerium dienen ja auch dem Zweck, Handlungsfähigkeit zu zeigen und eine Brandmauer um das Kanzleramt hochzuziehen – auf dass nur ja niemand auf die Idee komme, die CDU-Pleite in NRW zeugte womöglich von einer nahenden Kanzlerinnen-Dämmerung. Keine Sorge, „Mutti“ hat die Lage im Griff und langt notfalls auch kräftig hin: Das ist die Botschaft, die von diesem Bauernopfer ausgehen soll.

    Röttgen, eben noch als fähiger Minister gelobt, bekommt den Laufpass, weil die – normalerweise gelassener reagierende – Kanzlerin ein Signal für ihre Bereitschaft zu einem Neuanfang braucht. Man dürfe „nicht zur Tagesordnung übergehen“, hat der CSU-Vorsitzende Seehofer gewarnt und unverhohlen Röttgens Abgang gefordert. Er hat seinen Willen bekommen, weshalb die Entlassung auch der (vorläufigen) Befriedung der nervösen, um ihre Wahlchancen bangenden

    Merz, Koch, Rüttgers, Mappus, Guttenberg, Wulff, nun Röttgen – lang ist die Liste jener einst hochgehandelten Unionsfürsten, die aus eigenem Verschulden oder mit der Nachhilfe Merkels in der Versenkung verschwunden sind. Es gibt niemanden mehr, der der mächtigsten Frau Europas das Kanzleramt streitig machen oder ihr in den Arm fallen könnte. Noch überstrahlt das hohe öffentliche Ansehen Merkels die Probleme, die mit dem Verlust an profilierten Köpfen und einer allzu wendigen, die Stammwähler irritierenden Modernisierungspolitik einhergehen. Aber man ahnt schon, dass ein Ende der Ära Merkel die CDU in eine schwere Krise stürzen wird.

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