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Kommentar: Wer mag mit Andrea Nahles spielen?

Kommentar

Wer mag mit Andrea Nahles spielen?

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    Andrea Nahles will die erste Frau an der SPD-Spitze werden.
    Andrea Nahles will die erste Frau an der SPD-Spitze werden. Foto: Andreas Arnold, dpa

    Der US-Soziologe Richard Putnam hat vor einigen Jahren ein Buch mit dem Titel „Bowling Alone“ geschrieben. Dem Harvard-Professor war aufgefallen, wie viele seiner Landsleute den Volkssport Bowling nicht mehr im Verein ausübten, sondern allein. Putnam sammelte Daten, er analysierte die Lebenswelt ganz gewöhnlicher Amerikaner – heraus kam die Vermessung einer Vereinzelung. Die „social fabric“, wie es die Amerikaner nennen, hatte sich durchgescheuert – jenes Band des Miteinanders, das den Einzelnen weniger alleine lässt.

    Andrea Nahles sieht die SPD als große Familie

    Andrea Nahles kann mit Putnams These wohl wenig anfangen. Die Rheinländerin, die sich am Sonntag zur stärksten Frau der SPD küren lassen will, hat ihr Leben bei den Juso verbracht, in der Pfarrgemeinde, im Karnevalsverein, für den sie immer noch jedes Jahr an Weiberfastnacht Schnaps ausschenkt. Sie ist sozusagen der lebende Gegenentwurf zu Putnam und seinen einsamen Bowlern, zumal sie die

    Nur: Wie sehr die Politik heute Patchwork-Familien ähnelt, hat Nahles offenbar nicht begriffen. Sie rackert unermüdlich, um möglichst viele wieder zum Mitspielen zu bewegen – und glaubt fest, dass dies schon bei der nächsten Wahl eine Mehrheit bei der SPD tun will. Das zuletzt magere Abschneiden schiebt sie dem Spiel unter falschem Kapitän zu, erst Sigmar Gabriel, dann Martin Schulz.

    Doch ihr Neuanfang wirkt, als rutsche sie auf glatten Absätzen über Bowlingparkett. Gewiss, die SPD hat wenig ausgelassen, um sich selbst zu schwächen. Sie hat Vorsitzende verschlissen, eigene Erfolge konsequent kleingeredet und den Gegner stark, sie hat Wahlkämpfe so unprofessionell geführt, dass sich darüber von Journalisten buchstäblich Bücher schreiben ließen.

    Die Genossen handeln ja nicht aus Lust am Untergang

    Nur: Das alles taten die Genossen ja nicht nur aus Lust am Untergang, sondern aus struktureller Not. Denn ihre Krise ist viel existenzieller als die der Union. Traditionelle Milieus, die früher die Sozialdemokratie stark gemacht haben, lösen sich auf – Gewerkschaften, Vereine, auch die Kirchen, deren Gläubige ja keineswegs alle die Union gewählt haben. So wie Menschen sich heute nicht mehr um das Lagerfeuer einer TV-Sendung versammeln, sondern Häppchen von Netflix zubereiten lassen, zittert jeder Wähler für sich vor dem sozialen Abstieg. Unter diesem Individualisierungs-Trend leiden auch die Genossen in anderen Ländern.

    In Deutschland kam erschwerend Angela Merkel hinzu. Die Kanzlerin hat durch ihren Linkskurs zwar ihre Partei geschwächt. Die Union ist jedoch weiterhin stärkste politische Kraft. Noch mehr aber schwächte Merkel die SPD – die nun zudem die CSU fürchten muss, die sich als Kümmererpartei geriert. Eine „Große Koalition für die kleinen Leute“ hat Horst Seehofer versprochen, kein Sozialdemokrat.

    Links und Rechts - das sind überholte Kategorien

    Wo bleibt dann Platz für die SPD? Nahles, politisch viel gewinnender als ihr öffentliches Image vermuten lässt, dürfte es eher links versuchen. Ihr Vertrauter Olaf Scholz, der ebenfalls aufs Kanzleramt schielt, wird hingegen als Finanzminister oft rechts blinken – und beweisen wollen, dass Sozis auch mit Geld umgehen können.

    Nur sind linke und rechte Flügel entleerte Kategorien, genau wie das Wort „Gerechtigkeit“, das Kanzlerkandidat Schulz wie ein Mantra vor sich hertrug.

    Die Sozialdemokraten brauchen eine ganz neue Erzählung – die durchaus erzählbar wäre in einer Zeit, da politische Stärke gegenüber entfesselten sozialen Netzwerken und Konzernen nötiger denn je erscheint.

    Aber ob Vereinsmeierin Andrea Nahles da mitspielt?

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