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Kommentar: Warum Wulff gehen sollte

Kommentar

Warum Wulff gehen sollte

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    Walter Roller
    Walter Roller

    Ist Christian Wulff das hilflose Opfer einer von Medien inszenierten Kampagne, deren Ziel der Sturz des Bundespräsidenten ist? Nein, das ist er nicht. Zwar mutet vieles von dem, was jetzt gegen das schwer angeschlagene Staatsoberhaupt ins Feld geführt wird, tatsächlich kleinkariert und moralinsauer an. Mancher Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen, Kleinigkeiten werden maßlos übertrieben. Wer will, mag in diesem täglichen Trommelfeuer von Behauptungen und Spekulationen die Züge einer Treibjagd sehen. Die Unterstützung, die dem CDU-Politiker in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer zuteilwird, hat auch in hohem Maße mit dem wachsenden Unbehagen über die Aufgeregtheiten und Erregungswellen der modernen, gelegentlich zum Krawall neigenden Mediengesellschaft zu tun.

    Aber so verständlich der Ärger vieler Bürger über die vermutete gezielte Demontage des früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen ist: Christian Wulff ist nicht, wie der Präsident selber zu suggerieren versucht, das Opfer einer Kampagne. Auch der erste Mann im Staate ist nämlich nicht der Pflicht enthoben, Rechenschaft über sein Tun abzulegen. So ist das in einer Demokratie, und Wulff ist dieser Pflicht von Beginn seiner Kreditaffäre an nicht hinreichend nachgekommen.

    Chronologie der Affäre Wulff

    25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.

    18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.

    12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.

    13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.

    14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.

    15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.

    19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.

    20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.

    22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.

    2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.

    4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.

    19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.

    16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.

    17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.

    18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.

    29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.

    9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.

    9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.

    9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.

    12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.

    14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.

    9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.

    19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.

    27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)

    Hätte Wulff mit offenen Karten gespielt und sich nicht ständig in neue Widersprüche und Ungereimtheiten verstrickt, wäre er – zumal dank der Sympathie, die er im Volk hatte und noch immer reichlich hat – mit einem blauen Auge davongekommen. Stattdessen hat er die Öffentlichkeit wiederholt mit der halben Wahrheit bedient und nur zugegeben, was nicht mehr zu leugnen war. Er ist – einstweilen jedenfalls – weder der Lüge noch eines Verstoßes gegen das Ministergesetz überführt. Doch verraten all die kleinen Ungenauigkeiten und Schwindeleien in seinen Stellungnahmen einen taktischen, auf Vertuschung zielenden Umgang mit der Wahrheit. Es sind nicht so sehr die geldwerten Gefälligkeiten von „Freunden“, die dem Ruf des Baukreditnehmers und Urlaubers Wulff abträglich sind. Diese mangelnde Abgrenzung von Privatem und Dienstlichem hätte sich womöglich als peinliches, doch letztlich entschuldbares, weil allzu menschliches Fehlverhalten interpretieren lassen. Schwerer wiegt Wulffs Versuch, Dinge unter den Tisch zu kehren – bis hin zu jener törichten, in Stil und Duktus inakzeptablen Intervention in den Chefetagen der Bild. Präsidenten brauchen keine Heiligen zu sein. Aber sie müssen ihr Amt untadelig führen und ein gutes Beispiel geben. Mit den Verschleierungsversuchen und Halbwahrheiten vor allem hat Wulff sein wichtigstes Kapital, die Glaubwürdigkeit, verloren.

    Wütender Wulff: Wegen diesen Fragen rief er bei "Bild" an

    Warum haben Sie dem Landtag verschwiegen, dass eine "geschäftliche Beziehung" zwischen Ihnen und der mit Egon Geerkens in Gütergemeinschaft lebenden Ehefrau Edith durch einen im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag über 500 000 Euro besteht?

    Teilen Sie die Auffassung, dass Sie den Landtag in diesem Zusammenhang bewusst getäuscht haben?

    Wie haben Sie die 500 000 Euro erhalten? Per Überweisung aus Deutschland, der Schweiz, der USA - oder bar? Oder auf welche andere Weise?

    Warum haben Sie den im Oktober 2008 geschlossenen Darlehensvertrag wenige Wochen nach der parlamentarischen Anfrage gekündigt und durch einen Darlehensvertrag mit der BW-Bank abgelöst - obwohl der Darlehensvertrag noch bis November 2013 lief?

    Wann und in welcher Form haben Sie das Darlehen zurückgezahlt?

    Gab es vor dem Jahr 2000 geschäftliche Beziehungen zwischen Ihnen, dem CDU-Kreisverband Osnabrück, dem CDU-Landesverband Niedersachsen bzw. dem Land Niedersachsen und Herrn Egon Geerkens oder irgendeiner Firma, an der Herr Geerkens und/oder Frau Geerkens als Gesellschafter beteiligt waren?

    Der Präsident, das machtpolitische Geschöpf Merkels, ist offenbar entschlossen, im "Stahlgewitter" (welch martialische Wortwahl!) auszuharren. Er spielt – wie seine Schutzherrin,die Kanzlerin – auf Zeit und darauf, dass die Debatte im Sande verläuft. Nicht auszuschließen, dass diese Rechnung aufgeht. Aber ist dem Land in turbulenten Zeiten mit einem Präsidenten gedient, der mit Selbstverteidigung beschäftigt ist und über viele wichtige Themen (von der Schuldenkrise bis zum Vertrauensverlust der Politik) nicht mehr unbefangen reden kann? Einem Präsidenten, der vom Kanzleramt abhängig ist, an Autorität eingebüßt hat und in einen bizarren Schaukampf mit einem Boulevardblatt verwickelt ist? Einem Präsidenten schließlich, der das Land spaltet, ins Zentrum parteipolitischen Streits rückt und zu einer Belastung für das Amt wird?

    Nein, das tut es nicht. Wulff ist an jenem Punkt angelangt, an dem das Interesse des Gemeinwesens und die Würde des Amtes einen Rücktritt gebieten.

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