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Kommentar Nobelpreis: Ein Preis für alle Europäer

Kommentar Nobelpreis

Ein Preis für alle Europäer

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    Winfried Züfle
    Winfried Züfle Foto: Wagner

    Wenn eine Organisation den Friedensnobelpreis erhält, scheint die Ehre auf den ersten Blick niemandem persönlich zuteilzuwerden. Doch wer genauer hinsieht, erkennt in der scheinbar anonymen Gruppe die Gesichter von Menschen, die sich engagieren und die Welt ein Stück besser machen. Das galt, als in den vergangenen Jahren der Weltklimarat und die Internationale Atomenergieagentur, die Vereinten Nationen und die Ärzte ohne Grenzen ausgezeichnet wurden, und das gilt auch jetzt bei der Europäischen Union.  Sechs Jahrzehnte Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte – das ist eine Leistung, an der viele Politiker mitgewirkt haben, die aber letztlich von allen Europäern erbracht wurde.

    Vorbild für viele Regionen

    Vom Ideal sind wir natürlich noch immer weit entfernt. Keiner kann bestreiten, dass Ressentiments fortbestehen, dass es Rivalitäten und Reibereien gibt. Aber dennoch: Wenn man die Entwicklung der vergangenen sechs Jahrzehnte mit den sechs Jahrzehnten davor vergleicht, als zwei Weltkriege von Europa ausgingen, dann kommt man nicht umhin, den alten Kontinent als Vorbild für viele Regionen auf der Welt zu preisen.

    Europa ist zu einem Synonym für Befriedung und Ausgleich geworden. Länder, die sich gegenseitig als Erbfeinde betrachteten (Deutschland und Frankreich) und immer wieder Krieg gegeneinander führten, sind heute enge politische Partner und das politische Herz der Union. Diktaturen in Südeuropa, die bis in die 1970er Jahre hinein die Völker unterdrückten, wurden von stabilen Demokratien abgelöst. Osteuropäische Länder fanden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neue Perspektiven. Und selbst der Balkan, auf dem in den 1990er Jahren die Konflikte eskalierten, befindet sich durch die sukzessive Aufnahme von Teilstaaten Ex-Jugoslawiens in die EU auf dem Weg in eine friedliche Zukunft.

     Euro-Krise hat verunsichert

    Allein: Die Europäer sind zaghaft geworden. Die Euro-Krise hat sie verunsichert – ob ihre Länder an der Gemeinschaftswährung beteiligt sind oder nicht. Der Blick auf das große Ganze, auf die historische Dimension der europäischen Einigung ist verloren gegangen. Die deutsche Bundeskanzlerin, der französische Präsident und der englische Premierminister – sie alle glauben es der jeweiligen Bevölkerung schuldig zu sein, zunehmend die nationalen Interessen zu vertreten. Die Idee vom vereinten Europa wird nur noch in sonntäglichen Reden beschworen. Werktags ist den Politikern dann das Hemd wieder näher als der Rock.

    In dieser Lage kommt die Auszeichnung der Europäischen Union durch das Friedensnobelpreiskomitee, das übrigens in einem Nicht-EU-Land zu Hause ist, wie gerufen. Die Anerkennung von außen sollte für alle Europäer die große historische Dimension wieder sichtbar machen. Dieser Nobelpreis kann aufrütteln. Die Botschaft lautet: Es lohnt sich, für die Idee Europa zu kämpfen. Und: Die aktuellen Probleme sind überwindbar.

    Trotzdem muss Europa weiter an sich arbeiten. Die Entscheidungsfindung ist zu kompliziert, die demokratische Legitimation nicht immer gegeben, der Apparat in Brüssel oft losgelöst von den Sorgen und Nöten der Menschen. Im internationalen Maßstab gerät Europa trotz der erreichten Größe immer wieder ins Hintertreffen. Ökonomisch hinkt es weiter hinter den USA her, und von Asien droht es im Laufe dieses Jahrhunderts an die Wand gespielt zu werden. Dem kann nur durch eine weitere Vertiefung der Integration begegnet werden – wobei die kulturelle Vielfalt nicht verloren gehen darf. Das ausgezeichnete Modell Europa gilt es ständig weiterzuentwickeln.

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