Aller Voraussicht nach werden die deutschen Bischöfe an diesem Donnerstag einen Beschluss zum Thema „Opferentschädigung“ präsentieren. Nach langen und kontroversen internen Diskussionen. Noch am Mittwoch berieten sie in Mainz während ihrer Frühjahrs-Vollversammlung intensiv darüber.
Für die katholische Kirche, vor allem aber für die Missbrauchsopfer in ihren Reihen, geht es um viel. Die Bischöfe wissen das. Sie wissen: Wir müssen jetzt ein Signal senden. Nichts anderes kündigte der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, gleich nach seiner Wahl am Dienstag an: Er hoffe auf ein Ergebnis, „das Betroffenen gegenüber ein Signal ist“. Kaum im Amt, wird das Thema „Entschädigung“ zu seiner ersten Bewährungsprobe. Und darum muss es gehen – um Entschädigungen, nicht um „Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids“ von in der Regel bis zu 5000 Euro, wie sie bisher gezahlt wurden. Die Wortwahl ist für Opfer deshalb so wichtig – und für Juristen problematisch –, weil sie eine grundlegend andere Haltung ausdrückt: Unter Anerkennung verstehen sie die eher unverbindliche Kenntnisnahme von ihrem Schicksal. Unter Entschädigung verstehen sie die Übernahme von Verantwortung.
Das ist der Punkt. Die Kirche muss Verantwortung übernehmen für den systematischen Missbrauch durch ihre Vertreter – und Opfer entschädigen. Das wäre in der Tat „Betroffenen gegenüber ein Signal“. Eines, das zudem in die Gesellschaft hinein wirken würde, weil es Vorbildcharakter haben könnte.
Die katholische Kirche muss mehr tun als jede weltliche Organisation
Die Kirche ist eben nicht irgendeine Organisation. Ihr Oberhaupt, der Papst, ist nach ihrem Verständnis „Stellvertreter Christi“, ihre Bischöfe direkte Nachfolger der Apostel, ihre Priester Mittler zwischen Gott und Menschen. Gerade beim Umgang mit den tausenden von Kindern und Jugendlichen, die von Kirchenmännern begrapscht oder gar vergewaltigt wurden, muss die Kirche also vorangehen: Sie muss mehr tun als jede weltliche Organisation. Das ist in vielen (verjährten) Fällen weniger eine Frage des Rechts, sondern schlicht Christenpflicht.
Nun zur Höhe der Entschädigungszahlungen. Unumstritten ist: Geld kann nichts wiedergutmachen. Klar muss jedoch ebenfalls sein: Echte Verantwortungsübernahme drückt sich auch in echter finanzieller Hilfe aus. 5000 Euro, zum Beispiel, stellen keine echte Hilfe dar mit Blick auf das lebenslange Leiden von Missbrauchsopfern. Mit Blick auf ihre Depressionen und Traumata oder ihre Probleme, ins Berufsleben zu finden. Eine große Zahl von Opfern kommt ins oder befindet sich inzwischen im Rentenalter – und kämpft nicht nur gegen seelische und körperliche Spätfolgen des Missbrauchs, sondern oft auch gegen Altersarmut an. Geld kann ganz konkret und individuell helfen. Bis zu 400.000 Euro für jedes Opfer, wie von einer Arbeitsgruppe vorgeschlagen, müssen es vielleicht nicht sein, ein nennenswerter Betrag gleichwohl. Die katholische Kirche in Deutschland ist trotz starker regionaler Unterschiede eine der reichsten der Welt. Wenn sie will, wird sie Wege finden, Opfer „angemessen“ zu entschädigen. Eine Einzelfallprüfung ist dazu allerdings Voraussetzung.
Und so werden die Bischöfe mit der Summe, die sie – auf freiwilliger Basis – bereit sind, jedem Missbrauchsopfer zu zahlen, ein weiteres Signal senden. Andere Teile der katholischen Weltkirche sind da längst weiter. In Irland erhielten Opfer bis zu 100.000 Euro und mehr, in Australien und Kanada wurden Milliardensummen zur Verfügung gestellt. Die Bischöfe haben, wieder einmal, die Chance, zu handeln. Sie sollten sie nicht vertun.
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