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Kommentar: Im Drama um Kavanaugh werden Gräben aufgerissen

Kommentar

Im Drama um Kavanaugh werden Gräben aufgerissen

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    Eine Demonstrantin fordert: "Stop Kavanaugh."
    Eine Demonstrantin fordert: "Stop Kavanaugh." Foto: Zach Roberts/ZUMA Wire (dpa)

    Der Supreme Court in Washington, Oberster Gerichtshof der USA, ist nicht einfach durch eine schnöde Türschwelle zu erreichen. Wer sich dem Gericht nähern möchte, muss 44 Marmorstufen empor steigen, sorgfältig angelegt vom Architekten. Sie sollen zeigen, dass der Gerichtshof anders ist als die weiteren Prachtgebäude in Washington - abgeschieden vom politischen Geschachere, aber zugänglich für jeden, der sich ihm wohlüberlegt nähert, der Zukunft entgegen also.

    Nach dem unfassbaren Geschachere um den neuen Obersten Richter Brett M. Kavanaugh existiert diese edle Treppe zwar noch. Aber man hätte sie auch gleich einreißen können. Denn mit dem Bild, das die US-Gründerväter für den Supreme Court vorgesehen hatten – das einer unglaublich machtvollen, aber auch unglaublich unabhängigen Institution – wird das neue Gericht nichts mehr zu tun haben. Fünf erzkonservative Richter, alle auf Lebenszeit ernannt und vergleichsweise jung, stehen vier eher linken Kräften entgegen – und werden sich bei wegweisenden Entscheidungen über Waffenbesitz, Umweltschutz, Verbraucherrechte und schließlich auch Abtreibung offen duellieren. Die Mitte, sie ist verschwunden im politischen Amerika, und das spiegelt nun dieser Gerichtshof.

    Natürlich hat es hoch emotionale Richterbefragungen in der Vergangenheit gegeben, sogar zu sexueller Belästigung, lange vor "MeToo". Die Richter haben auch schon früher höchst umstritten geurteilt, erinnert sei nur an ihre Einmischung in die präsidiale Hängepartie zwischen Al Gore und George W. Bush. Und es zogen sich immer ideologische Gräben durch das Gericht. Die Legende vom vermeintlich unabhängigen Richter, der das Gesetz fernab von politischen Überlegungen auslegt, war immer eine.

    Kooperation über Parteigrenzen? Unvorstellbar.

    Dennoch ist die Personalie Kavanaugh eine (weitere) Zeitenwende in den USA. Selbst wenn sich Oberste Richter dort noch so spinnefeind waren, sie schützten die Aura des Gerichts. Dazu gehörte, dass sie ihre politischen Überzeugungen und Frustrationen zumindest nicht allzu offen äußerten. Kavanaugh hat auf die Anschuldigungen im Senat in einer zornigen Weise reagiert (er warf etwa den Clintons eine Hetzjagd gegen ihn vor), wie man sie noch nicht erlebt hat.

    Vor allem aber hat es in der Vergangenheit ungeachtet aller ideologischen Färbung immer wieder intellektuelle Zusammenarbeit gegeben – sogenannte Swing Votes, also Richter, deren Entscheidungen ideologisch nicht vorhersehbar waren und die mal mit dem einen politischen Lager stimmten, mal mit dem anderen. Dass dies in Zukunft noch so sein wird, ist schwer vorstellbar. So eine Voreingenommenheit verletzt aber streng genommen dem Geist der amerikanischen Verfassung, obwohl gerade konservative US-Juristen diese immer hochzuhalten vorgeben.

    Auch in Deutschland steht bald eine juristische Spitzenpersonalie an, die Nachfolge des Bundesverfassungsgerichts-Präsidenten. Er oder sie wird großen Einfluss entfalten – und doch läuft die Debatte darüber hinter den Kulissen, unter den Parteien. Man kann das durchaus kritisch sehen, und sich mehr öffentliche Debatte wünschen, wie es sie nun in den USA im Übermaß gegeben hat.

    Wir sollten aber froh sein, dass wir so nüchtern über Richter diskutieren – und den Amerikanern nicht alle Polarisierung nachmachen, wie leider zu anderen politischen Themen. Denn was für Gräben aufgerissen werden, wenn das Recht politisch wird, hat das Drama um Kavanaugh grell aufgezeigt.

    Wird dieses Drama enden, wenn Donald Trump das Weiße Haus verlässt? Leider nicht.

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