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Kommentar: Die Kanzlerin im Popularitätshoch

Kommentar

Die Kanzlerin im Popularitätshoch

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    Die Kanzlerin im Popularitätshoch
    Die Kanzlerin im Popularitätshoch

    Der Wähler, das unbekannte Wesen, hat ein feines Gespür für das Wesentliche. Ob Klaus Töpfer ein besserer Präsident wäre als Joachim Gauck, ob sich bei dessen Kür die Koalition durchgesetzt hat, die Opposition oder eine merkwürdige Melange aus beidem, interessiert vor allem die Politiker selbst, ihre professionellen Beobachter und eine aufgeschlossene Minderheit ähnlich Interessierter. Der große Rest der Republik hält es mit der

    Mit genau diesem stoischen Pragmatismus hat Angela Merkel nun ein neues Popularitätshoch erreicht. Obwohl FDP-Chef Philipp Rösler sie im Streit um Gauck bis an ihre Schmerzgrenze gereizt hat und die meisten Kommentatoren dies als bittere Niederlage für sie gedeutet haben, leidet das Ansehen der Kanzlerin darunter nicht. Im Gegenteil. Nach einer Umfrage des Forsa-Institutes vertrauen ihr 64 von 100 Deutschen, so viele wie noch nie in dieser Wahlperiode. Ihre Bereitschaft, für eine schnelle, einvernehmliche Lösung persönliche und parteipolitische Bedenken hintanzustellen, beeindruckt die Menschen mehr als das plötzliche Imponiergehabe ihres Vizekanzlers Rösler, der bei der gleichen Umfrage nicht einmal halb so viele Vertrauenspunkte bekam.

    Ist ihre vermeintliche Schwäche, das Zögernde, Zaudernde und ein wenig Diffuse, am Ende gar ihre heimliche Stärke? Angela Merkel ist eine Frau, die sich nicht zu früh festlegt, die gerne ein Hintertürchen offen behält und auch in politischen Krisen nicht aus dem Bauch heraus entscheidet, sondern mit der kühlen Rationalität der gelernten Physikerin. Gerhard Schröder, ihr Vorgänger, hätte vermutlich lieber die Koalition platzen lassen als von seinem Juniorpartner einen Präsidenten diktiert zu bekommen. Seine Nachfolgerin dagegen akzeptiert lieber Gauck, als den Bruch ihres Bündnisses und ihre Kanzlerschaft zu riskieren. Sie kann, was Männer wie Kohl und Schröder nur schwer konnten: sich selbst zurücknehmen.

    Diese unprätentiöse Art kommt an – und nutzt auch der Union insgesamt, die sich inzwischen wieder an die 40-Prozent-Marke herangerobbt hat. Sogar ihre uneingeschränkte, in Milliardenbürgschaften gegossene Solidarität mit Griechenland verzeihen die Deutschen, die mehrheitlich anderer Meinung sind, der Kanzlerin bisher. Das Gefühl, von ihr halbwegs sicher durch die große Krise gelotst zu werden, ist offenbar stärker als die Angst vor einem teuren Ende der umstrittenen Rettungsaktionen, bei denen Angela Merkel auch nicht viel anders agiert als im Falle Gauck – nämlich nach dem Prinzip der praktischen Vernunft.

    Für ihren Mentor Kohl, ein Kind des Krieges, war das gemeinsame Europa eine historische Notwendigkeit. Sie selbst betrachtet es eher nüchtern als ökonomische Zweckgemeinschaft, die über Jahrzehnte hinweg gut funktioniert hat und nun nicht durch eine unkontrollierte Kettenreaktion gefährdet werden darf, ausgelöst womöglich durch eine Pleite Griechenlands.

    Trotz dieser eher distanzierten Sicht auf die Dinge allerdings geht die Kanzlerin für dieses Europa deutlich tiefer ins Risiko, als das sonst ihre Art ist. Unbeirrt von der Skepsis draußen, im Land, und dem Murren im eigenen Lager fordert sie Solidarität mit den Griechen ein – und Solidität von ihnen.

    Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Im günstigsten Falle wird Angela Merkel die Frau sein, die Europa und den Euro gerettet hat, den ungünstigsten blendet auch sie bisher aus. Und wenn ihr die Kritik an ihrem Kurs gelegentlich etwas zu laut wird, beruft sie sich einfach auf ihren Amtseid: Sie habe geschworen, sagt die Kanzlerin dann, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. 64 von 100 Deutschen nehmen ihr das ab.

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