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Kommentar: Deutschlands Impfkampagne wirkt zwar langsam, aber sicher

Kommentar

Deutschlands Impfkampagne wirkt zwar langsam, aber sicher

Michael Pohl
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    Mit den Corona-Impfungen kommt Deutschland nur langsam, aber sicher voran. Aller Ungeduld zum Trotz gibt es Grund zur Zuversicht: Bei einer Impfquote von 60 Prozent könnte es weitreichende Lockerungen geben.
    Mit den Corona-Impfungen kommt Deutschland nur langsam, aber sicher voran. Aller Ungeduld zum Trotz gibt es Grund zur Zuversicht: Bei einer Impfquote von 60 Prozent könnte es weitreichende Lockerungen geben. Foto: Michael Reichel, dpa

    Nicht nur in Deutschland, sondern fast überall in Europa sinken die Corona-Infektionszahlen derzeit rapide. Doch die Zahlen eines Landes machen besonders Mut: In Israel liegt die Wocheninzidenzzahl seit einem Monat unter zehn. Inzwischen sogar nur bei zwei Fällen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen. Israel ist bekanntlich so etwas wie das Impfversuchslabor der Welt: Im Gegenzug für reichlich Impfstoff stellte das Land die Daten seiner Bürger für zahllose Studien zur Verfügung. Das Ergebnis bis hierhin: Impfen wirkt und hilft allen. Israel hebt zum 1. Juni sämtliche Corona-Beschränkungen auf.

    Gut sechzig Prozent der Israelis sind mit Biontech zweifach geimpft. So schnell war kein anderes Land. Auch wenn der Weg, auf nur einen einzigen Impfstoff zu setzen, riskant war. Deutschlands Impfstrategie war dagegen im Wortsinne langsam aber sicher.

    Corona-Impfstoff: EU hätte von Anfang an für größtmögliche Produktionskapazität sorgen müssen

    Der größte Kritikpunkt bleibt, dass die EU im Sommer 2020 nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um von Anfang an für größtmögliche Produktionskapazitäten zu sorgen, sondern dies den Unternehmen selbst überließ. In den USA waren es übrigens Ökonomen, die dem Staat zum Eingreifen rieten.

    Der Hauptgrund für das langsame Hochfahren der Produktion liegt aber an der Impfmittel-Herstellung selbst: Für einen Liter Vektor-Impfstoff müssen Hersteller wie AstraZenca die ungeheure Menge von hundert Billionen Transport-Viren züchten. Für Impfstoffe wie von Biontech braucht es nicht nur die mRNA, sondern als Transportmittel auch mikroskopisch kleine Fetthüllen, wofür Zulieferer erst im großen Stil Produktionsanlagen errichten mussten. Erst jetzt laufen die Fabriken auf Vollbetrieb.

    Im Vergleich zu den USA und Israel wirkt Deutschlands Impfstrategie jedoch mittelmäßig. Dies mutet den Bürgern noch mehr zu, deren Geduld durch die Pandemie und das Hin und Her der Lockdown-Politik überstrapaziert ist.

    Transparenz zu Nebenwirkungen: Paul-Ehrlich-Institut untersucht 500 Todesfälle nach Corona-Impfung

    Dennoch stimmt nicht nur das Beispiel Israel zuversichtlich. Die Impfbereitschaft ist in Deutschland laut Umfragen mit 75 Prozent sehr hoch. Dieses Vertrauen versucht der Staat zu rechtfertigen: Das Paul-Ehrlich-Institut führt zum Beispiel transparent über mögliche Komplikationen Buch. So starben über 500 Menschen in einem gewissen Abstand nach einer Impfung. Das Durchschnittsalter war allerdings 82 Jahre, die meisten hatten multiple Vorerkrankungen. Wo Verdacht auf Tod durch Nebenwirkung bestand, wird dies, wie im Fall von AstraZeneca, öffentlich gemacht.

    Der schwedisch-britische Impfstoff bleibt ein Sorgenkind. Meinungsmacher haben in den vergangenen Wochen sogar versucht, die Generationen gegeneinander aufzuhetzen: Nach dem Motto: Die Alten nehmen den Jungen Biontech weg. Widerlich wird die Debatte, wenn sie mit Falschaussagen geführt wird. Etwa: Bei Älteren gebe es bei AstraZeneca keine Thrombose-Gefahr. Bei Frauen zwischen 60 und 70 gab es genauso viele – besser gesagt, genauso sehr wenige – Fälle wie bei Frauen zwischen 30 und 40. Richtig ist, dass das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Impfung mit AstraZeneca über 60 viel positiver ausfällt, weil das Risiko eines tödlichen Coronaverlaufs sehr viel höher ist.

    Corona-Infektionszahlen sinken: Freie Impfstoffwahl wird in Deutschland zum vertretbaren Luxus

    Angesichts sinkender Infektionszahlen wird eine faktische Wahlfreiheit, sich den Impfstoff aussuchen zu können, im reichen Deutschland ein vertretbarer Luxus, wenn dadurch die Impfbereitschaft steigt. Natürlich hat auch jeder das Recht, sich nicht impfen zu lassen. Dann bleibt Corona ein individuelles Restrisiko. Die Zahlen aus Israel nähren aber allen Mutationen zum Trotz die Zuversicht, dass für die große Mehrheit der Spuk der Pandemie bis Herbst langsam aber sicher vorbeigeht.

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