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Kommentar: Christian Lindner: Das letzte Ass der FDP

Kommentar

Christian Lindner: Das letzte Ass der FDP

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    Christian Lindner: Das letzte Ass der FDP
    Christian Lindner: Das letzte Ass der FDP

    Es gibt ein Leben nach der Niederlage. Mit der Wahl von Christian Lindner zum neuen Vorsitzenden hat die FDP ihr letztes Ass gezogen. Wie am Kartentisch aber macht auch in der Politik ein hoher Trumpf alleine noch kein gutes Blatt – und ein Lindner-Solo noch keinen liberalen Sommer. Wenn die Partei 2017 nicht noch einmal scheitern soll, braucht sie mehr als einen telegenen Vorsitzenden. Sie muss dahin, wo es wehtut, wie Sigmar Gabriel es in einer ähnlichen Situation von der SPD verlangt hat. Raus ins Leben.

    Lindner, ein eloquenter Vermarkter der liberalen Sache, kann ganze Parteitage in einen Rausch reden und ganze Talkrunden an die Wand. Draußen, im Leben, aber haben viele Menschen andere Ansprüche an die Politik, sie sind reformscheuer, als es die FDP glaubt, und verstehen unter mehr Eigenverantwortung vor allem eines: mehr Risiko. Die Große Koalition verkörpert dieses Denken perfekt, indem sie von der Frauenquote bis zum Mietrecht so ziemlich alles zu regeln versucht, was die FDP dem Spiel der Kräfte überlassen würde. Der Mut zum Markt, den Lindner fordert, ist in Deutschland nicht allzu ausgeprägt.

    Dass die Liberalen bei ihrem Neuanfang einen Rechtsruck vermieden und dem Euro-Skeptiker Frank Schäffler einen Platz im Präsidium verwehrt haben, ist vor diesem Hintergrund durchaus bemerkenswert. Trotz miserabler Umfragedaten widerstehen sie der Versuchung, nach dem Vorbild der österreichischen FPÖ nun mit national-populistischen Tönen neue Anhänger zu fischen. Die FDP bleibt sich treu: eine Partei der Mitte, in der Menschen wie Schäffler zwar ihren Platz haben, aber nicht den Einfluss, den sie sich wünschen.

    Gewonnen allerdings ist damit noch nichts, schon gar keine Wahl. Lindner ist sicher ein guter Außenminister seiner Partei. Aber hat er nach innen die Kraft und die Ausdauer, die FDP vier Jahre zusammenzuhalten? Das Vakuum an Präsenz und Professionalität, das mit dem Rückzug der Altvordern entstanden ist, hat die FDP bisher ja lediglich formell gefüllt. Die neue Parteispitze ist zunächst einmal nur ein Versprechen: ein neuer Stil, ein neues Miteinander, eine neue Eigenständigkeit. Alles andere muss sie sich erst erarbeiten. Als stellvertretende Parteivorsitzende, zum Beispiel, kann sich die Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht nur auf kommunalpolitische Themen konzentrieren. Sie muss auch in der Gesundheits- oder der Steuerpolitik sprechfähig sein, wie es im Politikerjargon heißt.

    Dieser Weg ist lang, steil und steinig. Eine Partei, die an der Wahrnehmungsschwelle operiert, hat im Prinzip ja nur zwei Alternativen: Sie kann, wie der junge Guido Westerwelle im Container von Big Brother, mit schrillen Auftritten um Aufmerksamkeit kämpfen – oder sich in Ruhe auf den Tag vorbereiten, an dem der Frust über die Große Koalition das Gefühl zu überlagern beginnt, Union und SPD würden es schon irgendwie richten. Dann könnte noch einmal die Stunde der FDP schlagen: mit einem ausgefeilten Steuerkonzept, mit interessanten Kandidaten und einer neuen Tonlage. So kapitalistisch-kühl, so auf sich selbst fixiert wie die alte darf die neue FDP auf keinen Fall daherkommen. Sonst ist Lindners Projekt 2017 schon lange vor der nächsten Bundestagswahl gescheitert.

    Im günstigsten Fall war das Debakel vom 22. September ein heilsamer Schock, im ungünstigsten der letzte Sargnagel. Wie wichtig eine Partei ist, die nicht bei jeder Gelegenheit nach der Politik ruft, zeigt ein Blick in den neuen Bundestag: Dort sitzen vier Fraktionen, die sich in vielem unterscheiden, nur in einem nicht: in ihrem Urvertrauen in den alles regelnden Staat.

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