Trotz massiver Proteste hat die CSU also das umstrittene Polizeiaufgabengesetz (PAG) durchgedrückt. Die bayerische Polizei darf künftig bei einer „drohenden Gefahr“ viel früher und massiver eingreifen. Jeder bayerische Polizist hat bei der Gefahrenabwehr jetzt mehr Rechte als das Bundeskriminalamt im Kampf gegen den Terror. Ist das richtig?
In den vergangenen Wochen wurde viel und laut debattiert. Vor allem aber laut. Bayern sei auf dem Weg in einen Polizei- und Überwachungsstaat, riefen die Gegner des neuen Polizeigesetzes. Die Kritiker seien doch alles Linksextremisten oder Naivlinge, rief die CSU. Puh. Höchste Zeit, Hysterie und Ideologie ruhen zu lassen und durchzuatmen.
In unserem Podcast "Bayern-Versteher" widmen wir uns dem umstrittenen Gesetz. Hier können Sie reinhören:
Die Polizei soll Eingreifen dürfen, bevor es zu spät ist
Vor wenigen Jahren haben viele Menschen angesichts verheerender Terroranschläge durch Islamisten mehr Befugnisse für die Polizei gefordert. Warum, so hieß es, kann sie erst einschreiten, wenn schon etwas Schreckliches passiert ist? Das neue Gesetz verschafft der Polizei nun diese Eingriffsrechte. Warum soll nun alles daran falsch sein?
Manche Änderungen sind sinnvoll. Sie geben der Polizei neue Instrumente an die Hand, die sie im Kampf gegen Terroristen und Schwerkriminelle braucht. Wenn jemand im Internet ein Attentat ankündigt, warum soll man dann nicht seine Mails und seinen Chat-Verkehr lesen dürfen? Es wäre grotesk, wenn die Polizei bei einem drohenden Terroranschlag nicht eingreifen dürfte. Es ist ihre Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen. Das sehen im Übrigen auch etliche andere Bundesländer so, die gerade ihre Polizeigesetze überarbeiten.
Das bayerische PAG ist Deutschlands schärfstes Polizeigesetz seit 1945
Doch wie so oft in der Sicherheitspolitik hat die CSU überdreht, weil sie ihren Ruf als Law-and-Order-Partei verteidigen und potenzielle AfD-Wähler umwerben will. Sie dehnt das Verfassungsgerichtsurteil zum BKA-Gesetz weit über die Terrorabwehr hinaus. Sie legt das schärfste Polizeigesetz seit 1945 auf. Eine Vermutung kann einen unbescholtenen Bürger zum Verdächtigen und zur Zielscheibe weitreichender Überwachungsmaßnahmen machen.
Ein Verdacht kann theoretisch jeden in eine unbefristete Präventivhaft wandern lassen. Zur Vorbeugung von Straftaten ist den Polizisten künftig mehr erlaubt als zur Verfolgung von Straftaten. Es ist dieses wuchtige Gesamtpaket, das vielen Angst macht. Die Menschen haben feine Antennen dafür, wann die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ins Wackeln gerät. Sie können nicht verstehen, warum das Bundesland mit der niedrigsten Kriminalitätsbelastung das schärfste Polizeigesetz braucht.
Und auch wenn die CSU ständig darauf hinweist, dass ein Richter die meisten Eingriffsmöglichkeiten genehmigen muss: Das Risiko, dass einzelne Polizisten ihre neuen Rechte missbrauchen, ist da. Eine Überprüfung des Gesetzes durch Verfassungsgerichte ist daher notwendig – auch im Interesse der CSU.
Die CSU reagierte mit der "Arroganz der Macht" auf die Proteste gegen das Polizeiaufgabengesetz
Den größten Murks aber hat die CSU mit der Art und Weise gebaut, wie sie das Polizeigesetz auf den Weg brachte. Erst versuchte sie es ungewöhnlich still. Und als der Protest lauter wurde, hieb Innenminister Joachim Herrmann auf Kritiker verbal ein. Da war sie wieder, die alte Dickschädeligkeit, die „Arroganz der Macht“, die die CSU doch im Kampf um die absolute Mehrheit abstreifen wollte.
Wie bei der Kreuzpflicht oder beim Psychiatriegesetz zeigte die CSU auch beim Polizeigesetz Gesprächsbereitschaft erst, als schon beträchtlicher politischer Schaden entstanden war. So hat sie die Kritiker stark werden lassen, denen es fürwahr nicht immer um eine sachliche Debatte ging. Wie eine Kommission und eine Informationsoffensive im Nachhinein den Schaden begrenzen sollen, ist schleierhaft. Den Ärger um das Polizeigesetz hat sich die CSU redlich verdient.
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