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Kein Handel mit der Gerechtigkeit

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Kein Handel mit der Gerechtigkeit

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    Kein Handel mit der Gerechtigkeit
    Kein Handel mit der Gerechtigkeit

    Soll er weiter eine präzise Aufklärung und eine gerechte Strafe zum Ziel haben oder soll er sich an ökonomischen Prinzipien orientieren, die da lauten: Effektivität und Kostenersparnis? Das Bundesverfassungsgericht prüft grundsätzlich, ob die Absprache im Strafverfahren, der sogenannte Deal, zulässig ist. Es steht eine jahrzehntelange Rechtspraxis auf der Kippe, die seit 2009 sogar offiziell legitimiert ist.

    Deal bedeutet: Der Angeklagte legt ein (meist rudimentäres) Geständnis ab, der Richter gibt ihm dafür eine zuvor ausgehandelte, milde Strafe. Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs, schätzt, dass es im Jahr 2009 in zwei Dritteln der Strafverfahren zu Absprachen kam. Nun bietet sich eine gute Gelegenheit, das Geschacher um die Gerechtigkeit in den Fluren, Hinterzimmern und Sälen der deutschen Gerichte zu beenden. Denn der „Deal“ wirft schwerwiegende Probleme auf.

    Erstens: Der Täter bestimmt mit, wie hoch seine Strafe ausfällt. Der Kuhhandel setzt nach Paragraf 257c der Strafprozessordnung eine Zustimmung aller Prozessbeteiligten voraus – also auch die des Angeklagten. Je nach Verhandlungsgeschick und -masse kann ein Rabatt von bis zu einem Drittel herauskommen. Ist das der Sinn eines Strafprozesses?

    Zweitens: Umgekehrt besteht das hohe Risiko, dass der Angeklagte zu einem Geständnis genötigt wird. Ja sogar, dass er etwas gesteht, was nicht der Wahrheit entspricht, nur um einer höheren Strafe zu entgehen. In einem der konkreten Fälle, die in Karlsruhe heute analysiert werden, musste sich ein junger Polizist zwischen einer zweijährigen Bewährungsstrafe und vier Jahren Gefängnis entscheiden. Raten Sie, wie er entschieden hat. Später widerrief er sein Geständnis. Die Drohung mit der langen Strafe habe ihn dazu bewogen, etwas zuzugeben, das er nicht getan hat.

    Drittens: Die Deal-Regelung ist nicht gerecht. Sie bevorzugt eindeutig Angeklagte in komplizierten Verfahren, die sich teure Anwälte leisten können. Mit anderen Worten: Wirtschaftskriminelle. Da gibt es viel aufzuklären, aber eben auch viel Verhandlungsmasse für einen Deal. Der „einfache“ Straftäter, der schon bei der Polizei gesteht, ist der Benachteiligte. Es gibt einen zynischen Spruch unter Juristen, der den Kern aber trifft: „Das normale Strafverfahren ist nur noch etwas für die Armen und/oder für die Doofen.“ Hier droht letztlich eine Zwei-Klassen-Justiz, die sicher nicht im Sinne der Verfassung ist.

    Viertens: Die Erforschung der Wahrheit bleibt auf der Strecke. Obwohl eindeutig im Gesetz steht, dass das Gericht auch bei einem Deal zur umfangreichen „Erforschung der Wahrheit“ verpflichtet ist, geschieht dies meist nicht. Das ergibt auch eine Studie, die das Bundesverfassungsgericht eigens für die heutige Verhandlung in Auftrag gegeben hat. Demnach halten sich die Richter bei den Deals überwiegend nicht an das Gesetz aus dem Jahr 2009. Sie machen beispielsweise den Rechtsmittelverzicht zum Teil des Deals, obwohl dies ausdrücklich verboten ist.

    Anfangs galt der „Deal“ noch als eine Art Notwehr überlasteter Gerichte. Doch er hat sich zum bestimmenden Prinzip des Strafprozesses entwickelt. Das ist nicht gut. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich heute mit der Frage, ob die Absprache verfassungsgemäß ist. Am Ende wird es aber auch um die Frage gehen, wie viel der Politik ein Strafprozess nach rechtsstaatlichem Prinzip noch wert ist. Denn eines ist klar: Eine Justiz, die ohne den Deal arbeiten muss, würde deutlich mehr kosten.

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