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Kann Merkel mit Gabriel?

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Kann Merkel mit Gabriel?

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    Kann Merkel mit Gabriel?
    Kann Merkel mit Gabriel?

    Es ist, ein wenig, wie in einer guten Ehe. Wenn er in seinem Eifer jeden Euro gleich zweimal ausgeben will, holt sie ihn auf den Boden der Tatsachen zurück, weil zuerst die Miete, das Essen und die Raten für das Reihenhaus bezahlt werden müssen – umgekehrt ist es genau dieses Temperament, das sie an ihm bewundert, weil es ihrem Leben etwas von seiner Routine nimmt und es dadurch aufregender wird. Bei vielen Paaren macht ja erst diese Unterschiedlichkeit den Reiz aus – hier Angela Merkel, die Kopfpolitikerin, und dort Sigmar Gabriel, der Bauchmensch.

    Jede Koalition ist nur so gut wie das Verhältnis ihrer Protagonisten. Sie müssen sich nicht duzen, sie müssen sich nicht groß mögen und auch nicht immer einer Meinung sein – aber sie sollten sich respektieren und einander vertrauen können. Nach allem, was aus den Gesprächen bis gestern Abend durchgesickert ist, musste dazu niemand über seinen Schatten springen. Die Kanzlerin, der SPD-Vorsitzende und CSU-Chef Horst Seehofer kennen sich lange genug, um zu wissen, was sie sich wechselseitig zumuten können. Anders als Guido Westerwelle, der auch viele seiner neuen Partner vor vier Jahren mit seiner rechthaberischen, lauten Art verprellt hatte, hat Gabriel deshalb nach der Methode Merkel verhandelt: ruhig, unaufgeregt und sich selbst zurücknehmend – zumindest nach außen hin.

    Natürlich verfolgt der frühere Umweltminister auch eigene Ziele, er will schließlich noch Kanzler werden. Dazu aber muss er nicht nur beweisen, dass Sozialdemokraten sich nicht vor der Verantwortung drücken. Er musste auch, so paradox das klingt, seinen Frieden mit der Amtsinhaberin machen, die bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr seine Koalitionspartnerin, sondern seine Kontrahentin sein wird. Nachdem Gabriel vor drei Jahren Journalisten einen Teil seiner SMS-Korrespondenz mit ihr gezeigt hatte, war das bis dahin gute Verhältnis der beiden empfindlich gestört: Aus Wut über die Indiskretion ignorierte die Kanzlerin ihn monatelang. Mittlerweile reden sie zwar wieder ausgesucht freundlich mit- und übereinander, ein Schuss Misstrauen aber ist bei der CDU-Chefin stets dabei. Aus ihrer Sicht hat Gabriel noch eine Bringschuld.

    Vier Jahre nach dem Ende der letzten Großen Koalition steht nun auch ihre ganz persönliche Arbeitsbeziehung vor einer neuen Bewährungsprobe. Gelingt es Gabriel, Loyalität und Ehrgeiz in Balance zu halten? Hat sie die Courage, ihm gelegentlich seine Grenzen aufzuzeigen? Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Je näher die nächste Wahl rückt, umso größer werden die Fliehkräfte sein, nicht nur in der SPD ganz allgemein, sondern auch bei Gabriel selbst. Irgendwann wird sie ihn nicht mehr auf den Boden der Tatsachen holen können, weil er nur noch auf eigene Rechnung arbeitet.

    Die Gunst des Augenblicks nutzen – das können sie beide. So unterschiedlich ihre Ziele, ihre Interessen und Herangehensweise sein mögen: Die Aufstiege von Angela Merkel und Sigmar Gabriel in den Olymp der Bundespolitik beginnen auf ähnlichem Grund, nämlich in den Trümmerlandschaften ihrer eigenen Parteien. Die Karriere der Kanzlerin wäre ohne die Spendenaffäre der CDU so kaum möglich gewesen. Gabriel wiederum wurde nach dem 23-Prozent-Debakel im Herbst 2009 genauso aus Mangel an Alternativen SPD-Chef, wie Horst Seehofer im Jahr zuvor das Vakuum in der CSU nach der Schlappe bei der Landtagswahl hatte füllen müssen. Für eine Koalition ist das womöglich nicht genug an Verbindendem – aber zumindest ein Anfang.

    Die Kanzlerin und der SPD-Chef wissen jedenfalls, worauf sie sich einlassen. Guido Westerwelle wusste es vor vier Jahren nicht.

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