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Ein Vorsitzender gewinnt Format

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Ein Vorsitzender gewinnt Format

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    Sie kamen, und sie gingen. Eben noch als Heilsbringer gefeiert, verschwanden sie schnell wieder in der Versenkung. Zwölf Vorsitzende (einschließlich kommissarischer Parteichefs in Übergangszeiten) hatte die SPD seit dem Rücktritt ihres legendären Übervaters Willy Brandt im Juni 1987, das ergibt eine durchschnittliche Amtszeit von 2,2 Jahren.

    Ausgerechnet Sigmar Gabriel, der nach dem Wahldesaster 2009 eine nach elf Regierungsjahren erschöpfte und zutiefst verunsicherte Partei übernahm, hat die Sozialdemokraten aus dem tiefen Tal der Tränen geführt und wieder Ruhe und Kontinuität in die älteste Partei Deutschlands gebracht. Als Parteichef ist Gabriel unumstritten, trotz der mäßigen, aber ehrlichen 83,6 Prozent, mit denen er gestern auf dem Leipziger Parteitag im Amt bestätigt wurde. Ein Jahr noch, und er wird der Vorsitzende mit der längsten Amtszeit seit Willy Brandt sein. Ihm scheint es zu gelingen, seine Partei nach nur vier Jahren auf den harten Bänken der Opposition wieder in die Regierung zu führen. Zur Erinnerung: Zwischen der Abwahl Helmut Schmidts und dem Wahltriumph Gerhard Schröders lagen einst 16 lange Jahre der Ohnmacht.

    Manchem hätte man dies zugetraut, nicht aber Sigmar Gabriel, der als sprunghaft und unberechenbar gilt, ein emotionaler Bauchpolitiker, der gerne zuerst redet und dann erst nachdenkt und sich auf diese Weise immer wieder selber ein Bein stellt. Ein Politiker, der trotz seiner Erfahrung als Ministerpräsident und Umweltminister (und trotz seiner Körperfülle) als ein Leichtgewicht abgetan wird. Doch Gabriel hat alle seine Kritiker und Gegner eindrucksvoll widerlegt. Er hat die chronisch unberechenbare und sich gerne mit sich selbst beschäftigende SPD geeint, den Konflikt mit den Gewerkschaften beigelegt, die Flügel leidlich befriedet und seine Truppe mit überraschender Geschlossenheit in die Koalitionsverhandlungen mit der Union geführt. Er – und nicht die Wahlsiegerin Angela Merkel – gibt den Ton an, weil er im Gegensatz zur Kanzlerin, die lediglich am Machterhalt interessiert ist, eine klare Agenda hat und diese in den Arbeitsgruppen auch durchzusetzen weiß. Der Koalitionsvertrag wird die Handschrift der SPD tragen.

    Doch für den gewieften Strategen Gabriel ist die Regierungsbeteiligung an der Seite der Union lediglich ein Zwischenschritt, ein notwendiges Übel mit Blick auf das Jahr 2017. Auf dem Leipziger Parteitag hat er das ebenso ehrgeizige wie anspruchsvolle Ziel formuliert, die SPD wieder mehrheitsfähig zu machen – indem aus mathematischen Mehrheiten im Parlament auch eine politische Mehrheit wird. Für die Zukunft rot-rot-grüne Bündnisse einzukalkulieren, stellt den linken Flügel zufrieden, ist aber reine Rhetorik und bleibt so lange folgenlos, solange die Linkspartei nicht von ihrer Fundamentalopposition abrückt.

    Wichtiger ist Gabriel, seine SPD wieder gesellschaftlich auf die Höhe der Zeit zu bringen. Offen und ehrlich hat er die Defizite beschrieben und die tiefe kulturelle Kluft zu den Leistungsträgern und Erfolgreichen der Gesellschaft als Hauptgrund für die Wahlniederlage benannt. Sozialkompetenz allein reicht nicht, Wirtschaftskompetenz muss dazukommen.

    Sigmar Gabriel mutet seiner Partei viel zu. Er will sie öffnen – für Junge, Aufsteiger, Existenzgründer, sogar für Gutverdiener und Unternehmer, schlicht für die Mitte der Gesellschaft. Denn nur da werden Wahlen gewonnen. Willy Brandt würde es gefallen. Er hat einst vorgemacht, was nun Gabriel wiederholen will – erst Juniorpartner in einer Großen Koalition und Vizekanzler, danach Bundeskanzler.

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