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Das grüne Dilemma

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    Das grüne Dilemma
    Das grüne Dilemma

    Eine Partei ist ein komplizierter Mikrokosmos. Solange es halbwegs läuft und die Wahlergebnisse stimmen, verhält sie sich nicht anders als die meisten Deutschen auch. Sie richtet sich im Hier und Jetzt ein, sie scheut Veränderungen und ist mit dem, was sie erreicht hat, im Großen und Ganzen zufrieden. In dem Moment jedoch, in dem sie eine Wahl verliert, bahnen sich über Nacht Kräfte ihren Weg, die mit dem Adjektiv „eruptiv“ nur sehr unzureichend beschrieben sind. Dann stellt die Partei plötzlich alles infrage. Politisch. Und personell.

    Verglichen mit der Eigendynamik, die sich bei den Grünen gerade entwickelt, ist der Neuanfang bei den ungleich stärker gebeutelten Liberalen eine strategische Kleinigkeit. Die FDP hat lediglich einen in Ehren ergrauten Spitzenkandidaten und einen nicht allzu populären Parteichef verloren. Bei den Grünen dagegen zieht sich mit Claudia Roth, Jürgen Trittin und Renate Künast eine ganze Generation in die zweite Reihe zurück. Eine Generation, der die Partei den Aufstieg aus der außerparlamentarischen Opposition in nahezu alle Parlamente der Republik maßgeblich zu verdanken hat. Eine Generation aber auch, die sich genau deshalb lange Zeit etwas zu sicher gefühlt hat.

    Wie wenig die alten Gewissheiten noch wert sind, zeigt nichts besser als das dürre Wahlergebnis von 8,4 Prozent. Anders als Trittin dachte, zahlen auch die Anhänger der Grünen nur ungern mehr Steuern. Anders als Renate Künast dachte, essen sie vielleicht gerne fleischlos, aber eben nicht auf Kommando. Und anders als Claudia Roth dachte, tickt die Republik längst nicht so links wie die Parteichefin selbst. Grün zu fühlen, grün zu denken – das bedeutet heute nicht zwangsläufig, die Hartz-IV-Sätze für zu niedrig zu halten und einen Mindestlohn für eine politische Unausweichlichkeit. Dazu kommt die Pädophilie-Debatte, die nicht nur Trittin unterschätzt hat. Grünen-Wähler haben seit jeher besonders hohe moralische Ansprüche, außerdem sind unter ihnen besonders viele Familien mit kleinen Kindern. Der etwas sorglose Umgang der Partei mit dem heiklen Thema muss sie noch mehr verstören als kinderlose Wähler.

    Alles zusammen verdichtet sich zu einem fatalen Bild: Trotz ihrer Erfolge bei einer Reihe von Landtagswahlen sind die Grünen nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie denken noch zu starr in den alten, rot-grünen Kategorien. Sie haben sich, vor allem in der Steuerpolitik, von den Sozialdemokraten in eine Art Geiselhaft nehmen lassen und darüber eines ihrer Herzensthemen, den Klimaschutz und die Energiepolitik, vernachlässigt. Wer, wenn nicht sie, sollten eine Idee von einer nachhaltigen, bezahlbaren Stromversorgung haben? Tatsächlich wirken die Grünen häufig nur wie die letzten Verteidiger der teuren Solarförderung – als ob die Opferbereitschaft in ihrem Milieu keine Grenze kennen würde.

    Auch schwarz-grünen Koalitionen wird sich die neue Generation von Grünen, die jetzt in wichtige Partei- und Fraktionsämter nachrückt, nicht mehr lange verweigern können. Es mag ja sein, dass im Moment noch kein Weg zu Angela Merkel und Horst Seehofer führt. Aber gilt das auch für den Fall, dass eine Große Koalition nicht die vollen vier Jahre hält? So selbstverständlich wie die SPD sich gerade nach links zu öffnen beginnt, müssen auch die Grünen das vermeintlich Undenkbare denken: einen Bund mit den Bürgerlichen. Für Grüne, die wie Claudia Roth oder Jürgen Trittin in Gorleben, Mutlangen und Wackersdorf politisch sozialisiert wurden, sieht das vielleicht wie ein Verrat an den alten Idealen aus. Für viele jüngere Grüne dagegen wären solche Allianzen nur Mittel zum Zweck – nämlich grüne Ideen zu verwirklichen.

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