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Boykott und Kritik: Der Papst in Deutschland

Boykott und Kritik

Der Papst in Deutschland

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    Der Papst in Deutschland
    Der Papst in Deutschland

    Den Boykott der Papstrede und die Proteste sollte man gelassen sehen. Sie sind ein Stück gelebte Meinungsfreiheit. Ob das alles schlechter Stil ist, verbunden mit intellektueller Ignoranz gegenüber einem der klügsten Köpfe der Gegenwart – das ist Ansichtssache. Man muss den Kritikern aber zwei Gedanken entgegenhalten. Erstens: In vielen Ländern werden Christen verfolgt. Eine Rede des Papstes würde dort bejubelt, aber die Machthaber lassen sie nicht zu. Von der Freiheit, die die Demonstranten in Berlin ausleben werden, können verfolgte Christen nur träumen.

    Und: Es ist primitiv, die Kirche auf ihre Sexualmoral zu reduzieren. Kirche ist viel mehr. Kirche ist Weggemeinschaft, Kirche ist das soziale Gewissen, das im entfesselten Kapitalismus mehr denn je gebraucht wird. Dass Marxismus und Christentum zwei Parallelen sind, die sich im Unendlichen schneiden, überrascht nur den, der sich mit beidem zu wenig beschäftigt hat.

    Im Übrigen ist der Protest auch einfach Ausdruck gesellschaftlicher Realität: Die Kirche findet sich in einem antikatholischen, manchmal auch antireligiösen Klima wieder. Sie muss erst noch lernen, sich als Minderheit zu behaupten.

    Das feindselige Klima ist ein Problem, aber nicht das einzige. Ein anderes Problem ist der Zustand der Kirche selbst. Die katholische Kirche in Deutschland ist gespalten. Diese Spaltung verläuft quer durch die Bischofskonferenz, quer durch jede Pfarrgemeinde. Ob die Spaltung mit „rechts“ und „links“ richtig beschrieben ist, steht dahin. Jedenfalls misstrauen viele deutsche Bischöfe dem Papst, und der

    Ist das Schwarzmalerei? In dieser Betrachtung kommt sicher zu kurz, was gut und wichtig ist. Es gibt lebendige Gemeinden, lokale Aufbrüche und wunderbare Priester und Ordensleute. Und mancher – wie bewundernswert – setzt dem lauten Streit sein stilles Gebet entgegen. Das ändert aber nichts an dem Befund, dass die katholische Kirche an vielen Stellen vom Streit gelähmt ist. Was kann der Papstbesuch daran ändern? Vermutlich wenig. Viele Deutsche erwarten von ihm Reformen und verstehen nicht, dass seine Aufgabe gar nicht darin liegt, populäre Mehrheitsmeinungen ins Werk zu setzen, sondern darin, den christlichen Glauben unverfälscht weiterzugeben.

    Dennoch wird, wer nicht borniert ist, sich von diesem Augenblick berühren lassen: Der deutsche Papst spricht im Reichstag, dort wo Hitler der Welt den Krieg erklärte, wo Otto Wels seine verzweifelte Rede hielt. Joseph Ratzinger, selbst noch Zeitgenosse Hitlers, steht mit seiner Biografie auch für Untergang und Wiederaufstieg Deutschlands. Keiner, der 1945 erlebt hat, hätte sich vorstellen können, einen Deutschen auf dem Heiligen Stuhl zu sehen. So schließt sich mit der Papstrede im Reichstag ein historischer Kreis. Man muss nicht katholisch sein, um diesen Augenblick mit Freude und innerer Bewegung zu verfolgen.

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