„Konkrete Poesie“, das ist inhaltsschwere Kunst aus Buchstaben und Zahlen: Was wie willkürlich angeordnet wirkt, verbirgt tieferen Sinn und gibt diesen erst bei näherem und längerem Betrachten preis. Der Kunstraum Stoffen ermöglicht es Interessierten, noch bis Ende April Arbeiten in dieser besonderen Kunstform zu betrachten und sich damit auseinanderzusetzen. Die kleine Galerie im südlichen Landkreis kann, wie Galerist Otto Scherer bei der Vernissage verriet, mit dieser aktuellen Schau gleich drei Jubiläen feiern. „Seit zehn Jahren gibt es den Kunstraum Stoffen und die aktuelle ist die mittlerweile dreißigste Ausstellung.“
Den „Hundertsten“ eines der ausstellenden Künstler gibt’s als Extrazuckerl obendrauf: Es ist Eugen Gomringer, der als Begründer der Konkreten Poesie gilt. Gomringer, der vor einigen Jahren mit einem an der Fassade einer Berliner Hochschule angebrachten, angeblich sexistischen Gedicht für negative Schlagzeilen sorgte, lebt seit mehr als 40 Jahren in der oberfränkischen Stadt Rehau. Dort prangt das umstrittene Gedicht, gut beleuchtet, längst an der Fassade eines Gebäudes im Zentrum von Rehau.
Und auch im Kunstraum Stoffen kann es inmitten einer ganzen Reihe weiterer konkret poetischer Arbeiten von Gomringer gelesen, bewundert oder auch darüber diskutiert werden. Letzteres geht sehr gut auch bei dem rätselhaften „zahl5678“: Birgt diese Poesie ein Geheimnis? Kann etwas entschlüsselt werden oder ist es doch „nur“ ein Bild? Einfach zu verstehen sind die mehrfach aufgeführten Buchstaben „w – i – n – d“. Einem Knäuel gleich liegen sie auf dem Papier und suggerieren doch Wind in all seinen Zuständen, von der leichten Brise bis zu Sturmböen. Oder „schweigen“ – dieser Zustand ist nur da, wo das Wort Pause macht, wo eine Leerstelle ist zwischen den Worten „schweigen“.
Eine Bildsprache, die den Betrachter beim Entschlüsseln fordert
Eine besondere Beziehung zu Gomringer hat Ivo Ringe. Anlässlich einer Ausstellung in Rehau hat der 100-Jährige ein Sonett geschrieben, mit dem er Arbeiten des in Köln lebenden Künstlers treffend charakterisiert. Beides, Ringes Kunst und das dazu gehörende Sonett von Gomringer, ist in Stoffen zu sehen. Jürgen Wolff hat gemeinsam mit Gomringer Kunst geschaffen. In Stoffen beeindruckt das Projekt „zu – auf“ mit einer Bildsprache, die den Betrachter beim Entschlüsseln ein wenig fordert.
Fröhlich-humorvoll ist die konkrete Poesie von Bettina Hutschek. Die Berlinerin hat mit den Typen einer einfachen Schreibmaschine „gemalt“. So entstand beispielsweise eine Regenwolke, die gerade ihr Wasser verliert. Hübsch und ans Herz gehend ist die Verbrüderung von West und Ost, in dem sie die mit der für uns normalen Schreibmaschine von links nach rechts tippte und mit einer arabischen Maschine das ganze von rechts nach links überschrieb.

Klar, exakt, genau hat Ingrid Hornef Stifte auf einer Platte angeordnet. Und doch ist zunächst nur Chaos zu sehen. Erst im richtigen Blickwinkel und bei exakter Beleuchtung erscheinen Worte. Der Grafiker Ludwig Gebhard (+), viele Jahre in Landsberg zu Hause, ist in der Schau ebenfalls mit einigen Arbeiten vertreten. Klare Linien, Geometrie in vornehmlich schwarz und weiß, Würfel, die durch die unterschiedliche Anordnung von Farbe ihr Aussehen komplett verändern, das ist die Vorliebe von Ilse Aberer. Babak Saed lässt mit farbigem Acrylglas Buchstaben zu Worten zusammen fließen. Er setzt damit geschwungene Farbtupfer in den Flur der Galerie.
Die Schau macht deutlich, was Laudatorin Birgit Kremer bei der Vernissage sagte: „In der Konkreten Poesie verliert der Buchstabe seine Funktion als Bedeutungsträger. Es geht einzig um den Buchstaben an sich, nicht um oder noch deutlicher, über ein Gedicht, einen Aufsatz, einen Roman. Konkrete Poesie ist ein Spiel mit den Möglichkeiten von Lettern.“
„Konkrete Poesie“ im Kunstraum Stoffen; Öffnungszeiten bis einschließlich Sonntag, 27. April, samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden