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Simultanschach: Durchhalten anstatt besiegen

Simultanschach

Durchhalten anstatt besiegen

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    Konzentriert betrachtet Helmut Pfleger die Konstellation der Figuren. Der Schach-Großmeister erkennt sofort die Verknüpfung und macht seinen Zug.
    Konzentriert betrachtet Helmut Pfleger die Konstellation der Figuren. Der Schach-Großmeister erkennt sofort die Verknüpfung und macht seinen Zug.

    Schondorf Ein kurzer Blick vom Schach-Großmeister Helmut Pfleger, und das Pferd springt auf F 6. Der Bub, der mit hochrotem Kopf vor dem Schachbrett sitzt, hat nun so lange Zeit, sich seinen nächsten Zug zu überlegen, bis Schachgegner Helmut Pfleger 29 andere Züge gemacht hat. Pfleger spielt Simultanschach – gegen 30 Schüler, Lehrer und Altschüler des Landheims Schondorf.

    Der 69-jährige Schach-Großmeister stand im samtschwarzen Anzug mit rotem Pullunder und eingesteckter Krawatte in der Mitte der U-förmig angeordneten Tische in der Aula des Landheims. Rund- herum blickte er in die Gesichter von Schülern in lässigen Pullis und in die Gesichter von Herren in schwarzen Anzügen. Sie alle schmunzelten, als Pfleger unsicher darüber, wie er seine Schachgegner ansprechen soll, sagte: „Ich bin völlig verwirrt, ich weiß gar nicht, ob Du – oder ihr – oder Sie.“ Insgesamt hatten sich 18 Schüler des Landheims und zwei Schüler der Realschule Schondorf angemeldet. Dazu kamen zehn Altschüler oder Lehrer des Landheims.

    Schwarz oder weiß – die Farbe seiner Figuren durfte jeder Teilnehmer selbst wählen. Der Großmeister reichte jedem die Hand, bevor er seinen ersten Zug machte. Auf den Tischen lagen 30 identische Schachbretter, die weniger einem Brett ähnelten, sondern vielmehr einer dünnen Plastikplatte. „Dr. Pfleger wollte mit einheitlichen Bretten spielen, da das sonst unangenehm für die Augen ist“, sagte Dijana Dengler, Initiatorin und Leiterin der Schachakademie München. Der Elternbeirat des Landheims Schondorf hatte den Kontakt zu ihr hergestellt. Sie kennt Pfleger persönlich und organisierte zusammen mit der Schule die Veranstaltung im Landheim.

    Nachdenken über den nächsten Zug

    Mit einem leichten Lächeln drehte Pfleger seine erste Runde. Trotzdem wirkte er konzentriert. Vor dem Zug waren seine Augen nur auf die Schachfiguren fixiert, nach dem Zug glitt sein Blick immer in die Augen seines Schachgegners. Dann ging er zum Nächsten. Nach der ersten Runde standen bereits die von Pfleger geschlagenen Figuren neben dem schwarz-weißen Spielfeld. Einer der Schüler presste die Lippen zusammen. Er hatte gerade seine Dame verloren. Mit den Händen stützte er seinen Kopf ab und dachte über den nächsten Zug nach. Deprimiert schien er deswegen nicht zu sein. Auch der 17-jährige Vincent konnte nachfühlen, wie es seinem Tischnachbarn ging. „Es ist eigentlich klar, dass man verliert. Es geht ums Durchhalten“, sagte er. Dafür musste er sich schon wieder eine neue Taktik überlegen. „Ich hatte eine, aber die ist jetzt weg“, sagte er nach dem Zug von Pfleger. So ging es vielen. Wolfram Peltz, Studienfreund von Helmut Pfleger und ehemaliger Landheimer, saß ebenfalls unter den Gegnern. Seit über zehn Jahren hatten sich die beiden nicht mehr gesehen. Über den Großmeister sagte Peltz: „Sehr humorvoll, guter Typ, kein Verbissener.“

    Wo Pfleger gerade nicht am Zug war, überlegten sich die Kinder eine ausgefuchste Taktik, wie sie den Großmeister besiegen könnten. Manche beratschlagten sich, andere hörten mit dem MP3-Player Musik, einige aßen die Nüsse und Trockenaprikosen im Glasschälchen leer. „Im Gegensatz zu anderen Schachturnieren ist es hier sehr laut“, stellte Dengler fest, als eine Lehrerin beim Thema Lautstärke nur abwinkte und sagte: „Im Vergleich zu sonst ist es hier sehr ruhig.“ Am stillsten waren die Zuschauer, die von der Galerie oberhalb auf die Tische herabblickten, während die Hausmutter der Internatsschüler durch die Reihen huschte und ihren Schützlingen Mut zuflüsterte.

    „Man kann lebenslang Schach spielen. Es wird nie langweilig“, sagte Dengler. Die bosnische Nationalspielerin spiele bei Meisterschaften pro Tag eine Partie, die vier bis sechs Stunden dauere, plus drei Stunden Üben am Schachcomputer. Das Gehirn brauche dabei sehr viel Energie. Das sei Leistungssport. Sie empfiehlt: „Damit man gut Schach spielt, sollte man viel Sport machen.“

    Pfleger gibt den Kindern auch Tipps

    Alle waren erstaunt über Pflegers Schnelligkeit: Ein Gedanke, ein Zug – innerhalb von Sekunden machte er seine Schachzüge. Nur manchmal fasste er sich mit der Hand an den Hinterkopf seiner lichten grauen Haare, kratzte sich und vermittelte dabei wirklich den Eindruck, er würde für kurze Zeit nachdenken. Meist erkenne er sofort die Verknüpfung der Figuren, schilderte Dengler. Wenn Pfleger grobe Spielfehler der jungen Schachgegner bemerkte, gab er den Kindern Tipps. „Ich hab’ schon ein paar Mal zurücknehmen lassen, wenn die Kinder Züge übersehen“, sagte er.

    Manche der 12- bis 17-Jährigen traten selbstbewusst gegenüber dem Schach-Großmeister auf: „Ich hab’ ihn bald matt“, war zu hören. Der Leiter des Landheims, Helmuth Aigner, sagte trocken: „Ich bin kurz vor dem Sieg, aber der Gegner weiß es noch nicht.“ Was der Gegner alles wusste, überraschte die Kinder: „Mist, jetzt hat er meinen Trick gesehen“, schimpfte ein Bub, als Pfleger seinen Zug gemacht hatte. Die zehn Minuten lang ausgekügelte Taktik in der Abwesenheit des Schach-Großmeisters war mit einem Mal zunichte. Ein anderer glaubte, Pflegers Strategie zu kennen und sagte: „Ich hab’ deinen Plan durchschaut.“ Pfleger antwortete mit einem süffisanten Grinsen und klatschte die Hände ineinander: „So was Dummes. Vielleicht hast du recht. Vielleicht nicht. Aber an deinem Feld passiert etwas.“

    Nicht nur an diesem Feld tat sich einiges. Immer mehr Schachfiguren sammelten sich am Spielfeldrand an, und immer mehr leere Stühle in den Reihen waren zu sehen. Die Kinder wurden ungeduldig, mussten sie doch immer eine Zeit lang warten, bis ihr Schachgegner wieder vor ihnen stand. Sobald jemand Schachmatt war und seinen Platz verlassen hatte, begann Dijana Dengler Dame, König, Läufer, Turm, Pferd & Co. wieder auf die Startpositionen zu stellen. Nach zweieinhalb Stunden hatte Pfleger alle Schach-Partien gewonnen, nur ein Spiel endete Remis.

    Im Internet

    www.landheim-schondorf.de

    www.mucschach.de

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