Bonn war noch die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, die Wehrpflicht für männliche deutsche Staatsbürger wurde gerade beschlossen und Konrad Adenauer ging nach zehntägiger Weihnachtspause wieder seinen Pflichten als Kanzler nach.
68 Jahre ist die Ausgabe des Landsberger Tagblatts - damals noch Landsberger Zeitung – alt, die Franz Vogt aus Obermühlhausen von seinem Nachbar erhalten hat. Bei Renovierungsarbeiten in seinem Elternhaus hatten die neuen Besitzer in der Dämmung der Decke die vergilbte und von Mäusen angeknabberte Doppelseite gefunden. Der Name Georg Vogt ist in rosafarbener Tinte auf die rechte Ecke der Titelseite geschrieben. „Das ist der Name meines Großvaters“, erzählt der 59-Jährige. Warum der Großvater die Zeitung versteckt habe, wisse er nicht. Vermutlich habe der damals 52-jährige Großvater die Ausgabe bei eigenen Renovierungsarbeiten für die folgenden Generationen hinterlassen. „Das liegt wohl irgendwo in der Familie, weil ich hier auch etwas versteckt habe“, verrät Vogt. Er habe auf einem verborgenen Balken in seinem Haus seinen Namen und das Datum hinterlassen. Weil er und seine Frau Marlies diesen Fund bemerkenswert und kurios fanden, haben sie ihn an unsere Redaktion weitergeleitet.
Das Landsberger Tagblatt wird in der Familie Vogt in Obermühlhausen bis heute gelesen
Auch wenn die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat, sind die Texte noch gut zu entziffern. „Eine zweite Russeninvasion in Österreich. Dieses Mal nicht die Rote Armee, sondern ein Schwarm von Zivilisten“, lautet eine der Überschriften. Und der Text „Der Kiebitz“ thematisiert nicht etwa den Vogel, sondern die Rolle der Zuschauer von Brett- und Kartenspielen, wie etwa beim Skat oder Schach.
Doch neben der überregionalen Politik und dem Feuilleton enthielt die Landsberger Zeitung einen Lokalteil. Eben den Teil, der die Zeitung für viele Leser so lesenswert macht. Auch Vogt liest das Landsberger Tagblatt vor allem für die regionalen Inhalte. „Alles andere steht ja in jeder anderen Zeitung auch drin“, meint er. Leider sind genau diese Seiten im Obermühlhauser Exemplar nicht mehr erhalten. Deshalb hat die Redaktion im Landsberger Stadtarchiv gestöbert, die lokalen „Neuigkeiten“ aus der Ausgabe vom 3. Januar 1956 heraus gekramt und ist dabei auf so einige Schlagzeilen gestoßen.
In Landsberg ereignete sich eine dramatische Szene am Lech. Dort schossen nämlich Buben mit „Pfeilen und Feuerwerkskörpern“ auf friedlich schwimmende Schwäne. Zur Rettung der Tiere eilten andere Jungen, die „‘die Schützen‘ richtiggehend (…) wegprügelten.“ Der Autor kommentierte die Rettungsaktion: „Allen Respekt vor diesen Jungen, die erkannt haben, wie schön und nett diese Wasservögel auf dem Lech sind.“ Grund zum Feiern hatte Anfang 1956 der Landsberger Ortsverein der SPD, der ein Fest zur zehnjährigen Wiedergründung am 6. Januar ankündigte.
Der Zweite Weltkrieg lag 1956 erst wenige Jahre zurück
Dass die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch stark präsent waren, liest man in dem Bericht über eine Ehrung des Entomologen Prof. Dr. Fritz Skell. So erinnerte man sich, dass „der Hauptteil seiner Schmetterlingssammlung den Bomben zum Opfer fiel.“ Die Dießener Sammlung habe jedoch überlebt und sei immer noch „überaus bedeutend“. Auch über Themen der Wirtschaft wurde berichtet: Demnach habe sich die „Arbeitslosenzahl in der Arbeitsamt-Hilfsstelle Dießen mehr als verdoppelt“, die Facharbeiter in der bayerischen Metallindustrie konnten sich freuen, dass ihr Ecklohn von 1,56 DM auf 1,67 DM pro Stunde erhöht wurde, was einer Steigerung um sieben Prozent entsprach.
Im Sportteil wurde der Titelkampf um die „Mittelschwäbische Mannmeisterschaft“ angekündigt. Dabei traten SK-Klosterlechfeld gegen den FT Jahn-Landsberg 1 und der Tabellenführer SK Krumbach gegen den TSV Schwabmünchen an. Aber nicht im Fußball, Handball oder Eishockey, hier ging es um den Denksport Schach.
Die Zeitung berichtet über eine "zwerchfellerschütternde Darbietung" in Grünsink
In Dießen wurden die neuen Namen der beiden Kinos, „Post-Lichtspielhaus“ und „Kapitol-Filmtheater“, vorgestellt. In Landsberg begrüßte man die „ersten Erdenbürger des Jahres 1956“. Auch eine Nachricht zu Obermühlhausen ist zu finden. Es wurde von einer Silvesterfeier in Grünsink mit vorwiegend Obermühlhauser Gästen berichtet. Dort traten auch die Obermühlhausener Sänger und der Dießner Komiker Karl Geißenhof mit einer „zwerchfellerschütternden Darbietung“ auf. Ob die Erinnerung an dieses Fest womöglich der Grund für das Verstecken war?
Auch wenn die Texte kürzer und die Sprache „robuster“ waren, erfüllt die damalige Zeitung bis heute ihren Zweck. Sie informiert und unterhält die Leser. Und wer weiß, vielleicht wird auch die heutige Ausgabe des Landsberger Tagblatts nach Jahrzehnten bei Renovierungsarbeiten gefunden und ermöglicht dem Finder oder der Finderin einen Einblick in unser Tagesgeschehen.