Windach Der Misserfolg als Chance, „sich selbst einmal unverklärt in die Augen zu schauen“, davon spricht Konstantin Wecker in seinem neuen Buch „die Kunst des Scheiterns“. Eine Kunst, die der 63-jährige Liedermacher exzessiver zelebriert hat als andere: Mitte der 1990er-Jahre bestimmten weniger Weckers neue Songs die Schlagzeilen, denn seine Kokainsucht.
Ein geläuterter, altersweiser Revoluzzer, der hier im Pfarrsaal in Windach zugunsten des Kinderheims von Lajedão/Brasilien liest und milde Worte zur Weihnachtszeit hören lässt?
Nein, Gott sei Dank nicht. Weckers Empörung über die gesellschaftlichen Verhältnisse hält unvermindert an: „Das ist die Nacht-seite einer Gesellschaft ..., die in ihren Einkaufspalästen Produkte feilbietet, deren obszöne Preise jedem hart arbeitenden Menschen die Zornesröte ins Gesicht treiben müsste. Doch kaum jemand wird wütend. Fast alle träumen davon, sich das auch alles mal leisten zu können, ... Das Prekariat begehrt nicht auf.“
Applaus beim rund 250-köpfigen Publikum. Dass viele alte Wecker-Fans gekommen sind, wird schon zu Beginn deutlich, als der Künstler verspricht „a paar Liadl sing I scho“, und dafür begeisterte Zustimmung erntet. Franz Hämmerle aus Windach hat den Flügel zur Verfügung gestellt, die Firma Niedermeier ihn kostenlos transportiert, wie Hans Nützel vom „Eine-Welt-Förderkreis zur Einführung berichtet.
Als Mensch und Künstler
Ein Mensch und Künstler, der nicht nur durch Münchner Charme und seine Fähigkeit zu unterhalten besticht, sondern in seiner Prosa eine künstlerische Wahrnehmung von Welt offenbart, die schon im Kind angelegt ist. Wecker beschreibt eine Sehnsucht „nach dem Unbekannten, Unerklärlichen, Unverfügbaren, Namenlosen“. Die erste Begegnung mit dem Wunderbaren habe ihm Beethovens Violinkonzert mit zwölf Jahren beschert.
„Und schon bald konnte ich die Töne sehen, die Klänge schmecken und jedes einzelne Instrument des Orchesters deutlich erleben. Ich hatte damals wirklich das Gefühl, meinen Körper zu verlassen und mit den Tönen eins zu werden.“ Eine Sehnsucht, die den Buben hinaustrieb, immer wieder riss er aus, obwohl er „tolle Eltern hatte“. In der Realität kam er erst mit 17 Jahren an, als in Stadelheim die Gefängnis-türen hinter ihm zuschlugen. Er hatte mit einem Freund die Wechselgelder der Trabrennbahn Daglfing gestohlen.
Jahre später der zweite Gefängnisaufenthalt aufgrund seines Drogenbesitzes: Wecker beschreibt sein Erleben der Abgeschiedenheit, welches in Selbsterkenntnis gipfelte: „Ich war mir fremd und ungewohnt und wusste trotzdem: Dieser unangenehme, präpotente, latent gewalttätige Mensch, das bin ich selbst.“
Scheitern als Chance ist Thema der Autobiografie, die Veranstalter werden vom Scheitern der Technik eingeholt: Plötzlich ist der Ton weg. „Jetzt müssen wir improvisieren“, sagt Wecker und bittet darum, den Flügel in die Mitte zu schieben und das Publikum nah heranzukommen. „Genug ist nicht genug“ und zwei Liebesballaden, in denen sich die poetische Kraft des Liedermachers offenbart, trägt er vor und einen A-cappella-Song als Appell an Zivilcourage. So endet ein Abend mit einem mitreißenden Künstler – und netten Menschen.