Umgangssprachlich ist oft von einer „Herzensgeschichte“ die Rede, wenn Berichte den Leser oder die Leserin besonders berühren. Im Fall des Landsbergers Bernd Ullrich trifft das auch im wörtlichen Sinne zu. Kein anderer Mensch auf der Welt lebt schon so lange mit ein und demselben Spenderherz. Das brachte ihm einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde ein. Professor Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrums des Klinikums Großhadern, bezeichnet die Geschichte von Ullrich als „sehr außergewöhnlich.“
„Im Durchschnitt schlagen gespendete Herzen 15 bis 20 Jahre“, ordnet Meiser ein, um zu verstehen, was die über 41 Jahre im Fall von Bernd Ullrich bedeuten. Der Allgemeinmediziner hatte aber auch Glück, er bekam das Herz eines 19-jährigen Motorradfahrers, der den Folgen eines Unfalls erlag. Zur damaligen Zeit seien noch mehr Menschen bei Unfällen gestorben, sagt Professor Meiser. Heute seien es meist schon etwas ältere Menschen, die aus anderen Gründen sterben und bei denen der Hirntod festgestellt wird, der Voraussetzung ist, um Organe transplantieren zu dürfen. Was heute auch anders ist als damals: Es gibt eine europäische Datenbank. „Früher lagen Spender und Empfänger oft im gleichen Krankenhaus. Die Wege sind weiter geworden. Es gibt aber Pumpen, an die man das Herz anschließt, damit es kontinuierlich versorgt wird, auch mit Sauerstoff“, erklärt Meiser.
Bernd Ullrichs Familie stammt aus Berlin. Während des Dritten Reiches wurde der Vater nach Prag versetzt, wo er geboren wurde. Nach dem Krieg flüchtete er mit der Mutter nach Bayern. Er besuchte unter anderem die Schule in St. Ottilien (Kreis Landsberg) und machte später in Lindenberg im Allgäu sein Abitur. „Wo meine Mutter Arbeit fand, sind wir hingezogen.“ In Erlangen studierte er und ließ sich 1974 als Allgemeinmediziner in Landsberg nieder.
Dass er gesundheitliche Probleme hatte, war ihm vor der Diagnose schon bewusst, doch er verdrängte es. „Ich wollte meine Patienten nicht im Stich lassen. Außerdem hatte ich Übergewicht und geraucht wie ein Schlot. Und abgesehen von der Atemnot hatte ich auch keine Schmerzen.“ Doch das Ringen um Luft wurde so stark, dass er nur noch im Wohnzimmer und im Sitzen schlafen konnte. Anfang 1983 ging er dann doch zum Facharzt. Der diagnostizierte einen Herzmuskelschaden.
Der Professor in München gab ihm noch ein halbes Jahr bis zum Tod
Ein halbes Jahr gab ihm der behandelnde Professor in München damals noch, sollte sich kein geeigneter Spender finden. „Und Transplantationen waren damals alles andere als Routine“, erinnert sich der 85-jährige Landsberger. Er ging das Risiko ein. „Ich habe mich vorab von meiner Familie verabschiedet.“ Doch die Operation gelang und nach acht Monaten erhielt er die freudige Nachricht, dass die Abstoßungsreaktionen im Griff sind und er nach Hause darf.
„Ich war und bin so froh, dass der junge Mann oder seine Eltern an die Möglichkeit einer Organspende gedacht haben und ich deswegen weiter und gut leben durfte.“ Dass in Deutschland immer noch nicht die Widerspruchsregelung bei Organspenden gilt, wie es in den meisten EU-Staaten der Fall ist, ärgert ihn. Seine Arbeit als Allgemeinmediziner musste er nach dem Eingriff allerdings aufgeben. „Das Infektionsrisiko wäre viel zu groß gewesen“, sagt Ullrich, der in den vergangenen Jahrzehnten 30 neue Herzkatheter eingesetzt bekam, zuletzt vor einigen Monaten. Der Mediziner machte nach der Entlassung aus dem Klinikum eine Zusatzausbildung für Psychotherapie und arbeitete in diesem Beruf.
Der Landsberger bewegt sich jeden Tag, um fit zu bleiben
Das Spenderherz habe ihm viele Jahre geschenkt und unbezahlbare Momente wie Reisen nach Nepal, Tibet oder Thailand ermöglicht, sagt Ullrich, der auch ein leidenschaftlicher Wanderer war. Letzteres packe er nicht mehr, aber er bewege sich so viel es geht. Den Fahrstuhl in seinem Wohnhaus zu nutzen, kommt für ihn nicht infrage, er läuft in den zweiten Stock. Der Rollator steht seit etwa eineinhalb Jahren in der Ecke. „Ich gehe lieber mit den Stöcken, da bewege ich die Arme und den Rücken wenigstens noch mit.“ Fast jeden Tag setze er sich zudem 30 bis 45 Minuten aufs Ergometer und für die geistige Fitness löst er Kreuzworträtsel.
„Ich fühle mich gut. Wenn es so bleibt, werde ich gerne auch 100 Jahre alt. Ich habe ja ein junges Herz“, so der Landsberger, der vor einigen Jahren sogar die Immunsubpressiva abgesetzt hat. Die Medikamente nicht mehr zu nehmen sei aber nicht zu empfehlen, sagt Professor Meiser. „Die allermeisten Transplantierten würden es wohl nicht überleben.“ Der Körper von Bernd Ullrich und das Spenderherz harmonierten in einem Umfang, wie es ihn nur ganz vereinzelt gebe, hebt der Professor hervor.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden