Wenn am Samstagabend der vermutlich wie stets euphorische Schlussapplaus des zahlreichen Publikums im Landsberger Stadttheater erklingt, dann soll es das gewesen sein: Sepp Wörsching hat ein letztes Mal die „Heilige Nacht“ von Ludwig Thoma gelesen, hat die in altbairisch verfasste Geschichte mit „Jetzt, Leuteln, jetzt loost’s amal zua!“ begonnen. 26 Mal saß der Ur-Landsberger, weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte Multikünstler, zunächst im Rathausfestsaal, zuletzt im Stadttheater, an einem kleinen Tisch mit Leselampe und trug die ergreifenden Verse des bayerischen Schriftstellers Thoma vor. Das Landsberger Blechbläserensemble unter der Leitung von Hans-Günter Schwanzer spielte nicht weniger berührende Musik an passenden Stellen im Text.
Auslöser für die vorweihnachtliche Lesung mit Musik, die längst Tradition wurde und zum Advent gehört wie Lichterglanz und Christkindlmarkt, war eine Ausgabe des Gesamtwerks von Ludwig Thoma in sechs Bänden. Sepp Wörsching hat sie erworben und gelesen. Da sei in ihm eine erste Idee entstanden. „Ich habe mit Hans-Günter Schwanzer darüber geredet“, erzählt er, „und wir haben beschlossen, dass wir uns mal zamsetzen.“ Die vage Idee reifte heran und wurde zur „Heiligen Nacht mit Blech“. Ein paar Jahre später kam „Hänsel und Gretel“ mit dem Text von Adelheid Wette und Musik aus der gleichnamigen Märchenoper ihres Bruders Engelbert Humperdinck dazu. „Das haben wir ungefähr 20 Mal aufgeführt“, rechnet Wörsching aus. Dafür saß er vor ein paar Tagen ebenfalls ein letztes Mal auf der Bühne.
Schöne oder auch mal traurige Erlebnisse bei diesen Vorstellungen? „Trauriges oder negatives hab ich nie erlebt“, antwortet Wörsching auf diese Frage. „Es war immer schön, die Aufführungen waren stets besondere Hochzeiten für mich. Die ‚Heilige Nacht‘ ist zudem ganz was Besonderes.“ Freude bereitete ihm die Verbindung zu den Musikern. „Der Dominik (Drexl, Anm. d. Redaktion) wohnt schon lang mit seiner Familie weit weg von Landsberg“, berichtet er beispielsweise stolz. „Er hat gesagt, solang ich lese, kommt er her und spielt im Blechbläserensemble mit.“
Auch seine anderen Hobbys hat Sepp Wörsching aus Landsberg aufgegeben
Jetzt ist also nach den bereits aufgegebenen, professionell gelebten Hobbys Theater spielen, Chorsingen, Chor- und Orchesterleitung auch damit Schluss. „Ich merke, dass mir die Kraft langsam ausgeht“, sagt Wörsching, der im Januar 86 Jahre alt wird. „Das Asthma, das mich eigentlich nie besonders belastet hat, fängt an, mich mehr zu plagen.“ Und letztendlich möchte er auch nicht, dass die Leute anfangen, über ihn zu tuscheln und zu sagen „wann hört er denn endlich auf“. Auch die Orgel der Landsberger Stadtpfarrkirche, viele Jahre war sie einer von vielen musikalischen Begleitern, hat er vor ein paar Tagen ein letztes Mal bespielt.
Langeweile komme trotzdem nicht auf. „Vor dem Alter habe ich keine Angst“, meint Sepp Wörsching dazu, „eher davor, dass mir die Zeit ausgeht, dass ich nicht mehr alles lesen kann, was ich noch lesen möchte und nicht mehr alles hören, was mir wichtig ist.“ Es gebe noch so viel Literatur, sagt der Sepp und fügt schmunzelnd an „ich lese alles, was mir unter die Finger kommt – außer Krimis, die mag ich nicht mehr“. Um immer auf dem Laufenden zu sein, schaut und hört er sich meist die Buchbesprechungen spätnachts im Fernsehen an. Er möchte Musik hören, so viel wie möglich und so breit gefächert wie sie eben ist. „Claude Debussy zum Beispiel: Die Schönheit seiner Musik hab ich erst im Alter für mich entdeckt.“ Ballett gehöre ebenfalls dazu.
Natürlich wird er, wenn es die Gesundheit erlaubt, Veranstaltungen im Rathaus oder im Stadttheater besuchen. „Weiterweg fahre ich nicht mehr, weil ich nicht mehr so weit im Voraus planen kann.“ Den Führerschein hat Wörsching vor einem Jahr abgegeben „und dafür ein Jahresticket für den Stadtbus bekommen. Das ist eine feine Sache.“ Und dann ist da ja auch noch die Familie. „In den vergangen zwei Jahren hab ich drei weitere Enkel dazu bekommen“, erzählt er voller Stolz. Für die und auch die bereits ein wenig größeren Nach-Nachkommen bereiten ihm die Techniker im Stadttheater eine besondere Freude. „Sie haben Hänsel und Gretel schon aufgenommen und machen das auch bei der Heiligen Nacht. Dann haben meine Enkel eine schöne Erinnerung an den Opa, wenn ich ihnen mal nicht mehr live vorlesen kann.“
Die „Heilige Nacht mit Blech“, mit Sepp Wörsching und dem Landsberger Blechbläserensemble, findet am Samstag, 21. Dezember, um 19.30 Uhr im Stadttheater in Landsberg statt.
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