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Stealthing: Mann wird wegen manipulierter Kondome angeklagt

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"Geschlechtsverkehr mit Betrug" oder Vergewaltigung? Mann wird wegen manipulierter Kondome angeklagt

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    Das heimliche Abstreifen oder Durchlöchern von Kondomen wird vom Bundesgerichtshof als sexueller Übergriff bewertet, auch eine Vergewaltigung kommt in Betracht. 
    Das heimliche Abstreifen oder Durchlöchern von Kondomen wird vom Bundesgerichtshof als sexueller Übergriff bewertet, auch eine Vergewaltigung kommt in Betracht.  Foto: Oliver Berg/dpa (Symbolbild)

    „Ich mache das Geschäft auch schon lange, aber mit dieser Fallkonstellation habe ich mich bisher nicht beschäftigt“, sagte Richter Alexander Kessler im Verfahren gegen einen 52-jährigen Mann. Dem Angeklagten aus dem Landkreis Landsberg wurde Vergewaltigung in fünf Fällen durch sogenanntes „Stealthing“ vorgeworfen. Der Mann gestand gleich zu Beginn, beschränkte sich jedoch auf einen Vorfall. Er ist von einem gemeinsamen Kinderwunsch ausgegangen, dem er ohne Einverständnis der Frau nachhelfen wollte, so der Angeklagte. Als „grandiosen Vertrauensbruch“ mit Folgen, fasste der Direktor des Landsberger Amtsgerichts den Sachverhalt zusammen.

    Der Angeklagte soll im Zeitraum Frühjahr bis Sommer 2023 seine Partnerin in fünf Fällen darüber getäuscht haben, beim einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ein intaktes Kondom verwendet zu haben, hieß es in der Anklageschrift. Obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass die Geschädigte mit dem Vaginalverkehr nur unter Verwendung eines intakten Kondoms einverstanden sei, habe er das Kondom jeweils manipuliert und sei in der Geschädigten zum Samenerguss gekommen. Die Staatsanwaltschaft Augsburg klagte ihn deshalb wegen Vergewaltigung in fünf Fällen an.

    Leiterin der AWO-Beratungsstelle Via - Wege aus der Gewalt: „Stealthing ist sehr selten Thema im Beratungsalltag.“

    Beim Stealthing (engl. Heimlichkeit, List) zieht ein Mann unbemerkt das Kondom ab oder beschädigt es zuvor und macht ungeschützt vor Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten weiter. Juristisch gesehen ist es ein relativ neues Phänomen: Der Bundesgerichtshof hat sich in einem Beschluss Ende 2022 erstmals zum „Stealthing“ geäußert: Danach wird das heimliche Abstreifen oder Durchlöchern von Kondomen als sexueller Übergriff bewertet, auch eine Vergewaltigung kommt in Betracht.

    Der Sachverhalt ist bekannt, doch die Thematik tritt innerhalb des Beratungsalltags sehr selten auf, weiß Marie-Jeanette Gillmann, Leiterin der AWO-Beratungsstelle Via - Wege aus der Gewalt, die auch in Landsberg eine Anlaufstelle hat. „Wenn Frauen mit dieser Problemlage in die Beratungsstelle kommen, ist abzuklären, ob die betroffenen Frauen beispielsweise bereits einen HIV-Test, Schwangerschaftstest oder allgemeine ärztliche Untersuchungen wahrgenommen haben“, erklärt Gilmann. Via bietet den Betroffenen dann Krisenintervention, psychosoziale Beratung und Stabilisierung an. „Die nächsten Schritte, wie eine Anzeige, ergeben sich aus dem weiteren Beratungsprozess zusammen mit den Frauen.“ Generell können sich Frauen, die von häuslicher, sexualisierter Gewalt und Stalking betroffen sind, an Via wenden. Die Beratungsstelle befindet sich in Landsberg, Vorderer Anger 221. Persönliche Beratungen sind jeden ersten und dritten Montag im Monat zwischen 11 und 15 Uhr und nach Vereinbarung möglich, eine telefonische Beratung gibt es „rund um die Uhr“ unter 08191 940 69 87.

    Angeklagter gesteht Stealthing: „Ich war mir nicht bewusst, dass ich etwas Böses tue.“

    Zurück zum Stealthing-Prozess am Mittwochvormittag: „Sie wissen, dass das Recht bei einer Vergewaltigung eine Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren vorsieht – pro Fall“, erklärte Richter Kessler dem sichtlich nervösen Angeklagten. Über seinen Verteidiger, Joachim Feller, räumte er nur den zeitlich letzten Vorfall ein und schilderte die Beziehung aus seiner Sicht: „Wir kennen uns ein Leben lang, hatten Zukunfts- und Familienpläne. Ich habe diese Frau sehr geliebt und ich bin davon ausgegangen, dass sie mich auch liebt.“

    Beide brachten Kinder in die neue Beziehung, aus Ehen, die noch nicht geschieden waren, so der Angeklagte. Und beide wollten noch ein gemeinsames Kind. Nach einer Fehlgeburt verhütete das Paar wieder: „Doch der grundsätzliche Kinderwunsch war weiterhin vorhanden“, ist sich der Angeklagte sicher. Um seinem Glück auf die Sprünge zu helfen, zerschnitt er ein Kondom. Seine Begründung: Wenn man Frauen im Glauben ließe, dass sie verhüten, würden sie sich weniger Druck machen und schneller schwanger werden. Das habe er im Internet recherchiert, so der Angeklagte, der Reue empfindet: „Ich war mir nicht bewusst, dass ich etwas Böses tue; ich habe die Frau wirklich geliebt. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.“

    Die Geschädigte verzichtete auf ihr Anwesenheitsrecht, Rechtsanwalt Felix Bredschneijder vertrat die Nebenklägerin vor Gericht. Die Beziehung und die Vorfälle gestalteten sich aus ihrer Sicht teilweise anders: Zu Beginn sei ein beidseitiger Kinderwunsch vorhanden gewesen. Nach der Fehlgeburt und Unfällen, die auch eine Operation erforderten, sah sie sich sowohl psychisch als auch physisch nicht in der Lage, ein Kind zu gebären. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht schwanger werden möchte und das wusste er auch“, heißt es in der Mitschrift ihrer Zeugenaussage.

    Zu den weiteren Vorfällen will sich der Angeklagte nicht äußern. Für die Staatsanwaltschaft reichten die Indizien „für mindestens zwei Fälle“ aus. Aber nicht nur die Verteidigung sprach sich gegen eine Ausweitung aus. Um den Prozess nicht unnötig in die Länge zu ziehen und damit die Geschädigte „ihren Frieden machen kann“, sprachen sich auch das Gericht und die Nebenklage für die Tateinschränkung in nur einem Fall aus. Die Staatsanwaltschaft sprach sich schlussendlich auch für die Einstellung der vier weiteren Fälle aus.

    Richter äußert Zweifel, ob Stealthing mit dem Strafmaß einer Vergewaltigung bemessen werden sollte

    Da Stealthing kein geläufiger Tatbestand ist, wurde in den Plädoyers und der Urteilsverkündung auch über die juristische Sinnhaftigkeit gesprochen. „Ich bin mir sicher, wenn ich den Sachverhalt Nichtjuristen vorlesen und eine Umfrage machen würde, würden ganz viele nicht auf die Vergewaltigung kommen“, sagte Kessler. Schließlich weiche Stealthing von der „üblichen Vergewaltigung“ ab, so der Richter. „Ob der Paragraf so glücklich und übersichtlich ist, ist eine andere Frage“, meinte der Richter. Davon abgesehen sei jedoch klar: Wenn Geschlechtsverkehr „gegen den erkennbaren Willen“ ausgeführt werde – und die Geschädigte habe Sex ohne Verhütung nicht zugestimmt – sei es juristisch gesehen eine Vergewaltigung.

    Von „Geschlechtsverkehr mit Betrug“, sprach Richter Kessler in der Urteilsverkündung. „Sie wollten ein Kind und haben sich über die Interessen der Frau hinweggesetzt.“ Das Gericht nahm eine Strafrahmenverschiebung vor und verurteilte den 52-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung und wählte damit eine Zeitspanne zwischen den geforderten Strafmaßen von Verteidigung (ein Jahr und zwei Monate) und Staatsanwaltschaft (1 Jahr und neun Monate). Außerdem muss der Verurteilte an zwei soziale Einrichtungen jeweils 5000 Euro überweisen. Strafmildernd übten sich unter anderem das Geständnis, die Entschuldigung, das reuevolle Verhalten des Täters und ein bereits gezahlter Täter-Opfer-Ausgleich in Form einer Geldsumme von 10.000 Euro aus. Der Mann nahm das Urteil noch im Gerichtssaal an.

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