Kurz vor Kriegsende evakuierten die Nationalsozialisten viele Konzentrationslager, schickten die Inhaftierten auf Todesmärsche oder in Zügen in Richtung Alpen. In zwei dieser Züge befanden sich auch die Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer und der damals 17-jährige Louis Sneh. Jahrzehnte später begibt sich dieser zusammen mit Regisseur Walter Steffen erneut auf die Reise und erzählt, zusammen mit vielen Zeitzeugen, von den Geschehnissen. Zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz wurde der Dokumentarfilm „Endstation Seeshaupt“ nun im Landsberger Olympia-Kino gezeigt.
Sich an die Gräueltaten der Naziherrschaft zu erinnern, scheint heute wichtiger denn je – und vor allem, darüber ins Gespräch zu kommen. Der Kinoabend im Olympia-Kino in Landsberg bot für beides Gelegenheit. Gezeigt wurde der Dokumentarfilm „Endstation Seeshaupt“ von Regisseur Walter Steffen, knapp 100 Gäste waren gekommen. Die Leiterin des Stadtmuseums, Sonia Schätz, führte in den Abend ein. Sie zeigte auf, dass sich ähnliche Szenen wie im Film damals um das Kriegsende auch in Landsberg abgespielt hatten. Denn auch hier gab es KZ-Außenlager, Inhaftierte hatten unter unmenschlichen Bedingungen die Bauarbeiten an den Rüstungsbunkern zu leisten und wurden am 23. und 24. April 1945 von der SS auf Todesmärsche getrieben.
„Der Film zeigt, wie durch Erinnerungsarbeit und die Reflexion der Geschichte Traumata überwunden und Versöhnungsprozesse in Gang gesetzt werden können“, sagte Schätz, die auch daran erinnerte, dass diese Verbrechen durch ein vom Volk gewähltes Regime begangen wurden. Es wurde „von weiten Teilen der Gesellschaft getragen, von Menschen, die gleichgültig waren oder von der Ausgrenzung profitierten“, so Schätz. In nur zwei Monaten entstand danach das KZ Dachau, in dem zuerst Kommunisten und SPD-Politiker zu Tode kamen. Zwar lebten die Zeitzeugen im Film nicht mehr – Max Mannheimer starb 2016, Louis Sneh 2023. Jedoch könne der Film daran erinnern, was passiert, wenn nicht Demokratien Meinungsvielfalt, Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz garantierten und schützten. Dies gelte es auch bei der kommenden Bundestagswahl zu bedenken, so Schätz.
Angst, Verzweiflung und Hunger fuhren mit
Im Bahnhof Seeshaupt war der Schlusspunkt der tagelangen Irrfahrt ohne Wasser und Verpflegung. Von amerikanischen Soldaten aus dem Güterwaggon befreit, erlangte der 17-jährige Ungar Louis Sneh endlich wieder die Freiheit. 64 Jahre später begibt er sich zusammen mit Regisseur Walter Steffen auf eine Zugfahrt zu den Orten des Geschehens. Diese beginnt in Mühldorf-Mettenheim. Sneh berichtet von den Gräueln, die er dort im KZ erlebt hat. Maximal 60 Tage konnte ein Mensch dort überleben. Dass es ihm gelang, sei dem Umstand zu verdanken, dass er Petroleumlampen reparieren konnte, so Sneh. Als Heinrich Himmler den Befehl zum Evakuieren der Konzentrationslager gab, setzte sich in Mühldorf ein Tross aus 70 Güterwaggons mit 4000 Häftlingen in Bewegung in Richtung der „Alpenfestung“. Im einen Kilometer langen Zug gab es weder Toiletten noch Verpflegung. Angst, Verzweiflung, Hunger, Krankheiten und Müdigkeit fuhren mit.
![Rudolf Gilg, Inhaber des Olympia-Kinos. und Museumsleiterin Sonia Schätz vor dem Filmplakat. Rudolf Gilg, Inhaber des Olympia-Kinos. und Museumsleiterin Sonia Schätz vor dem Filmplakat.](https://images.mgpd.de/img/104950041/crop/c1_1-w100/333943013/275809671/pxl20250127182105802mp.jpg)
Und doch berichtet Sneh auch vom unbesiegbaren Drang zum Leben. Seine Erzählungen lassen erahnen, welch ein Chaos in diesen Tagen herrschte. Amerikanische Soldaten flogen Angriffe, Wächter setzten sich ab, die Lok ging kaputt. Gab es Stopps, versuchten Häftlinge zu fliehen und in nahen Häusern etwas Nahrung und Kleidung zu erbetteln. So kam auch die Bevölkerung unmittelbar in Kontakt mit dem unermesslichen Leid der Inhaftierten. Auch vielen Zeitzeugen, die im Film zu Wort kamen, hat sich diese Zeit unauslöschlich eingebrannt. Manche Menschen kümmerten sich um die Überlebenden oder versteckten sie sogar, andere veranstalteten Hetzjagden. Die Erzählungen machten deutlich, dass es immer an jedem Einzelnen liegt, sich für Gut oder Böse zu entscheiden.
Schülerinitiativen halten die Erinnerung lebendig
Ampfing, Poing, Markt Schwaben, München-Sendling, immer weiter geht die Reise. In späteren Jahren entstanden Initiativen, die sich für Gedenkstätten an den Haltestellen einsetzten. Das Seeshaupter Mahnmal ist so ein Beispiel. Nicht jedem war es damals recht, so musste es als Kompromiss in die Bahnhofstraße ausweichen, anstatt direkt am Bahnhof stehen zu dürfen. „Wie als würde es den Ort beschmutzen“, erinnern sich Zeitzeugen, die dafür gekämpft haben. Ironie des Schicksals: Louis Sneh, der immer wieder nach Seeshaupt, dem Ort seiner Wiedergeburt zurückkehrt, kommt just inmitten der hitzigen Diskussionen um das Mahnmal und spendet 500 D-Mark dafür. Ein gutes Beispiel, wie Erinnerung lebendig gehalten werden kann, sind die Schülerinitiativen. Ob Besuche mit Musik und Tanz am Mahnmal oder Ausstellungen entlang der Strecke, der Regisseur zeigt einige Beispiele. Berührend ist das Fazit eines engagierten Lehrers: Wichtiger als gute Noten zu schreiben, sei es für die Schüler, gute Menschen zu werden.
Im Anschluss entbrannte ein lebhaftes Filmgespräch, bei dem viele Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Sorge um den Rechtsruck in Deutschland benannten. Es gelte, potenzielle AfD-Wähler aktiv anzusprechen. In der neuen politischen Tonalität, Stichwort: Remigration, sahen viele den Anfang von Ausgrenzung und Entmenschlichung. Damit habe es auch im NS-Staat begonnen.
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