Gewalt beginnt damit, Menschen zu verführen, ihr eigenes Denken dem des Aggressors anzupassen. Dies zeigt sich in den brutalen Machtspielen des Imperators Caligula, der von 37 bis 41 als römischer Kaiser regierte, und lässt sich im Gebaren einiger Despoten fast 2000 Jahre später wiederfinden. Sie wachsen nach, solange es genügend Gefolgsleute gibt, die dies hinnehmen. Mit der äußerst ideenreichen Inszenierung hat sich Regisseur Dominik Günther zusammen mit dem Ensemble vom Landestheater Tübingen dem 1939 von Albert Camus verfassten Drama angenommen, das 1945 als Schauspiel in Paris uraufgeführt wurde.
Dabei blieb Günther nah an Camus' Text, in dem es heißt: „Es ist nicht möglich, alles zu vernichten, ohne sich selbst mit zu zerstören.“ Gaius Caesar Augustus, posthum bekannt als Caligula (Jonas Hellenkemper) trauert um seine über alles geliebte Schwester Drusila, deren Tod ihn völlig aus der Bahn wirft und ihn den Bezug zu jeglicher Realität verlieren lässt. „Weiß jemand, wo Caligula ist?“, fragt seine Gefährtin Caesonia, von ihrem Platz im Publikum aus, bevor sie mit einer knisternden Chipstüte auf die Bühne stapft. Die Schauspielerin Katharina Engelmann, seit 2024 Regieassistentin beim Landestheater Tübingen, hat diese Rolle mit Bravour in Vertretung der erkrankten Rosalba Salomon spontan übernommen. Doch da war der bis dahin geschätzte, narzisstische Caligula mit seinem Seelenschmerz bereits einige Tage abgetaucht, in ein von Dekadenz und Wahnsinn geprägtes Leben und der Erkenntnis: „Die Menschen sterben und sind unglücklich“.
Die Inszenierung stellt Bezüge zur heutigen Zeit her
Seine vermeintlichen Gefolgsleute, der ehemalige Sklave Helicon (Andreas Guglielmetti), Dichter Scipio (Lucas Riedle), Senator Charea (Rolf Kindermann) und ein Patrizier (Gilbert Mieroph) schleppen nach und nach die metallisch funkelnde Ausstattung von Sandra Fox auf die anfangs leere Bühne des vollbesetzten Stadttheaters. Auf der agierten die Darsteller in akrobatischer Bewegtheit. Da werden neben römischen Säulen silberglänzende Blöcke herangeschafft, auf denen sich der gottgleich fühlende Kaiser erhöhen sowie die ihm treu ergebene, mächtige Einpeitscherin seiner Grausamkeiten, Caesonia, positionieren kann.
Dem übergroßen Fuß, auf dem der dekadente, verlogene Hofstaat lebt, werden die Zehennägel lackiert. Eine geniale Idee ist das schimmernde XXL-Tuch, unter dem sich der Tyrann verkriecht und das er auch als Signum seiner Machtherrschaft um sich schlingt. Mit dem er das lebensgroße silberne Pferd besteigt, sowie ad libitum Mordbefehle ausgibt und sein gedemütigtes Volk enterbt, um die Staatskasse zu füllen. Mit „Ich will den Mond“ verlangt er von Helicon die Beschaffung desselben. Mondlandungsgeräusche erinnern an heutige Milliardäre, die den Weltraum für sich erobern wollen.
Ein starkes Ensemble im Landsberger Stadttheater
Die seltenen Momente des Schmunzelns, wenn sich Caligula, Caesonia und Helicon zu einem Britney-Spears-Song ausgelassen bewegen, verfliegen, sobald der Herrscher in seinen Machtphantasien verkündet: „Morgen ist Hungersnot“. Als Charea durch einen Spalt im Vorhang zusehen muss, wie seiner Frau Gewalt angetan wird, haben die ihn Umgebenden längst seine Ermordung geplant. Um das Blutvergießen auf der Bühne geschickt zu umgehen, werden alle Requisiten mit dem großen Tuch abgedeckt. Und Caesionia, die bei Camus vorher von Caligula getötet wird, um ihr seine eigene Ermordung zu ersparen, verkündet das Ende des Kaisers.
Ein starkes Ensemble mit einem großartigen Hauptakteur, in dessen Ausstrahlung Schmerz, Verzweiflung und Freude beeindruckend erkennbar waren, dem jedoch die Aura des absolut Bösen, Grausamen, furchtbare Gräueltaten begehenden, etwas fehlte. Der nach Caesonias letzten Worten aufbrandende, hochverdiente Beifall, hielt entsprechend lange an.
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