Es könnte am Freitag, 12. Januar, ab 19 Uhr im Geltendorfer Bürgerhaus ein längerer Abend werden, wenn Andreas Höpfl und Peter Wörle erzählen, wie es in Geltendorf bis um das Jahr 1960 herum ausgesehen hat. Denn beide sind auf ihre Weise hervorragende Kenner der jüngeren Dorfgeschichte. Der Ältere, der 84-jährige Andreas Höpfl, kennt vieles aus der eigenen Anschauung als Kind und Heranwachsender und hat in seinem Gedächtnis bewahrt, was ihm seine Eltern erzählt haben. Peter Wörle ist 18 Jahre jünger und führt das fort, was frühere Chronisten wie Pfarrer Josef Unsin oder die Winterholler-Brüder Heinrich und Johann aufgeschrieben und an Fotomaterial gesammelt haben.
Ausgangspunkt des Vortragsabends, der um 19 Uhr (wegen der Beerdigung des früheren Pfarrers Hans Schneider nicht wie angekündigt um 17 Uhr) beginnt, ist ein Ortsplan, den Andreas Höpfl in zweijähriger Arbeit mit der Hand gezeichnet hat. Dieser stellt Geltendorf vor dem Jahr 1960 dar. Als Vorlage diente ihm ein kleiner Straßenplan, den er – im Maßstab vergrößert – auf seine Unterlage übertrug.
Peter Wörle zeigt historische Fotos aus dem alten Geltendorf
Alle weiteren Angaben, darunter die Größe, Form und Anordnung der jeweiligen Hofgrundstücke und Häuser, entstammen seinen Jugenderinnerungen: „Ja, im Kopf hat man doch des alles“, sagt Andreas Höpfl mit aufgewecktem Blick und ergänzt: „Aber die alten Häuser werden immer wieder abgerissen, jedes Jahr gibt's ein paar weniger. Dann sind's weg, und keiner weiß mehr, wo sein Elternhaus gestanden ist und wo der Opa sein Anwesen hatte.“ Und darum hat er den Status quo um 1960 dokumentiert. Auf der grünen Unterlage hat er rote Rechtecke genau so aufgeklebt, wie früher die Gebäude im Altort standen.
Co-Referent wird Peter Wörle sein. Er zeigt die dazugehörigen historischen Fotos der Anwesen. Sie stammen großteils vom inzwischen verstorbenen ehemaligen Metzger Johann Winterholler, der unter anderem auf Aufnahmen kurz vor dem Ersten Weltkrieg zurückgreifen konnte. Damals zogen Fotografen durch die Dörfer und machten Bilder von den Anwesen, auf denen auch die Besitzerfamilie und - sofern vorhanden - deren schönstes Pferd zu sehen ist.
Andreas Höpfl hat keinen Beruf gelernt, aber viele unterschiedliche Tätigkeiten ausgeübt
So viel anders sah es in der Kindheit und Jugend von Andreas Höpfl während und nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch nicht in Geltendorf aus. Er wuchs auf einem 28-Tagwerk-Anwesen mit dem Hausnamen "Karpf" unweit der alten Pfarrkirche St. Stephan auf. Bis man 1957 den ersten Bulldog kaufte, wurde dort auch noch mit dem Pferd gearbeitet. Einen Beruf gelernt habe er nicht, erzählt der 84-Jährige. "Der Vater hat gesagt, du brauchst nix lernen", denn er sollte daheim in der Landwirtschaft mitarbeiten - und zwar ohne Bezahlung, dafür aber mit der Zusicherung, dass er später einmal den Hof bekommen werde.
Aber ein bisschen Geld brauchte Andreas Höpfl in der Jugend halt doch. Und so machte er eine Art Spedition auf: Samstags spannte er das Pferd ein, um Kohlen auszufahren. "Eine Mark habe ich für den Zentner Kohlen gekriegt, aber inklusive Hineintragen", erzählt Höpfl. Auch zu anderen Zeiten mangelte es ihm an Erwerbsmöglichkeiten neben der kleinen Landwirtschaft nie: In den 1950er-Jahren pflanzte er den von einem Orkan am 28. Juli 1946 niedergewalzten Staatswald wieder mit auf und als er im Anschluss an zwei Semester Landwirtschaftsschule den Lkw-Führerschein gemacht hatte, wurde er Lastwagenfahrer. Höpfl arbeitete überdies auf dem Bau und beim Bauzug der Eisenbahn, ebenso war er Postzusteller und Feldgeschworener - und stets beobachte er genau, was sich um ihn herum abspielte, was sich veränderte und bewahrte das, was er erlebte, in seinem Gedächtnis.
Und während die Jahrzehnte vergingen, ist das Karpf-Anwesen bis heute als altes Stück Geltendorf erhalten geblieben. Zwar wurden auf dem weitläufigen Hofgelände auch zwei neue Wohnhäuser errichtet, das alte Haus vermietet und die Viehhaltung ist längst aufgegeben. Aber Stall und Stadel stehen heute so da wie vor Jahrzehnten und Sohn Andreas baut wie viele Generationen vor ihm Getreide und Kartoffeln an und verkauft das Heu von den Wiesen.
Wo die Limonadenfabrik und die erste Tankstelle in Geltendorf waren
Drumherum hat sich vieles geändert. Das einst landwirtschaftlich-kleingewerblich strukturierte Geltendorf ist nur in kleinen Resten vorhanden. Reihen- und Mehrfamilienhäuser haben viele alte Anwesen ersetzt, die Kramerläden, die dörflichen Handwerker wie Schmied, Schneider, Schuster und andere gibt es nicht mehr. Vor diesem Hintergrund entstand der handgezeichnete Ortsplan, der die Ortsstruktur vor 1960 zeigt. Denn, so sagt Andreas Höpfl, "wenn man in der Rente ist, dann geht einem viel durch den Kopf". Und weil ihm zu vielen Häusern Geschichten und Anekdoten in Erinnerung sind, hat er zu den 96 Hausnummern mit den zugehörigen Hausnamen auch meist ein paar Stichworte notiert: da hat die Hebamme gelebt, die schon früh einen VW Käfer hatte, dort war der Eierhändler, dort eine Limonadenfabrik und da die erste Tankstelle im Dorf.
Exakt eingezeichnet hat Andreas Höpfl auch, wo früher die Obstgärten der größeren Höfe waren oder die Stellen, wo 1944 am südlich vom Erlenweiher Bomben abgeworfen wurden, deren Krater noch bis zur Flurbereinigung Ende der 1950er-Jahre zu sehen waren. Wie die Bomben fielen und wie zwei Jahre später am 28. Juli 1946 ein furchtbarer Orkan mit Hagelschlag über Geltendorf hinwegzog, daran kann sich Höpfl gut erinnern. Man kann ihm endlos zuhören. Selbst wenn der Freitagabend im Bürgerhaus mit ihm und Wörle lange werden sollte, die Stunden werden wie im Flug vergehen.