Die Linde-Wohngenossenschaft in Eresing ist am Ziel
Einen alten Hof und das Ortsbild weitgehend erhalten und günstigen Wohnraum schaffen. Dafür trat 2018 eine Genossenschaft in Eresing an. Jetzt ist sie am Ziel.
Der Bau einer genossenschaftlichen Wohnanlage auf dem Kracher-Hof in Eresing ist in den vergangenen Wochen auf der Zielgeraden angekommen. Im Februar werden die Wohnungen bezogen. Während des Innenausbaus hat unsere Redaktion die Baustelle an der Kaspar-Ett-Straße besucht und mit den Vorständen Sebastian Neu und Birgit Maier-Ruf gesprochen.
Vom Kauf des ehemaligen landwirtschaftlichen Anwesens bis zum Bezug sind mehr als fünf Jahre vergangen. Der seit dem Tod der letzten Bäuerin 2016 leer stehende Kracher-Hof präsentierte sich damals als typisches Zeugnis bäuerlichen Bauens, Lebens und Arbeitens zwischen Lech und Ammersee. Anders als sonst wurde der Zweiseithof mit Wohnteil und Stall unter einem Dach und einem Nebengebäude im rechten Winkel jedoch nicht von einem Bauträger gekauft, abgerissen und mit Geschosswohnungen oder Reihenhäuser in schnöder Einheitsarchitektur bebaut. Den Erben ging es damals nicht nur ums Geld, sondern ihnen lag auch daran, das Erscheinungsbild des Hofs zu erhalten. Sie verkauften das gut 2000 Quadratmeter große Grundstück in zentraler Lage an die Linde-Wohngenossenschaft.
Am Ziel, den Kracher-Hof zu erhalten, waren gewisse Abstriche zu machen
Deren Ziel war, die Bausubstanz und damit das vertraute Ortsbild zu erhalten und darin leistbaren Wohnraum zu schaffen. Fünf Jahre später kann man sagen, dass die Genossenschaft dieses Ziel weitgehend erreicht hat, wenngleich vom alten Kracher-Hof am Ende nur der Wohnteil übrig geblieben ist. Aus statischen Gründen musste nämlich der komplette Ökonomieteil doch abgebrochen werden. Aber der Neubau, der sich mit seiner Holzfassade optisch vom Altbauteil absetzt, folgt in der Situierung und in der Kubatur dem Altbestand.
Die Maße des Altbestands (knapp 23 Meter lang und knapp 13 Meter breit, dazu viel Dachraum) sind eigentlich nicht ideal für eine Wohnnutzung, insbesondere im Hinblick auf die Belichtung der langgestreckten Wohnungen. Entsprechend groß sind die Fenster im Ober- und Dachgeschoss. Im einstigen Kuhstall parken künftig die Autos der Bewohner. Das nach Norden ansteigende Gelände macht es aber möglich, dass auch die Wohnungen über der Garage ebenerdig und barrierefrei erreicht werden können. Ein Schacht für einen Aufzug ins Dachgeschoss ist zudem bereits vorhanden.
Statt einer Garage gibt es jetzt ein zweites Haus auf dem Kracher-Hof
An zusätzlichem Bauvolumen ist anstelle der früheren Garage an der Südwestseite neben der namensgebenden Linde nur ein zweistöckiger, gut proportionierter und dem traditionellen Baustil folgender Neubau gekommen. Trotz seiner zwei Stockwerke fügt er sich gut ein und wirkt mit seinen zwei Wohnungen nur wie ein untergeordnetes "Zuhäusl".
Eine gute "soziale und demografische Durchmischung", wie es Vorstand Sebastian Neu nennt, ist ein weiteres Ziel der Genossenschaft. "Wir haben drei Familien mit zwei, vier und fünf Kindern, drei Alleinerziehende und vier ältere Herrschaften", zählt Neu auf. Die künftigen Bewohner kommen allesamt aus der näheren Umgebung: aus Eresing und Windach, Landsberg und Schöngeising.
Warum die größte Wohnung auf dem Kracher-Hof noch frei ist
Eine Wohnung ist noch zu haben: Es ist die Einheit mit 200 Quadratmetern Wohnfläche im modernisierten historischen Wohnteil. Da wollte Vorstand Neu mit seiner Frau und den drei Kindern im Alter von zehn, zwölf und 19 Jahren eigentlich selbst einziehen. "Wir haben uns das romantisch vorgestellt, in einem kleinen Dorf zu leben", blickt Neu zurück. Aber inzwischen entwickelten die Kinder andere Vorstellungen: Sie gaben dem vertrauten Leben in einem Reihenhaus in Landsberg gegenüber dem ländlichen Eresing den Vorzug, erzählt Neu, der als Genossenschaftsvorstand ehrenamtlich arbeitet, während er im eigentlichen Beruf Geschäftsführer eines Waldorf-Shops ist.
5,6 Millionen Euro wird die Neugestaltung des Kracher-Hofs in 800 Quadratmeter kostengünstigen Wohnraum am Ende kosten. Wirtschaftlich darstellbar ist ein solches Projekt aber nur durch die öffentliche Förderung in Höhe von 1,2 Millionen Euro, die gut 20 Prozent der Kosten trägt. Allein mit der Miete von 4,50 bis sieben Euro pro Quadratmeter Wohnfläche würde es über 100 Jahre dauern, bis die Investition abbezahlt ist. Neben der monatlichen Mietzahlung müssen die Bewohner aber auch einen Beitrag zum Eigenkapital leisten: Ihre Einlage beträgt 850 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, bei einer 60-Quadratmeter-Wohnung sind das 51.000 Euro. Dafür erhalten sie zwar kein klassisches Eigentum, aber ein lebenslanges Wohnrecht und die Erben haben die Möglichkeit, über eine Nachrückerliste auch in eine Genossenschaftswohnung einziehen zu können, erklärt Neu.
Ganz ohne Ersparnisse oder die Möglichkeit, ein Darlehen abzubezahlen, ist das genossenschaftliche Wohnen also nicht möglich, aber doch viel leichter zu schultern als der Kauf einer Wohnung. Im Raum Eresing werden Wohnungen auf dem freien Markt für rund 6000 Euro pro Quadratmeter angeboten. Dazu kommen 60 externe Genossenschaftsmitglieder aus dem Dorf (auch die Gemeinde Eresing ist beteiligt) und der Umgebung, die mit ihren Einlagen das Projekt unterstützen wollen. Die Genossenschaftsmitglieder brachten insgesamt 1,5 Millionen Euro auf. Sie bekommen für ihre Einlagen zumindest eine kleine Verzinsung.
Der Kracher-Hof soll dem Dorf zugewandt bleiben
Etwa 2,9 Millionen Euro mussten geliehen werden, die nun "sehr langfristig" getilgt werden, wie Neu sagt. Dem Genossenschaftsvorstand ist bewusst, dass ein solches Projekt nicht in jedem Fall realisierbar ist, da es auch an der öffentlichen Förderung und am Idealismus von Menschen in der Nachbarschaft lebt, "aber wir wollten auch zeigen, dass es möglich ist, so etwas wie den Kracher-Hof zu erhalten".
Das Anwesen soll auch dem Dorf zugewandt bleiben. Der Hofraum bleibt mit einer Sitzgelegenheit am Platz der früheren Mistlege zur Straße hin geöffnet und der Gemeinschaftsraum im Kracher-Hof sei auch als Angebot für dörfliche Aktivitäten gedacht, macht Neu klar. Denn der Name Linde-Genossenschaft nehme nicht nur Bezug auf den Straßenbaum vor dem Kracher-Hof, sondern sei auch Programm. Die Buchstabenfolge L, I, N, D und E steht auch für "Leben im nachbarschaftlichen Dorf Eresing", wie es Stefanie Merlin formuliert hat. Sie wohnt mit ihrer Familie genau gegenüber dem Kracher-Hof und gehörte zu den ersten Unterstützern der Genossenschaftsidee, aus welcher der Architekt Alfred Sunder-Plassmann eine erste Planungsidee entwickelte.
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