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Serie (24): Sie stehlen Wasser und Nährsalze

Serie (24)

Sie stehlen Wasser und Nährsalze

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    Die Mistel: Wie dieser Parasit auf die Bäume kommt, und warum Asterix wie so oft recht hat, erfahren unsere Leser im heutigen Teil unserer Botanikserie.
    Die Mistel: Wie dieser Parasit auf die Bäume kommt, und warum Asterix wie so oft recht hat, erfahren unsere Leser im heutigen Teil unserer Botanikserie. Foto: Andreas Fleischmann

    Über 1000 botanische Arten gibt es in Landsberg und Umgebung. Seltene, aber auch solche, die nur hier vorkommen. Der Landsberger Botaniker Dr. Andreas Fleischmann kennt sie alle. In einer Serie in unserer Zeitung stellt er einige in loser Reihenfolge vor. Heute: die Mistel.

    Eine Pflanze, die sicher jeder kennt, und die vor allem zur Weihnachtszeit wieder öfter Beachtung findet, ist die Mistel. Bei uns in Europa handelt es sich dabei immer um die botanische Art Weiße Mistel (Viscum album). Weltweit gibt es etwa 1300 Mistelarten, alle sind Parasiten auf anderen Pflanzen. In Deutschland sind zwei verschiedene Misteln heimisch, jedoch ist nur die Weiße Mistel immergrün und auch im Winter sichtbar. Die viel seltenere südeuropäische Riemenblume oder Eichenmistel kommt in Deutschland nur in einem sehr kleinen Gebiet in Sachsen vor.

    Von der Weißen Mistel gibt es drei Unterarten (die manche Botaniker auch als eigenständige Arten auffassen), die alle auf unterschiedlichen Bäumen vorkommen: Die Laubholzmistel wächst als Schmarotzer nur auf Laubbäumen, am liebsten auf Weiden, Pappeln, Birken, Apfelbäumen und Linden, etwas seltener findet man sie auch auf Weißdorn und Ahorn, jedoch nie auf Buchen und Eichen. Es ist die häufigste Mistel in Deutschland, und auch im Landkreis ist die Laubholzmistel sehr häufig in der Ammerseegegend. Zum Lech hin wird sie seltener, entlang des Lechs fehlt sie völlig, und wird erst zum Westen hin (etwa ab Igling) wieder etwas häufiger.

    Eine Besonderheit am Lech ist hingegen die seltene Tannenmistel (Viscum album subsp. abietes), die zum Beispiel in der Teufelsküche bei Pitzling auf einigen der alten, großen Tannen wächst. Man findet diese Unterart der Mistel nur auf Tannen, sehr selten auch auf Fichten. Nach einem Sturm kann man an den oberen Hangkanten in der Teufelsküche oft abgerissene Mistelzweige der Tannenmistel am Boden finden, die Pflanzen selbst sind in den Wipfeln der hohen Tannen meist nur schwer zu entdecken. Die dritte Unterart der Mistel wächst nur auf Kiefern, und kommt im Landkreis nicht vor. Man findet sie in einzelnen Exemplaren erst nördlich von Augsburg, nördlich der Donau wird sie dann häufiger.

    Misteln sind sogenannte Halbparasiten, das heißt sie schmarotzen zwar auf anderen Pflanzen, sind selbst aber noch grün und zur Fotosynthese fähig. Von ihren Wirtsbäumen „stehlen“ sie nur Wasser und Nährsalze, die sie selbst nicht aufnehmen können. Denn Misteln haben keine Wurzeln. Sie wachsen direkt auf den Ästen ihrer Wirtsbäume, in die sie eindringen und dort das Leitgewebe anzapfen. Doch wie kommen sie überhaupt auf die Bäume? Dazu ist die Hilfe von Vögeln nötig. Weibliche Mistelpflanzen (auch bei den Misteln gibt es, wie bei wenigen anderen Pflanzen, Männchen und Weibchen) tragen im Winter weiße Mistelbeeren, diese sind bei vielen Wintervögeln (Drosseln, Seidenschwanz) sehr beliebt. Es handelt sich bei Mistelbeeren übrigens um keine Beeren im botanischen Sinne, denn sie enthalten im Inneren keinen Samen, sondern eine bereits keimfertige, grüne Jungpflanze (Embryo).

    Die Mistelfrüchte sind sehr klebrig. Der wissenschaftliche Name der Misteln, Viscum, bezieht sich daher auch auf die viskosen, klebrigen Früchte. Der Mistelembryo übersteht in seiner klebrigen Schleimhülle auch die Darmpassage durch den Vogel. So wird die Jungpflanze auf einem anderen Ast zusammen mit klebrigem Vogelkot wieder ausgeschieden, und klebt nun auf dem Ast fest. Übrigens hilft die Mistel selbst auch ein wenig nach: die Beeren wirken auf Vögel leicht abführend, man hat herausgefunden, dass sie nur etwa zehn Minuten im Vogel verbleiben und dann bereits wieder ausgeschieden werden. Deshalb findet man Misteln meist auch zuhauf auf einem einzigen Baum und noch einigen passenden Bäumen in der Nachbarschaft, während weiter entfernte Bäume keine Misteln mehr tragen – das ist in etwa die Distanz, die ein Vogel mit Mistelfrüchten im Bauch schafft, bevor er auf die „Toilette“ muss.

    Nun klebt also die Jungpflanze auf einem frischen Ast, und wächst in die Borke ihres neuen Wirtsbaumes hinein, um ihn anzuzapfen. Im Gegensatz zu den Keimlingen der meisten Pflanzen, die immer hin zum Licht wachsen (wir kennen das von der ausgesäten Kresse am Fensterbrett), wachsen Mistelkeimlinge zur dunkelsten Stelle hin. Sie „sehen“ also ihren Ast, und wachsen darauf zu, egal ob sie auf der Astunterseite oder -oberseite kleben (im einen Fall wachsen sie nach unten, im anderen Fall nach oben).

    Die Mistel ist auch eine alte Volks- und Heilpflanze, was nicht verwundert, denn sie wächst völlig grün auf den sonst kahlen Bäumen im Winter. Daher schrieb man ihr schon von Alters her besondere Kräfte zu. Viele denken bei Misteln sicher gleich an den Zaubertrank des Druiden Miraculix, wobei der aufmerksame Asterix-Leser sich vielleicht erinnert, dass nur diejenigen auf Eichen besondere Zauberkräfte hätten. Hier haben die Comicautoren Goscinny und Uderzo unbewusst eine interessante botanische Tatsache aufgegriffen: Nur in Westeuropa (von Frankreich etwa bis in die westliche Schweiz) kommt die Weiße Mistel auch auf Eichen vor, es handelt sich hierbei um eine besondere Rasse der Mistel, die bei uns in Mitteleuropa nicht vorkommt. In Deutschland wird man daher nie eine wintergrüne Mistel auf Eichen finden. Die seltenere südeuropäische Eichenmistel (Loranthus europaeus) verliert im Winter ihre Blätter und ist nicht die alte „Zauberpflanze“ von Miraculix.

    Pharmazeuten haben übrigens herausgefunden, dass der Wirkstoffgehalt von Misteln tatsächlich von ihren Wirtspflanzen abhängt, auch hier ist also am Comic etwas Wahres dran. In der Tat enthält die Weiße Mistel eine große Zahl an wirksamen Inhaltsstoffen und ist deshalb noch heute eine häufig verwendete Heilpflanze. Weil die Mistel mitten im Winter grün ist und Früchte trägt, wurde sie schon bei den Kelten als Fruchtbarkeitssymbol angesehen. Daher kommt auch der Brauch, zur Weihnachtszeit einen Mistelzweig über die Türe zu hängen, unter dem sich (verliebte) Menschen dann küssen sollen. Auch unser Wissen darum, dass es sich dabei um einen Parasiten handelt, der durch Vogelkot auf einen Baum gelangt ist, tut diesem netten Brauch sicher keinen Abbruch.

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