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Landkreis Landsberg: Warum so viele die Kirchen verlassen - und andere zum Glauben finden

Landkreis Landsberg

Warum so viele die Kirchen verlassen - und andere zum Glauben finden

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    Anja Walz schwimmt gegen den Strom: Während viele Menschen der Kirche den Rücken kehren, ist sie in die katholische Kirche eingetreten.
    Anja Walz schwimmt gegen den Strom: Während viele Menschen der Kirche den Rücken kehren, ist sie in die katholische Kirche eingetreten. Foto: Julian Leitenstorfer

    Finanzskandale, aber vor allem die Nachrichten über Missbrauch von Kindern durch Priester und Ordensleute bleiben vor allem für die katholische Kirche nicht ohne Folgen. Die Austrittszahlen schnellen in die Höhe. Der Bayerische Rundfunk berichtete vor Kurzem über eine 25-prozentige Steigerung im vergangenen Jahr gegenüber 2017. Im Bereich des Landsberger Standesamts verließen 306 Personen die katholische oder die evangelische Kirche, das waren 37 Prozent mehr als 2017. Und es geht so weiter: Allein in den ersten 50 Tagen dieses Jahres erklärten schon 61 Personen ihren Austritt. Und andere kündigen an, der Kirche demnächst den Rücken zu kehren. Das LT hat mit einigen von ihnen gesprochen.

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    Ihren Namen wollen viele nicht nennen – aus wirtschaftlichen Gründen. Aber auch, weil sie sich beispielsweise auf dem Dorf nicht zu diesem Thema äußern wollen. Spricht man etwa mit Bettina W. (Name geändert), dann kommt Vieles von dem zusammen, was derzeit an Missständen in der katholischen Kirche berichtet wird: In den 70er-Jahren musste sie als vierjähriges Kind mit ihrer Schwester einige Zeit in einem Heim verbringen, das katholische Schwestern führten. Als sie ihre Mutter dorthin brachte, habe sie die Ordensfrauen gebeten, die Mädchen zusammen zu lassen, und habe ihnen ihre Stofftiere mitgegeben, an denen sie sich festhalten sollten. Doch es kam anders: „Die Kuscheltiere haben wir gar nicht gekriegt und mit meiner Schwester durfte ich nicht in einem Zimmer sein“, erzählt W.

    Eine Leserin hat unschöne Erfahrungen mit der Kirche gemacht

    Wegen ihrer beiden Buben sei sie bis jetzt in der katholischen Kirche geblieben. Doch diese hätten an der Kirche und an der Firmung auch kein Interesse mehr. Auch wenn sie die Kirche verlassen will – gläubig sei sie schon. Beten könne sie für sich. „Ich brauche diese Predigten nicht, und ich brauche auch die Gemeinschaft nicht.“ Dazu kämen die Missbrauchsfälle und der Umgang damit: Dass Priester nicht heiraten dürften, ist nach W.s Meinung mit ein Grund für solche Vorfälle. Die Kirchensteuer, die Missbrauchsfälle, die Institution Kirche an sich und die Überzeugung, auch ohne die Kirche an Gott glauben zu können: Das sind die am meisten genannten Beweggründe von Kirchenaussteigern, die sich auf der LT-Facebook geäußert haben.

    So ist die Lage in der größten Pfarrei im Landkreis

    Der Prozess der Entfremdung vieler Menschen von Kirche und Religion schreitet seit Jahrzehnten auch im Landkreis voran. Bei der Volkszählung 1987 geben noch 92,6 Prozent an, katholisch oder evangelisch zu sein. 2011 waren es nur noch 73 Prozent. Die Stadtpfarrei Zu den Heiligen Engeln in Landsberg ist mit 7250 Katholiken die größte Pfarrei im Landkreis. Pfarrer Gregory Herzel spricht von mehreren Gruppen der Gemeindemitglieder: die aktive „Kerngemeinde“, diejenigen, die regelmäßig oder zumindest ab zu und zum Empfang von Sakramenten (Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit) in die Kirche kommen, und schließlich die, die nur noch formal der Kirche angehören. Wer austritt, gehöre meist der vierten Gruppe an: Menschen, die die Angebote der Kirche nicht in Anspruch nehmen, und denen die Gemeinschaft unwichtig sei.

    ---Trennung Wie eine junge Landsbergerin den Glauben für sich gefunden hat Trennung---

    Da komme dann der Kirchensteueraspekt zum Tragen: Wozu für etwas zahlen, was man gar nicht in Anspruch nimmt? Herzel blickt aber weniger auf das, was am Rand seiner Gemeinde wegbricht, als vielmehr auf das, was sich in den engeren Kreisen tut. „Wir haben 500 Ehrenamtliche und über 100 Ministranten. Wir kümmern uns um alle Felder, machen jeden Sonntag was für die Kinder. Wir haben drei Chöre und vergessen auch unsere Alten nicht, für die wir alle 14 Tage einen Seniorennachmittag machen.“

    In vielen ländlichen Gemeinden liegt der Anteil der christlichen Bevölkerung trotz Rückgängen dagegen noch bei über 80 Prozent. In Reichling ist Michael Vogg Pfarrer von 4500 Katholiken. Zwei bis drei Leute treten im Durchschnitt jedes Jahr in jeder der sechs von ihm betreuten Pfarreien aus, erzählt er: „Den allermeisten geht es ums Sparen.“ Wer gehe, habe aber meist schon seit Langem nichts mehr mit der Kirche zu tun, oft seien es auch Menschen, die gerade umgezogen sind. „In der Anonymität fällt es vielleicht leichter, auszutreten“, erklärt sich Vogg dieses Phänomen. „Wer aktiv im Dorfleben ist, für den gehört es auch dazu, in der Kirche dabei zu sein.“ Es tue ihm leid, sagt Vogg, wenn nicht alle Menschen positive Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben. Er selbst wolle den Menschen vermitteln, „wie hilfreich und gut es ist, katholisch zu sein und die Liebe Gottes an die anderen weiterzugeben“.

    Eine LT-Leserin hat den Glauben für sich entdeckt

    Kirche und Glaube bieten aber immer wieder auch ungewöhnlich anmutende Geschichten. Unter anderem meldete sich beim LT auch Anja Walz. Die Mittzwanzigerin kündigte an, aus der evangelischen Kirche austreten und in die katholische Kirche eintreten zu wollen. Über ihre Motive schreibt sie in ihrem Facebook-Kommentar: „Ich hatte lange Zeit auch ein kritisches Bild der katholischen Kirche. Aber es war Gott, der mir (bildlich gesprochen) mit seinem Zeigefinger zeigte, dass mein Weg raus aus den Sorgen und Problemen der Weg in die katholische Kirche ist. Ich habe so viele tolle Menschen durch den katholischen Glauben kennengelernt. Unter anderem Pater Walter Huber, der jeden Freitag die tridentinische Messe in der Ignatiuskapelle in Landsberg zelebriert. Und Gott in seiner intensivsten Form findet man nur in der heiligen Kommunion.“

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    Zahlen aus dem Landkreis

    Der Anteil der Einwohner im Landkreis, die den beiden großen Kirchen angehören, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verringert, wie die Volkszählungen 1987 und 2011 ergaben. 1987 gaben noch 77,4 Prozent der Einwohner an, katholisch zu sein und 15,2 Prozent evangelisch, insgesamt waren dies 92,6 Prozent. 2011 lag der Anteil der Katholiken nur noch bei 58,3 Prozent, der Anteil der evangelischen Christen bei 14,7 Prozent (zusammen machen sie einen Anteil von 73 Prozent aus).

    • Jüngere Entwicklung Jedes Jahr verlassen allein in der Stadt Landsberg im Durchschnitt rund 200 Menschen die Kirchen. Im vergangenen Jahr, als die katholische Kirche vermehrt wegen Missbrauchsfällen und dem Finanzskandal in Eichstätt in den Schlagzeilen stand, stieg die Zahl der Austritte gegenüber 2017 um 37 Prozent an, 306 Personen beendeten ihre Mitgliedschaft. Der Trend hält bislang auch in diesem Jahr an.
      Seit 2011 ist der Anteil der Katholiken in Landsberg von damals 49,2 auf 43,7 Prozent gesunken, der evangelische Bevölkerungsanteil blieb mit 17,8 Prozent konstant.
    • Regionale Unterschiede Neben der Stadt Landsberg ist insbesondere am Ammersee-Westufer der christliche Bevölkerungsanteil auf Werte von 60 bis 70 Prozent zurückgegangen. In kleineren Gemeinden am Lechrain liegt er noch bei über 80 Prozent.
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