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Geltendorf: Im Geltendorfer Bahnhof tobt der Ideen-Wettstreit

Geltendorf

Im Geltendorfer Bahnhof tobt der Ideen-Wettstreit

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    Shokrullah Alesh (links, 14) im Duell mit Workshop-Coach Mathijs Stegink zu sehen. Derzeit findet im Geltendorfer Bahnhof ein Ferienprogramm der besonderen Art statt.
    Shokrullah Alesh (links, 14) im Duell mit Workshop-Coach Mathijs Stegink zu sehen. Derzeit findet im Geltendorfer Bahnhof ein Ferienprogramm der besonderen Art statt. Foto: Thorsten Jordan

    Lange waren die Türen zur Wartehalle im Geltendorfer Bahnhof geschlossen. „Damit in Geltendorf irgendwann niemand mehr frieren muss: Wir planen den Bau eines neuen Bahnhofsempfangsgebäudes“, verrät ein Schild die Pläne von Investor Nicolas Stoetter, die bis 2025 verwirklicht werden sollen.

    Blickt man gleich daneben durch die teilweise mit Brettern zugenagelte Eingangsöffnung, sieht man Jugendliche mit kreativem Arbeiten beschäftigt. Da wird geschnitten, mit der Heißklebepistole hantiert, der Großformatdrucker wirft Bögen mit Konterfeis kampfbereiter Menschen aus, Kartonagen werden hin- und her transportiert. „Wir wollen im Rahmen einer Zwischennutzung etwas Sinnvolles machen, und da Theater derzeit nicht erlaubt ist, bauen wir eine Theatermaschine mit beweglichen Elementen“, erklärt Wolfgang Hauck von „Die Kunstbaustelle“ aus Landsberg. Er ist Initiator dieses Pfingstferienprojekts, das Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren kostenlos nutzen können.

    Im Wartesaal des Geltendorfer Bahnhofs hat Renate Stoiber mit den Kindern bewegliche Bühnenbilder entworfen.
    Im Wartesaal des Geltendorfer Bahnhofs hat Renate Stoiber mit den Kindern bewegliche Bühnenbilder entworfen. Foto: Thorsten Jordan

    Einer von ihnen ist Shokrullah (14), der zusammen mit seinem Bruder Mostafa (zwölf) seit vier Tagen jeden Vormittag zu Fuß aus Eresing kommt. Shokrullah stellt aus festem Karton Griffe für Schilder her. Sie zeigen Fotos von wild entschlossenen Menschen, Teilnehmer des Projekts, und Schriftzüge wie „Einheit“ und „Wirklich“. In großer Runde habe man sich zuerst damit beschäftigt, wofür jeder Einzelne stehe und wofür er kämpfen würde, erklärt Hauck, der zur Förderung des Projekts „Bahnhof 119“ den Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V. und als Kartonagen-Sponsor die Landsberger Firma Redl Karton gewinnen konnte.

    Der Auftakt fand am 14. Mai statt, seitdem sind täglich circa 14 Teilnehmer anwesend, Schüler und Schülerinnen, aber manchmal auch Eltern oder Volunteers, die Freiwilligenarbeit im interkulturellen Austausch leisten. Für die künstlerische Begleitung sind Mathijs Stegink und Sjors Knol aus den Niederlanden angereist und Renate Stoiber, ehemalige Kostümbildnerin der Bayreuther Festspiele, kommt täglich aus München, um die Jugendlichen beim Bau beweglicher Bühnenbilder anzuleiten.

    Das Programm endet nach den Pfingstferien

    Bis zum 6. Juni können neue Teilnehmer noch dazukommen, für einen Tag oder auch länger, so wie Shokrullah, der gerne weiter dabei sein möchte. „Sonst wären die Ferien langweilig“, sagt er und sein Bruder zeigt ein Bühnenbild im nach einer Seite offenen Karton, das er konstruieren ließ. Mostafa, der in Geltendorf Fußball spielt, hat eine typische Fußballszene mit Torwart und Verteidigern, die sich bewegen lassen, dargestellt. „Alles in Bewegung“ lautet das Motto, und so lässt sich beispielsweise eine rote Bank, als Synonym für „nichts auf die lange Bank schieben“, an einem Strohhalm über die kleine Bühne schieben. Teilnehmerin Tamea hat kunstvoll eine Wendeltreppe aus rosa Papier mit beweglichen Stufen gebaut. Ein anderes Theater zeigt die Berg- und Talfahrt, die das Leben bieten kann. „Einfach mit irgendetwas anfangen und dann schauen, was entsteht. Man kann aus wenig ganz viel machen“, ist die Devise von Renate Stoiber.

    Workshop-Coach Sjors Knol mit Wolfgang Hauck.
    Workshop-Coach Sjors Knol mit Wolfgang Hauck. Foto: Thorsten Jordan

    Im ehemaligen Schalterraum lagern in unzähligen Boxen Heißklebepistolen, Wäscheklammern, Cuttermesser, Klebebänder, Scheren, Stifte und buntes Papier. Hier ist das Bahnhofsflair noch spürbar mit den beschmierten beigen Natursteinkacheln an der Wand, darüber ein Plakat, das das neue Album von Bruce Springsteen bewirbt. Auf der zerbrochenen Glastür steht „Ausgang“ und darüber klebt ein Zettel mit der Bitte, den Raum sauber zu halten, denn „er dient dem Aufenthalt wartender Reisender und nicht als Schweinestall!“. Die Zeit scheint stehen geblieben, jedoch, erstaunlicherweise, die Uhren zeigen sie noch korrekt an.

    Die Berührung findet nur visuell statt

    Eine Skulptur aus stehenden Figuren ist in den ersten Tagen schon entstanden. Sie berühren sich und wer sich mitten hineinstellt, der fühlt sich umarmt. „Wir visualisieren damit Berührung, denn diese, so ergab unser Workshop, fehlt den Teilnehmern sehr“, erklärt Wolfgang Hauck, für den der alte Bahnhof ein Ort der Inspiration ist. „Von hier sind Männer in den Krieg gefahren, es wurde Abschied genommen und auch viel gewartet. Das steckt alles noch in den Wänden.“ Eine Aufführung ist nicht geplant, jedoch eine Ausstellung. Gebaut wird nicht für die Ewigkeit, alles soll wieder recycelt werden. „Nichts verändert sich, nur unser Bewusstsein“, sagt auch Künstler Mathijs Stegink, der bereits bei Haucks Projekt Architectus Lucis 2016 dabei war, über den künstlerischen Schaffensprozess.

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