Gut 24 Stunden sind seit dem schrecklichen Arbeitsunfall in Denklingen vergangen. Am Unglücksort, wo am Freitag vier Bauarbeiter ihr Leben verloren haben, ist es am Samstagvormittag gespenstisch ruhig. Vereinzelt bleiben Autos stehen. Ein Angehöriger lässt das Fenster an seinem Wagen herunter und blickt auf den Unglücksort. „Wie konnte das passieren?“, fragt er. Er ist der Vater eines der Verunglückten und hat Tränen in den Augen.
An einer provisorischen Gedenkstätte an der Baustelle wurden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet – unmittelbar dahinter befindet sich das Trümmerfeld, in dem die vier Arbeiter am Freitagvormittag verschüttet wurden und starben. „Ich kannte die Männer nur flüchtig“, sagt ein Handwerker. „Heute Nacht konnte ich gar nicht schlafen.“ In der ganzen Gemeinde herrscht Fassungslosigkeit.
Wie berichtet, waren die Männer auf einer Baustelle am Firmensitz ihres Arbeitgebers damit beschäftigt, einen Verbindungsbau zwischen zwei Gebäuden zu errichten. Plötzlich stürzte ersten Ermittlungen zufolge die am Morgen gegossene Betondecke ein und begrub die vier Männer unter sich. Die Todesopfer im Alter von 16 bis 37 Jahren stammen laut Polizei alle aus dem Landkreis Landsberg, zwei von ihnen aus dem Ortsgebiet Denklingen.
Nach dem Unglück auf der Baustelle herrscht in Denklingen Schockstarre
Entsprechend groß ist die Betroffenheit in der rund 2550 Einwohner zählenden Gemeinde. „Es herrscht Schockstarre“, sagt Bürgermeister Andreas Braunegger. Die beiden Denklinger seien in das Dorfleben integriert gewesen. Nach dem Unglück habe er im Rathaus mit ihren Angehörigen gesprochen. „Man kann nur versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihnen die Ängste zu nehmen“, sagt Andreas Braunegger. „Ich werde weiterhin unsere Hilfe anbieten.“
In jüngster Vergangenheit habe die Gemeinde einige Schicksalsschläge zu bewältigen gehabt. „Mittlerweile sind wir darin leider erprobt.“ Er spricht damit unter anderem den tragischen Verkehrsunfall Anfang Juni auf der B17 an. Damals kam eine Mutter mit ihren beiden Töchtern und einer Freundin der Mädchen um, als ihr Wagen mit einem Sattelzug kollidierte. Der Unfall am Freitag habe gezeigt: Der Zusammenhalt im Ort ist groß. „Beim Rettungseinsatz hat alles Hand in Hand funktioniert, das war schon Wahnsinn“, sagt Braunegger. Privatpersonen und umliegende Baufirmen hätten Geräte und Maschinen in Windeseile gebracht, um die Einsatzkräfte zu unterstützen.
„Die Firma gibt es seit zig Jahren bei uns im Dorf. Sie hat einen sehr guten Ruf, es ist nie etwas Größeres gewesen“, sagt Willi Greif, als er am Samstag den Dorfladen in der Ortsmitte verlässt. Die beiden verunglückten Männer aus Denklingen seien früher im Fußballverein aktiv gewesen, berichtet der ehemalige Abteilungsleiter des VfL Denklingen. „Es ist äußerst tragisch, fast unbeschreiblich.“
Die Feuerwehr war nach dem Unfall in Denklingen bis in die Abendstunden im Einsatz
Bundesweit hatten Medien über das Unglück berichtet. Bei Willi Greif habe sich über Whatsapp sogar eine Bekannte aus Hamburg über die Geschehnisse erkundigt. 90 Prozent der Einwohner hätten die beiden verunglückten Denklinger gekannt, schätzt die Verkäuferin einer Bäckerei. „Ich will nicht viel dazu sagen. Man ist einfach nur betroffen.“ Die Stimmung im Ort sei nun „schlimm“ – am Tag danach gebe es kein anderes Gesprächsthema. Wie ein Kunde der Bäckerei berichtet, sei er am Freitag auf dem Rückweg vom Einkaufen auf die vielen Blaulichter im Gewerbegebiet aufmerksam geworden. Wegen des Großaufgebots an Einsatzkräften sei ihm schnell klar gewesen, dass etwas Größeres passiert sein muss. „Jetzt fehlen mit einfach die Worte.“
„Für das Dorf ist der Unfall einfach brutal“, sagt Walter Riemerschmid, der in der Nähe des Feuerwehrhauses wohnt. Noch am Freitagabend habe er sich auf den Weg zur Unglücksstelle gemacht, um eine Kerze aufzustellen. Die Dienste des betroffenen Bauunternehmens habe er selbst schon einmal in Anspruch genommen. „Ich habe wirklich nur gute Erfahrungen gemacht.“ Die Beschäftigten hätten absolut zuverlässig und gewissenhaft gearbeitet.
Die Einsatzkräfte der Denklinger Feuerwehr seien am Freitag noch lange – bis circa 21 Uhr – am Feuerwehrhaus beschäftigt gewesen, sagt Riemerschmid. Ihnen sei anzusehen gewesen, dass sie bis ins Mark erschüttert sind. „Einige kennen die Verunglückten. Ich will gar nicht wissen, wie es ist, die eigenen Leute aus den Trümmern zu ziehen.“
Denklingens Kommandant Christian Gleich ist gegen Samstagmittag schon wieder am Feuerwehrhaus anzutreffen. Für die Feuerwehrleute war der Einsatz am Freitag extrem fordernd – körperlich wie emotional. Zum Teil gruben die Helfer mit bloßen Händen, um die Verschütteten zu retten. „Wenn man die Opfer persönlich kennt, ist das für die Einsatzkräfte natürlich noch einmal eine ganz andere Sache“, sagt der 25-Jährige nachdenklich. Noch am Wochenende stand für ihn und seine Kameraden ein Treffen mit dem Seelsorgeteam der Kreisbrandinspektion an. „Wir müssen die ganze Sache nun nach und nach aufarbeiten. Natürlich hat man die Bilder immer noch im Kopf.“
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