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Coronavirus: Patient 0 im Interview: "Diese Panikmache fand ich schon sehr überzogen"

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Patient 0 im Interview: "Diese Panikmache fand ich schon sehr überzogen"

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    Ein Mann aus dem Landkreis Landsberg gilt als der erste Corona-Patient Deutschlands.
    Ein Mann aus dem Landkreis Landsberg gilt als der erste Corona-Patient Deutschlands. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Aus dem Archiv:

    Sie haben Ende Januar unfreiwillig Berühmtheit erlangt: Sie waren der erste Corona-Patient in Deutschland – ein Titel, den Sie sich gerne erspart hätten, oder?

    Patient: Eine behandelnde Ärztin sagte zu mir, dass ich jetzt eine Berühmtheit bin. Darauf hätte ich aber gerne verzichtet, ebenso wie auf die 18 Tage in Quarantäne im Krankenhaus in Schwabing. Was mich am meisten geärgert hat, ist, dass ich deswegen den dritten Geburtstag meiner Tochter verpasst habe.

    Aber die Isolation von Erkrankten befürworten Sie doch auch, oder?

    Patient: Natürlich. Was mich und die anderen Betroffenen so ärgert, ist, dass wir dort festsaßen, auch als wir wieder gesund waren. Es gab ein Gespräch nach dem anderen zwischen den Ärzten – von denen wir uns gut betreut gefühlt haben – und Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums, aber keine Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen wir entlassen werden können. Unfassbar ist aus meiner Sicht, dass man an einem Freitag zu keinem Ergebnis kam und sich für Montag wieder verabredete. Der Krisenstab machte übers Wochenende einfach Pause.

    Hinter der Tür mit diesem Schild befindet sich die Quaräntestation des Klinikums Schwabing, auf der auch der Mann aus Kaufering 18 Tage verbrachte.
    Hinter der Tür mit diesem Schild befindet sich die Quaräntestation des Klinikums Schwabing, auf der auch der Mann aus Kaufering 18 Tage verbrachte. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Angesteckt haben Sie sich bei einer chinesischen Kollegin mit der Sie und zwei weitere Kollegen ein Meeting hatten. Wie ging es nach der Besprechung bei Ihnen weiter?

    Patient: Das Meeting war am Montag. Danach ging es mir noch gut. Donnerstag hat der Hals etwas gekratzt und Freitagnacht hatte ich dann Fieber. Es war nicht dramatisch. Ich habe mich so fit gefühlt, dass ich Montag auch wieder arbeiten gegangen wäre. Aber dann kam die Mitteilung der chinesischen Behörde an meinen Arbeitgeber, den Automobilzulieferer Webasto, dass die Kollegin das Virus in sich trägt.

    Was haben Sie in dem Moment gedacht?

    Patient: Ich habe zuerst an meine Tochter gedacht und meine schwangere Frau. Schließlich waren wir die ganze Zeit zusammen und ich habe meiner Tochter jeden Abend einen Guten-Nacht-Kuss gegeben. Bei ihnen waren die Tests aber glücklicherweise negativ, genauso wie bei den beiden anderen Kollegen, die mit in der Besprechung gesessen haben.

    Verspürten Sie deswegen Wut oder ein Gefühl der Ungerechtigkeit, weil nur Sie betroffen waren?

    Patient: Nein, es ging mir ja im Grunde gut und ich war erleichtert, dass es die Anderen nicht hatten. Das trifft auch auf den engeren Freundeskreis zu, deren Namen ich beim Gesundheitsamt angeben musste.

    Wie ging es nach der Information durch den Arbeitgeber weiter?

    Patient: Ich bin dann Montagvormittag zum Hausarzt, der mich weitergeschickt hat zum Tropeninstitut nach München . Dort wurden dann in einer sehr unangenehmen Prozedur Proben unter anderem aus dem Rachen und der Nase genommen. Danach bin ich dann erst mal wieder nach Hause gefahren. Um 20 Uhr kam der Anruf, dass ich ins Klinikum Schwabing kommen soll, weil der Test positiv getestet sei. Darüber habe ich Webasto informiert und mich dann ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Ich war aufgewühlt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Ich bin dann in ein ganz normal eingerichtetes Einzelzimmer des Krankenhauses gekommen. Besonders war nur, dass in dem Zimmer Unterdruck herrschte. Es darf keine Luft, die die Erreger transportiert, aus dem Zimmer nach außen gelangen.

    Was dachten Sie, als immer mehr Kollegen ebenfalls in Schwabing isoliert wurden?

    Patient: Natürlich kommt man da ins Grübeln und überlegt, welche Dimension das Ganze wohl noch annimmt. Andererseits ging es ja keinem von uns wirklich schlecht.

    Wie sah der Alltag aus?

    Patient: Morgens wurden immer Proben genommen. Danach habe ich gelesen, vor allem die Berichterstattung zum Coronavirus , oder auf freiwilliger Basis gearbeitet. In den Videokonferenzen habe ich viel Zuspruch von den Kollegen bekommen. Auch der Vorstandsvorsitzende hat mich angerufen. Schmunzeln musste ich über das Geschenk der Firma: ein Puzzle mit 1000 Teilen. Weil ich so viel Zeit hatte, erwies es sich dann aber als gute Idee. Nach zwei Tagen war ich damit fertig. Zudem habe ich mit meiner Familie per Videoschaltung Kontakt gehalten.

    Im Landkreis Landsberg war die Verunsicherung groß, als bekannt wurde, dass Sie eine Tochter haben, die eine Kindertagesstätte besucht. Viele Eltern ließen deswegen den Nachwuchs zu Hause und die Informationspolitik des Landratsamtes stand in der Kritik.

    Patient: Ja, zunächst war in der Öffentlichkeit unbekannt, wo wir genau leben, das führte zu Spekulationen. Ich kann nachvollziehen, dass sich andere Eltern konkrete Informationen gewünscht hätten. Andererseits geht es auch um den Schutz meiner Familie und deren Privatsphäre. Zumal meine Familie negativ getestet und das auch kommuniziert wurde. Es ist dann bekannt geworden in welche Kauferinger Kindertagesstätte meine Tochter geht. Der Elternbeirat wollte eine Schließung erreichen und hat die Polizei alarmiert und zum Gesundheitsamt geschickt. Diese Panikmache fand ich schon sehr überzogen. Wir sind den Mitarbeitern der Kindertagesstätte dankbar, dass sie uns in der Phase Rückhalt gegeben haben.

    Was haben Sie gemacht, als Sie entlassen wurden?

    Patient: Mich gefreut, dass ich wieder bei meiner Familie sein kann und eine Pizza bestellt. Den ganzen nächsten Tag habe ich die Wäsche bei 60 Grad mit Hygienespüler gewaschen. Nicht alle Teile haben es überlebt. Allerdings musste ich mir während der Quarantäne ohnehin neue Sachen bestellen, weil ich meine Wäsche nicht waschen konnte und nicht für fast drei Wochen beispielsweise T-Shirts besessen habe.

    Sie dürfen allerdings immer noch nicht wieder an die Arbeit gehen, warum?

    Patient: Das liegt an Auflagen des Gesundheitsamtes. In der Nase, dem Rachen und der Lunge ist der Virus nicht mehr nachweisbar, aber geringste Mengen im Stuhlgang. Gäbe es bei Webasto eine eigene Toilette für mich, dürfte ich auch schon wieder arbeiten gehen.

    Wie geht der Bekannten- und Freundeskreis mit der Erkrankung um?

    Patient: Humorvoll. Ich habe jetzt den ganzen Kühlschrank voller Corona-Bier und auch Shirts mit entsprechendem Schriftzug darauf.

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