Mag das pädagogische Konzept mittlerweile auch inakzeptabel sein, "Die Häschenschule" des Jenaer Lehrers Albert Sixtus ist noch immer ein Klassiker, der zu Ostern gern aus dem Bücherregal gezogen wird. Vor 100 Jahren, im Spätsommer 1924, erschien das Büchlein, über zwei Millionen Exemplare wurden seitdem verkauft.
Ein Kinderbuchklassiker seit 100 Jahren: "Die Häschenschule" von Albert Sixtus
Dabei hatte Sixtus das Werk mit den lustigen Versen erst einmal für den Hausgebrauch geschrieben. Sohn Wolfgang verlangte nach Märchen über Heinzelmännchen und Hasen, und so entstanden in einer Nacht zehn Szenen über das Schulleben der Hasenkinder. Als Sixtus es einem Verlag anbot, forderte der gleich noch fünf dazu, und fertig war ein Kinderbuch, das auch dank der Illustrationen von Fritz Koch-Gotha zum Longseller wurde mit Versen wie diesem: "Hasenhans und Hasengretchen/ gehen lustig Pfot´in Pfötchen/ um die sechste Morgenstund´/ durch den bunten Wiesengrund./ Viele andre Hasenjungen/ kommen schnell herbeigesprungen./ Auf dem Rücken sitzt das Ränzchen,/ hinten wippt das Hasenschwänzchen."
Sixtus´Geschichte erzählt von den Hasengeschwistern Hans und Grete, die in der Schule in Pflanzenkunde und Eierbemalen unterrichtet werden, die lernen, wie man dem Jäger und seinem Hund entkommt, und eindringlichst ermahnt werden, sich vor dem gefährlichen Fuchs in Acht zu nehmen. Das Buch endet mit der Hasenfamilie am Mittagstisch und dem treuherzigen Verslein "Wär ich nicht ein Kindelein, möcht ich gleich ein Häschen sein."
Anke Engelke schrieb "Die neue Häschenschule"
Nostalgiker lieben es gerade wegen dieser eingängigen, altmodischen Verse, aber nicht wenigen Menschen ist das Werk zu viel des Guten – sprich zu viel an Anstand, Gehorsam und Fleiß mit artig zum Gebet gefalteten Pfötchen und emsiger Eiermalerei. Ganz zu schweigen von der schwarzen Pädagogik, zu der der Lehrer greift: Eine Rohrstockszene wurde nach dem Krieg schon aus den Neuauflagen gestrichen, aber an den Ohren gezogen und in den "Karzer" gesteckt wird der Hasenmax bis heute, weil er eben gern Unsinn macht. Nicht nur nicht zeitgemäß, sondern höchst unangemessen finden viele Leserinnen und Leser mittlerweile auch die stereotypen Zuschreibungen für Buben und Mädchen: "Lustig sind die Hasenjungen,/ toll, wie da herumgesprungen./ Doch die Mädchen knabbern stumm/ an dem Frühstückskraut herum,/ und sie wandern, tipp-tipp-tapp,/ mit der Freundin auf und ab."
Höchste Zeit also, so der Thienemann Verlag, in dessen Verlagsverbund "Die Häschenschule" mittlerweile erscheint, das Buch zum Jubiläum ein wenig aufzupeppen und zeitgemäßer zu machen. Anke Engelke, durch viele Comedy-Shows spaßerprobt, und die Illustratorin Mareike Ammersken wurden damit beauftragt. In "Die neue Häschenschule" ist nun das Hasenmädchen Hoppich die Hauptfigur, und ein neuer Klassenkamerad sitzt mit auf der Schulbank: das Fuchskind Brehm. Ja, richtig gelesen, der Fuchs ist nicht mehr der Bösewicht, sondern wird zum Freund der hoppelnden Langohren. Und Veganer ist er obendrein. Ohne Moral kommt aber auch Engelke nicht aus: "Wenn wir allen Chancen geben,/ können wir viel mehr erleben!" Vielfalt und Toleranz also statt angepasster Bravheit.
Die Bauern sind die Bösewichte in "Die neue Häschenschule"
Doch gut ist damit nun gar nichts. Denn einen Konflikt und einen Bösewicht braucht es in Kinderbüchern, so die Ansicht des Verlags, weswegen Engelke nun – ganz im Sinne der menschengemachten Zerstörung von Umwelt und Natur – den Menschen als des Hasen größten Feind ausmacht, und zwar in Person des Bauern, der die Natur mit seinen Pflanzenschutzmitteln vergiftet und mit riesigen Mähdreschern durch die Felder pflügt, in denen die Hasenkinder Verstecken spielen. Ausgerechnet die Bauern, deren Wutpegel derzeit eh am Überschlagen ist!
Die Reaktion kam prompt: Entsetzte Kommentare in den sozialen Medien und kritische Bewertungen auf den Seiten der Online-Buchhändler. Der Präsident des sächsischen Bauernverbandes, Torsten Krawszyk, zeigte sich "ehrlich gesagt fassungslos", und das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt kritisierte Engelke in mehreren Artikeln für ihre Verunglimpfung eines Berufsstandes. Fast augenzwinkernd könnte man da Wochenblatt-Redakteur Gerd Kreibisch verstehen, der sich in einem Video auf Engelkes Buch einen eigenen Reim macht: "Ach Anke, darf ich Dich mal stören? Wer macht denn eigentlich die Möhren? Ich sag es Dir, dann bist du schlauer: Auch die Möhren macht der Bauer." Auf Engelkes Facebook-Seite warfen ihr Menschen "Indoktrination" und "Volksverblödung" vor. Die so Geschmähte sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kurz nach Veröffentlichung des Buches, als die Landwirte noch mehr gegen den Wegfall des Agrardiesels demonstrierten als Kinderbücher kritisierten: "Ich möchte den Kindern auch nicht das Bild nehmen, dass es schön wäre, später Bauer zu werden. Aber den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen. Sie wolle den Kindern zeigen, so Engelke, dass Menschen vieles falsch machen, und wolle zu Gesprächen anregen, wie man es besser machen könne.
Ins Gespräch gebracht hat Anke Engelke das 100 Jahre alte Kinderbuch mit ihrer Neufassung allemal – und manch einer wird wohl auch lieber zu der alten Fassung greifen, um wieder Hasenhans und Hasengretchen in die Schule zu begleiten.