Was haben Greta Thunberg, Johnny Depp und Jassir Arafat gemein? Alle drei haben schon mal ein Palästinensertuch getragen. Die eine erst neulich, weil sie es vielleicht nicht besser wusste. Der andere fernab des roten Teppichs, um sein rebellisches Image zu unterstreichen. Und Arafat, der hatte das gemusterte Tuch ständig auf dem Kopf drapiert, um ein politisches Zeichen zu setzen. Der Führer der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“, kurz PLO, wusste um die Wirkmacht des quadratischen Stücks Stoff und inspirierte Antiimperialisten und Modegurus gleichermaßen.
Ein einfaches Kleidungsstück war das Palästinensertuch nie
Karl Lagerfeld höchstpersönlich warf sich den Fetzen farblich passend zu schwarzer Sonnenbrille und weißem Haar über die Schulter. Bei Fashion-Shows wurde das Tuch immer wieder als harmloses Accessoire über den Laufsteg geschleift. Modemarken wie Balenciaga hatten es in ihrer Kollektion. Mitte der Nullerjahre brachte das Label Lala Berlin Kaschmir-Schals im Pali-Muster heraus und die Designerin erklärte das Tuch prompt für „entpolitisiert“. Netter Versuch, aber ein einfaches Kleidungsstück war das Palästinensertuch nie. Auch nicht, als es später in Billigläden und Fast-Fashion-Stores am Haken hing. Denn der Stoff hat eine bewegte Geschichte.
Er gilt als Symbol des palästinensischen Widerstands, wird hierzulande von Teilen der Linken als Zeichen der Solidarität mit Palästina getragen, ist aber auch als antijüdisches Symbol auf rechten Demos zu sehen. Kaum eine Klamotte ist politisch so aufgeladen wie das Palästinensertuch und spätestens seit dem Angriff der Hamas auf Israel ist es kein harmloses Mode-Accessoire mehr. Denn es kann als Befürwortung des Angriffs oder als Ausdruck der Unterstützung der Terrororganisation verstanden werden. Berliner Schulen dürfen das Tragen des Tuchs deshalb sogar verbieten.
Ende der 1960er-Jahre erlangte das Pali-Tuch weltweite Bedeutung
Dabei erfüllte die Kufiya, wie das Baumwolltuch traditionell genannt wird, ursprünglich einen harmlosen Zweck: Es sollte Feldarbeiter im Nahen Osten vor Hitze und Staub schützen. Zum politischen Zündstoff wurde es in den 1930er-Jahren, als sich arabische Nationalisten unter Anführung von Mohammed Amin el-Husseini gegen die britische Besatzung und die Einwanderung von Jüdinnen und Juden nach Palästina wehrten. Der Mufti von Jerusalem war überzeugter Antisemit, bewunderte Hitler, kollaborierte mit dem NS-Regime und sah im Pali-Tuch ein geeingnetes Erkennungszeichen für Araber.
Erst Ende der 1960er-Jahre erlangte der schwarz-weiße Stoff weltweite Bedeutung – als Markenzeichen von Jassir Arafat. Er trug das Palästinensertuch bei jeder Gelegenheit, meist kunstvoll um den Kopf gezwirbelt, mit schwarzer Kordel und Spitz in der Stirn. Nicht umsonst ist es auch als Arafat-Tuch bekannt. Der PLO-Vorsitzende war gern gesehener Gast in der DDR und inspirierte offenbar nicht nur ideologisch.
Linke Antiimperialisten wickelten sich das Pali-Tuch von da auch hierzulande um den Hals, um ihre Unterstützung mit der prosowjetischen PLO auszudrücken und ein Zeichen gegen das vermeintlich imperialistische, von Frankreich und den USA gestützte Israel zu setzen. Was heute als kulturelle Aneignung abgekanzelt würde, galt damals als Zeichen der Solidarität, des Widerstands und der nationalen Befreiung.
Das Palästinensertuch wanderte von links nach rechts bis in den Mainstream
Spätestens in den 1990er Jahren hatte sich das Tuch als Erkennungsmerkmal in der linken Szene durchgesetzt. Wohlstandskinder links der Mitte trugen Springerstiefel, zerrissene Jeans und Parka und wickelten sich obligatorisch ein ausgefranstes Pali-Tuch um den Hals, um gegen Imperialismus und Kapitalismus, gegen Bonzen und Nazis zu rebellieren. Es ging um vieles, nur selten um den Nahostkonflikt. Die politische Botschaft des Palästinensertuchs verwässerte, auch im Bewusstsein vieler Trägerinnen und Träger. Ähnlich wie die Bomberjacke wanderte der Stoff von links nach rechts bis in den Mainstream und war plötzlich in allen Farben verfügbar, nicht mehr nur klassisch Schwarz-Weiß für Palästina oder Rot-Weiß für Jordanien, sondern auch in Grün, Pink oder kunterbunt. Doch anders als die Bomberjacke war das Tuch nie ganz neutral.
Linke hatten es als Symbol der Befreiung der Palästinenser lange für sich reklamiert, dann zogen es sich plötzlich auch stramme Neonazis bei Demos zur Vermummung ins Gesicht, umgedeutet als Zeichen für die Zerstörung Israels. Seit den Angriffen der Hamas auf Israel ist die politische Bedeutung des Tuchs noch mal brisanter geworden. Palästinenserinnen und Palästinenser mögen es sich bei Protesten um den Kopf legen, um ihre Trauer und Solidarität auszudrücken. Nicht jeder, der es trägt, ist Antisemit. Aber wer Schwarz-Weiß-Botschaften vermeiden will, sollte sich das schwarz-weiße Tuch besser nicht um den Hals wickeln.