„Ich gehe langsam aus der Zeit heraus/ in eine Zukunft jenseits aller Sterne,/ und was ich war und bin und immer bleiben werde,/ geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,/ als wär ich nie gewesen oder kaum.“ Mit diesen Worten von Hans Sahl hatte Wolfgang Rihm in guter abendländischer Todesreflexion seine „Requiem-Strophen“ beendet, 2017 als Auftragswerk des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons uraufgeführt. Nun ist Wolfgang Rihm, erkrankt an Krebs, über Jahrzehnte hinweg führender Komponistenkopf und führender Musikphilosoph Deutschlands, mit 72 Jahren gestorben.
Wolfgang Rihm komponierte gut 500 Musikwerke
Als Schöpfer von gut 500 Werken – Oper, Orchestermusik, Kammermusik und Lied – war der gebürtige Karlsruher auch Mitglied vieler geisteswissenschaftlicher Akademien, Träger hoher Auszeichnungen, stark aufgeführt im In- und Ausland. Bereits in frühen Jahren hochreflektiert, entwickelte er sich zum Denker, zu einem unermüdlich literarisierenden Tonschöpfer und einem unermüdlich komponierenden Essayisten.
Er hielt es mit Paul Valery und seinem Satz „Könnte ein Vogel genau sagen, was er pfeift, warum er das pfeift und was in ihm pfeift, würde er nicht pfeifen.“ Und er hielt es mit dem Kollegen Edgar Varese: „Komponieren nach System ist der Beweis schöpferischer Impotenz.“ Also umschiffte er in seinen Partituren – geprägt auch durch seine Lehrer Wolfgang Fortner, Karlheinz Stockhausen, Klaus Huber – die Kategorisierung, die Klassifizierung, das Schubladendenken. Stattdessen schöpfte er Musik, die den Prozess des Atmens, Werdens und Wachsens – gleichsam außerhalb fest umrissener Hochbeete – in sich trug. Komponieren war ihm ein naturnahes, vegetatives Entwickeln (auch aus dem Fragment heraus), ein sich nicht selbst reproduzierendes Kreiseziehen. Vielleicht am deutlichsten wird dieses Verfahren in seinen Werken „Séraphin“ (1991–2006), „Form/Formen“ und „Verwandlung“ (2002–2013), von denen es jeweils mehrere „Zustände“ gibt.
Jakob Lenz“ und „Hamletmaschine“ zählen zu Rihms Opern
Das Freigeistige fördert geradezu die Entwicklung: Auch Wolfgang Rihm, zu dessen bekanntesten Kompositionsschülern Rebecca Saunders und Jörg Widmann zählen, hat bei allem Drang nach neuen Tönen jenen Künstlerweg vollzogen, wie ihn schon seine deutschen Altvorderen Richard Strauss und Hans Werner Henze beschritten: vom existenziell Dunklen, Wuchtigen, Hochexpressiven, auch Skandalösen, hin zum existenziell Abgeklärten. Waren seine Opern „Jakob Lenz“ (1979), „Hamletmaschine“ (1986) und „Die Eroberung von Mexiko“ (1992) in Wort wie Ton aufrüttelnde Theaterstoffe, so drängte es Rihm nach der Jahrtausendwende mehr und mehr zu introvertierter, elegischer Abgesangsmusik.
Nicht erst das 2006 in Augsburg zum 250. Geburtstag Mozarts uraufgeführte „Fremdes Licht“ kündet davon, später auch seine für die Festspiele Schwetzingen geschriebene Oper „Proserpina“ (2009) und die zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie komponierte „Reminiszenz“ (2017) – angeregt, wie so oft bei Rihm, von Lyrik zwischen Michelangelo und Hans Henny Jahnn. Ein Großer ist von uns gegangen, die Musik trägt Trauer.
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