„Die Wände hatten Risse bekommen“, schreibt Barbara Peveling in ihrem autobiografischen Essay. Durch die Wände ihres Hauses dringt an dem Abend das vermeintlich Private an die Öffentlichkeit, als ihre Nachbarn wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt die Polizei rufen. Die Risse in den Wänden sind aber auch metaphorisch zu verstehen: Ihr Traum von der Kleinfamilie mit ihr als perfekter Mutter im schönen Einfamilienhaus hatte längst begonnen zu bröckeln.
Es kam an diesem Abend nicht zu Handgreiflichkeiten. Und doch ist es eine von vielen Situationen, die die Ethnologin und Autorin Barbara Peveling veranlassen, sich auf die Suche nach Formen der Gewalt und ihrem Ursprung zu begeben. Wo beginnt Gewalt? Ist es erst die in der Tür zerquetschte Hand oder schon der herablassende Kommentar nach einem langen Tag voll Wäscheberge und Hausaufgabenbetreuung?
Im Jahr 2023 starben 331 Frauen durch partnerschaftliche Gewalt
Was körperliche Gewalt betrifft, zeichnen die Zahlen ein deutliches Bild: Laut Bundeskriminalamt kam es 2023 zu 256.276 Einsätzen wegen häuslicher Gewalt. Im vergangenen Jahr sind 331 Frauen und 80 Männer durch partnerschaftliche Gewalt gestorben. In ihrem Buch fokussiert Peveling sich jedoch weniger auf die körperliche Gewalt, sondern stellt subtile Formen der Dominanz in den Vordergrund. Sie kreist um Szenen aus ihrem Alltag und verknüpft diese mit Theorien zu häuslicher Gewalt und Geschlechterrollen. Denn sie selbst hat im Laufe ihres Lebens verschiedene Formen von Gewalt erlebt.
Eine Besonderheit und Stärke an Pevelings Buch: Sie widmet sich auch denjenigen, die die Gewalt ausüben. Ausgehend von ihrer eigenen Biografie – ihr gewalttätiger Vater richtete seine Aggressionen schließlich gegen sich selbst und brachte sich um – betrachtet sie auch Männer als Opfer patriarchaler Rollenzuschreibungen. Das Buch liest sich als Suche nach Antworten auf den Verlust ihres Vaters und die späte Erkenntnis, sich als erwachsene Frau selbst in einer Dynamik der Gewalt wiederzufinden.
Häusliche Gewalt hängt eng mit den Geschlechterrollen zusammen
Dass das Haus für Frauen kein sicherer Ort ist, zeigt schon der Ausdruck „häusliche Gewalt“. Deshalb ist das Haus für Peveling nicht nur physischer Ort, sondern theoretisches Konzept: Hier manifestieren sich die Geschlechterrollen, in denen die Frau immer mehr in die Abhängigkeit vom Mann getrieben wird, und die Gewalt begünstigen. Indem sie gleichzeitig berücksichtigt, wie Männer mit den an sie gestellten Erwartungen zu kämpfen haben, gelingt ihr ein empathischer Blick auf die Täter und ein differenzierter Blick auf gewaltvolle Dynamiken.
„Es sind die Strukturen, die Gewalt etablieren“, schreibt Peveling. „Sie fördern durch Rollenzuschreibungen intime Formen der Dominanz.“ Sie können sich in verbaler Herabsetzung, in wirtschaftlicher Abhängigkeit oder körperlich äußern. Diese Formen der Dominanz, so beschreibt es Peveling, legen sich um die Frau wie ein Spinnennetz, aus dem sie sich kaum selbst befreien kann.
Peveling schreibt mit Offenheit und Ehrlichkeit von persönlichen Erlebnissen
In ihrem Buch entwirrt Peveling das patriarchale Spinnennetz, das sich auch um sie gelegt hatte. Stark ist ihr Rückgriff auf Theorien, Kunstwerke und Erzählungen, die sie fast poetisch mit Szenen ihres Alltags verknüpft. Leider kommt es bei diesem Kreisen um persönliche Erlebnisse zu Wiederholungen, die das Buch stellenweise langatmig erscheinen lassen. Offen und ehrlich schildert Barbara Peveling selbst schambehaftete Erinnerungen. Das macht ihre Erzählung nahbar und die Folgen von intimer Dominanz auch für diejenigen nachvollziehbar, die sie nicht selbst erlebt haben.
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