Optimismus braucht nicht viel Platz. Zwei Mal zwei Meter, kleinster Messestand auf der Buchmesse. Was passt da hinein? Eine schmale Bank, ein paar Holzkisten, die Bücher aufgereiht an der Wand. Und zwei bis drei Menschen, einer davon Lars Claßen: rote Strickmütze, weißes T-Shirt. „Be optimistic“, steht auf dem Shirt, die Haltung ist in diesem Fall auch Programm. „The Bright Side. Eine optimistische Geschichte der Menschheit“ heißt das Buch, das in wenigen Wochen erscheinen wird. Es wird das 18. in der Geschichte des Münchner Kjona-Verlags sein, was erst einmal nicht nach viel klingt, aber dann eben doch, wenn man weiß, wie kurz diese Geschichte erst ist. Gegründet hat Lars Claßen den Verlag zusammen mit einem Freund im November 2021, „zwei Wochen vor der Geburt meiner jüngsten Tochter“. Läuft aber längst, also auch der Verlag.
Halle 3, erster Stock: Hinreißende Bücher und ernüchternde Geschichten
Be optimistic? Seit Jahren rüttelt es die Branche durch, verschwinden die Leser, ein paar Millionen im vergangenen Jahrzehnt, schrumpft die tägliche Lesezeit, haben gestiegene Papierpreise und höhere Energiekosten das Bücherproduzieren noch teurer gemacht, kommen Inflation und Konsumflaute hinzu. Viel Ach unter dem Messedach, aber wohl nirgendwo so viel wie in Halle 3, wo sich im ersten Stock die kleinen unabhängigen Verlage präsentieren. Hinreißende Bücher kann man hier entdecken. Was man zu hören bekommt, sind jedoch viele ernüchternde Geschichten. Mittendrin aber: zwei Optimisten. Wie machen die das? Und wie machen das die anderen? Ein paar Storys.
Die von Lars Claßen und Florian Keck geht in der Kurzform so: Die beiden lernen sich beim Volontariat in der Frankfurter Verlagsanstalt kennen. Den einen zieht es ins Lektorat, er landet bei Suhrkamp, später als Programmleiter bei dtv, der andere wird Teilhaber einer Digitalagentur. 2021 gründen sie mit eigenem Geld und Kredit den Verlag, „den wir uns als Leser gewünscht hätten“. Anspruchsvoll, aber nicht abgehoben, fair für alle Beteiligte, so stellen sie sich das vor, und außerdem soll alles auch nachhaltig sein, vom Strom übers Papier hin zur Tinte. Kein Abfall, keine Schadstoffe. „Wenn sie wollten, könnten sie das Buch in die Erde geben.“ Zu viel arbeiten wollen sie auch nicht, der Kinder wegen: Teilzeit also.
Das erfolgreichste Sachbuch dieses Jahres? Schreibt Elke Heidenreich
Drei Jahre später stehen nun 17 Bücher auf den Regalen im kleinen Buchmessestand, darunter der Titel „Kleine Kratzer“. Das Buch von Jane Campbell, einer Psychoanalytikerin aus Oxford, über 13 Frauen, die sich wegen ihres Alters nicht aussortieren lassen wollen, haben sie bei Kjona mittlerweile weit über 40.000 Mal verkauft. Elke Heidenreich hat gesagt: „Mich macht dieses Buch glücklich.“ Jene Elke also, die gerade auch so viele glücklich macht, vor allem aber den Verlag Hanser Berlin. Ihr Buch „Altern“ wird das erfolgreichste Sachbuch des Jahres sein, und dazu schnell eine kleine Story, von ihr selbst erzählt auf YouTube. Als sie der Verlag fragte, ob sie nicht in der Essayreihe etwas zum Altern schreiben wolle, sagte Heidenreich erst einmal: „Seid ihr verrückt? Was soll ich da schreiben?“ Aber dann sei ihr eingefallen: „Ich bin 81. Wer, wenn nicht ich?“
Besser geht es nicht… Für Heidenreich. Für Kjona. Wie aber geht das?
Geschäftssinn, Gespür, Glück? Von allem etwas? Den Tipp mit Campbell bekam Claßen von einem New Yorker Lektor, den er noch vom alten Job kannte. „Und dann haben wir als neuer Verlag natürlich viele Freiheiten, keine Instandhaltungskosten“, sagt der Neu-Verleger. Und noch etwas kommt hinzu: Der Hanser-Verlag hat den Vertrieb übernommen. Wenn die Vertreter des renommierten Münchner Verlags in den Buchhandlungen mit ihrem Programm aus großen Namen unterwegs sind, die Nobelpreisträger auf den Tisch legen, dann platzieren sie daneben auch die neue Campbell von Kjona.
Große Buchhandelsketten bestellen nicht bei den kleinen Verlagen
Wie dagegen macht das Sarah Käsmayr, Verlegerin, studierte Buchgestalterin? Eine andere Geschichte. Sie fährt selbst durch die Lande mit ihren Büchern, bis Mitte Dezember jedes Wochenende, von Büchermarkt zu Büchermarkt. „Wie ich damals“, sagt dann ihr Vater Benno Käsmayr, der den Augsburger Maro Verlag zusammen mit einem Freund in den 70er Jahren gründete. In der Branche hat Maro einen Namen, für Bücher mit Haltung und mit vertrackter Schönheit. Zum Beispiel einer illustrierten Essay-Reihe, im neuesten MaroHeft geht es um Schlaf. Es ist nur so: Die großen Buchhandelsketten bestellen bei den großen Verlagen. Nicht bei den kleinen. Die kleinen Verlage aber könnten sich das auch gar nicht leisten, dieses Risiko, einfach mal Bücher verschicken, die man dann bei Nichtverkauf wieder zurückbekommt. Die Folge davon: Den neuen Mittelalter-Thriller von Frank Schätzing kann man im Buchhandel gar nicht übersehen – was übrigens für die Buchmesse auch für den omnipräsenten Autor gilt, von Bühne zu Bühne eilend. Kleine Story, die Idee für die Fortsetzung kam unter der Dusche, erzählt Schätzing – „was ich immer kategorisch ausgeschlossen hatte“. Läuft bei ihm! Zurück aber zu den Bestsellertischen bei Thalia oder Hugendubel, der feine Roman „Ein Haufen Dollarscheine“ von Esther Dischereit aus dem Maro Verlag liegt da natürlich nicht.
Deswegen ist Sarah Käsmayr an den Wochenenden unterwegs, um, wie sie sagt, „individuell mit den Menschen ins Gespräch zu kommen“. Sie rechnet einem jetzt einmal vor, was das für einen Verlag bedeutet, wenn schrumpfende Leserzahlen zu schrumpfenden Auflagen führen, zum Beispiel von 3000 auf 500. Die Herstellungskosten erhöhen sich damit, von drei Euro auf fünf Euro, rechnen darf man dann eigentlich nicht mehr, sagt Käsmayr: „Sinnlos.“ Aber mehr produzieren und dann auf 1000 Exemplaren sitzenbleiben – auch keine Lösung. Die letzten zwei Jahre hat sie als Förderung den Deutschen Verlagspreis erhalten, nun muss sie mit ihrer Bewerbung ein Jahr pausieren. 18.000 Euro weniger.
Um zu überleben, setzen immer mehr Verlage auf Crowdfunding
Wie geht es dann weiter? Mischkalkulation, sagt Katharina E. Meyer vom Merlin Verlag, und fragt einen, ob man den Spruch eigentlich kenne: „Wie kommt man als Verleger zu einem kleinen Vermögen? Indem man ein großes hat.“ Ein Fall von Galgenhumor also. Meyer ist Vorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung, die sich als Interessenvertretung unabhängiger Verlage versteht. Käsmayr sitzt mit ihr im Vorstand – gerade auch neben ihr im leuchtend gelben Stand der Stiftung. Die Lage ist so: Als der Börsenverein zuletzt eine Umfrage unter den unabhängigen kleinen Verlagen machte, gaben vier von zehn Verlegern an, schon ans Aufhören gedacht zu haben. Es häufen sich, zuletzt zum Beispiel vom Nautilus-Verlag, die Brandbriefe: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hätten sich dramatisch verschlechtert, die gute Nachricht aber: „Ihr könnt helfen.“ Mit Geld, mit Buchbestellungen. Crowdfunding, um zu überleben. In Frankfurt ist der Nautilus nun da mit seinem Herbstprogramm.
„Als Kleinverlegerin fühle ich mich von Regulierungen überschwemmt“
Katharina Meyer aber sagt auch das: Verlage sterben nicht von heute auf morgen, es gehe langsam und schleichend bergab. Erstes Anzeichen: schrumpfende Programme. Manche schlupfen einfach bei den größeren Verlagen unter, andere machen irgendwann still ihr letztes Buch. Seit Jahren fordert die Stiftung für die Kleinen eine strukturelle Verlagsförderung, so wie beispielsweise in Österreich oder der Schweiz. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, man wolle das prüfen. Umgesetzt wurde es bislang nicht. Dass das auf den letzten Metern noch passiert – Meyer glaubt nicht daran. Was, fragen sie sich bei den kleinen Verlagen, sind wir dem Land wert?
Ein paar Meter weiter, nächste Geschichte, sitzt Petra Kiedaisch, Stuttgarter Verlegerin, und deutet auf einen Kollegen mit Rollkoffer. „Der hatte jahrelang einen Acht-Quadratmeter-Stand auf der Messe“, erzählt sie. Noch mal zwei Quadratmeter mehr als sie mit der avedition – ein Fachverlag für Architektur und Design, fürs schöne Buch. Je nachdem, wie die wirtschaftliche Lage sich entwickelt, schließt sie nicht aus, dass auch sie nächstes Jahr mit dem Rollkoffer unterwegs ist. Sie lässt jetzt mal kurz den ganzen Ärger raus. Über die E-Rechnungs-Pflicht ab 2025, „da habe ich im Moment weder die Software noch die Kompetenz“. Über die Entwaldungsverordnung der EU, die nach viel Protest erst einmal um ein Jahr verschoben wurde. Demnach muss sie bald für jedes Buch nachweisen, wo der Baum gewachsen ist, der sein Holz für das Papier gegeben hat. Und ob man schon mal von ISNI gehört habe, International Standard Name Identifier? „Das nimmt viel Zeit fürs eigentliche Büchermachen“, sagt Petra Kiedaisch, „als Kleinverlegerin fühle ich mich von Regulierungen überschwemmt“. Und dennoch: Dass sie 2013 den Verlag, in dem sie bereits davor federführend arbeitete, zusammen mit zwei weiteren Teilhabern übernommen hat, „den Schritt bereue ich nicht“. Wie also finanziert man ein schönes Buch? Petra Kiedaisch holt jetzt ein Buch aus dem Regal: „al dente. Pasta und Design“. Es geht um Nudeln, um Nudelnamen, Nudeldesigner, Nudelhölzer, Nudelmaschinen und auch um Spätzle. „Ein Herzens- und Magenprojekt“ also, das Kiedaisch mit dem HFG-Archiv Ulm als Buch zur gleichnamigen Ausstellung verwirklichte. Für kleine Verlage sind solche Kooperationen oft überlebensnotwendig, zumindest die Druckkosten sind dann schon mal aufgeteilt.
So viel Rosa war noch nie – Zuwachszahlen gibt es vor allem bei Young und New Adult
Weiter zur nächsten Story? Es gibt auf der Buchmesse Dutzende pro Quadratmeter. Allein der Stand ist manchmal schon eine wert, einer übersät mit rosa Blüten zum Beispiel, als ob man ihn aus dem Gewächshaus direkt nach Frankfurt transportiert habe. Je mehr Blüten, je mehr Rosa, desto mehr Romance. So einfach kann man das gerade sagen. Und auch dies: So viel Rosa wie in diesem Jahr war noch nie. Nirgends im Buchmarkt gibt es solche Zuwachszahlen wie im Bereich Young und New Adult, wo es um Romanzen geht, um Liebe und um Sex – man achte da auf die Chilischoten. Eine ganze Etage haben sie auf der Buchmesse dem Segment eingeräumt. Längst haben ja auch die großen Verlage ihr Herz für die Lovestorys nach festen Mustern entdeckt: Slow Burn, Enemies to Lovers, Fake Dating, Boss Romance – und profitieren.
Passt aber nicht zum Maro Verlag, bei dem Sarah Käsmayr sagt: „Wenn ich nicht hinter jedem Titel stehen würde, würden die Titel hier nicht stehen.“ Passt auch nicht zur avedition, bei der Petra Kiedaisch erklärt: Die Buchkultur in Deutschland, die ganze Infrastruktur im Land von Gutenberg, sei doch immer etwas gewesen, mit dem man im Ausland angeben konnte. „Die steht doch für eine unglaubliche Leistung.“ Passt auch nicht zu Kjona, da aber sagt Lars Claßen zum Abschluss: Die Arbeit werde ja nicht weniger herausfordernd, wenn man sie pessimistisch angeht. Sie schauen auf „The Bright Side“. Es läuft gerade ein Crowdfunding-Programm für das Buch mit diesem Titel, das Finanzierungsziel von 12.600 Euro ist fast erreicht. Damit können sie die Produktionskosten für die ersten 3000 Exemplare decken. Claßen sagt: Ohne Optimismus hätte die Menschheit nie überlebt. Etwas von diesem positiven Gefühl wollen sie in die Welt tragen. Klingt nach einer guten Geschichte.
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