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Wettbewerb: Die Liebe zwischen Hochregalen beim Schwäbischen Literaturpreis

Wettbewerb

Die Liebe zwischen Hochregalen beim Schwäbischen Literaturpreis

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    Der 1. Preis des diesjährigen Schwäbischen Literaturpreises geht an Claudia Endrich.
    Der 1. Preis des diesjährigen Schwäbischen Literaturpreises geht an Claudia Endrich. Foto: Michael Hochgemuth

    Mit einem mehrstündigen Festakt in der Stadtbücherei Augsburg vergab der Bezirk Schwaben zum 18. Mal den Schwäbischen Literaturpreis. Noch vor den Lesungen der beiden anwesenden Autorinnen gab es Häppchen, Sekt und Selters für die etwa 120 Gäste und Mitarbeiter des Bezirks. Die beiden Autorinnen waren aus Österreich und Liechtenstein angereist, der Drittplatzierte und die Gewinnerin des Förderpreises schickten Videoclips mit Gedanken zu ihren Werken. Sie arbeiten und studieren derzeit in Japan und Schweden und verliehen mit ihren Leinwand-Intermezzi dem Stadtbücherei-Bühnenbild ein wenig internationales Flair. 

    200 anonymisierte Texte zum Motto „Gestern morgen“ waren eingereicht worden. Die achtköpfige Jury aus Akademikern, Theatermachern und Literarturveranstaltern sichtete, diskutierte und entschied. „Glauben Sie mir“, so Juryvorsitzender Michael Friedrichs am Rand der Veranstaltung, „unter den Juroren steht nichts sofort eindeutig fest.“ Das Ergebnis: Die Prämierung dreier fesselnder Texte über Liebe, Karriere in Fernost und die Bedrohungen der nahen Zukunft. 

    Spannung zwischen Emotion und Amazon-Codes

    Beep, beep. Am Handgelenk macht der Schrittmacher Töne, treibt die Ich-Erzählerin im Arbeitstakt durch die Paketzonen. „Prime“ heißt schließlich „zuerst“, also schnell, schnell. Wenn der nette Gabelstaplerfahrer in dieser technisierten Welt eines riesigen Paket-Verteilzentrums vorbeirauscht, horcht die Packerin auf. Sein Stapler tutet nicht wie die anderen, er macht eigene Töne, sanfte. Das ist Milan. Er sitzt im Fahrersitz, die Arme über der Brust gekreuzt, „die Finger unter den Ellbogen eingeklemmt“. So klingt das, wenn die Autorin Claudia Endrich, 32, Kommunikationswissenschaftlerin, Romanistin und Stipendiatin der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, loslegt, um in der ihr eigenen lockeren Umgangssprache ihre Figuren vorzustellen. Sie gewann mit „There ist more“ den mit 2500 Euro dotierten ersten Preis des Wettbewerbs. Eine vorsichtig-freche, sozialkritische Liebesgeschichte zwischen den Hochregalen eines Logistik-Verteilzentrums, siebeneinhalb Seiten Spannung zwischen Emotion und Amazon-Codes. 

    Zweitplatzierte (2000 Euro) wurde Sabine Bockmühl, 60, mit mehreren Near Future-Kurzepisoden unter dem Titel „Neuer Kontinent“. Keine Flucht in die ferne Zukunft, sondern „erzählerische Schnappschüsse“ mit Bezügen zur Gegenwart, wie Jurymitglied und Literaturwissenschaftler Julian Werlitz in seiner Laudatio hervorhebt. Waffen sind jetzt Alltag, die Künstliche Intelligenz hat die Grenzen zwischen Gerücht und Wahrheit aufgehoben, munter sabotiert ein Chatbot die gesamte menschliche Kommunikation. Doch keine großen Schlachten um schrumpfende Ressourcen, sondern virtuos-leichte Alltagsgeschichten der Menschen bevölkern Bockmühls Episoden. Wie der Dönerbuden-Mann, der seinen „Kebab de Lüx“ aus Hundefleisch zaubert: „Vor dem Döner sind alle gleich.“

    Ein Messer als Geburtstagsgeschenk

    Achim Stegmüller, Japanologe und Deutschlehrer in Kyoto, gewann für seine eingereichte Kurzgeschichte „Japan, Kopf und Brötchen“ den dritten Preis (1500 Euro). Eine autofiktionale Geschichte, launig vorgestellt von Michael Friedrich, dem Jury-Vorsitzenden des Literaturpreises. Es geht um einen selbstherrlichen deutschen Professor in Japan und die schwierigen ersten Schritte seines motivierten, in Ich-Perspektive erzählenden Assistenten. 

    Den Förderpreis erhielt die 23-jährige Informatikstudentin Kathrin Thenausen aus München für ihre Erzählstudie. Was sagt der Blick in die eigene Vergangenheit und was braucht es, um sagen zu können: Schön war sie, die Kindheit? „Stadtgeflüster“ zeigt, wie Kinder die Geschichten der Eltern und Großeltern aufsaugen, lernen, ihre Lasten weiter zu tragen. Im Plot nähern sich ein Mädchen und ein Junge einander an, beide unterversorgt mit Zuwendung. Eine zarte, kindliche Freundschaft entsteht, bis sie zum Geburtstag von ihm schließlich statt Liebe ein Messer geschenkt bekommt. Die Autorin gewann bereits den Bundeswettbewerb junger Autoren, Poetry Slams und einen zweiten Platz beim österreichischen Zeilen-Lauf-Wettbewerb. In ihrer kurzen Videobotschaft spricht eine ernsthafte, reflektierte Autorin, von der noch zu hören sein wird, und die zurecht die Teilnahme an der Meisterklasse Literatur der Schwabenakademie in Irsee gewinnt. 

    Eine feierliche Preisverleihung, sympathisch moderiert und mit dem Akkordeonisten Michael Hegele von der Band „Scheineilig“ musikalisch passend umrahmt. „Literatur made in Schwaben“, lobte Bezirkstagspräsident Martin Sailer in seiner Ansprache. Klingt gut. Aus Schwaben jedoch kam heuer keiner der Gewinner. Die müssen – wie es die Teilnahmebedingungen fordern – „Bezüge zum schwäbisch-alemannischen Kulturraum“ haben. Und davon ist der Bezirk Schwaben nur ein kleiner Teil, er reicht bis tief nach Baden-Württemberg, in die Schweiz und Österreich. Egal, PR und Literatur dürfen alles. Schön wäre noch gewesen, es hätte weniger Pause mit Sekt und Selters, dafür mehr Raum für die Autorinnen gegeben. Doch dafür gibt es ja die im Buchhandel erhältliche Anthologie mit den preisgekrönten und weiteren Werken des Wettbewerbs. 

    Gestern morgen. Literaturpreis des Bezirks Schwaben 2023. Wißner Verlag, 183 S., 14,80 €.

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