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Weshalb die musikalische Moderne ohne Arnold Schönberg nicht zu denken ist.

Jubiläum

Zum 150. Geburtstag des Komponisten: Lieben Sie Schönberg?

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    Taktgeber für den Aufbruch der Musik in die Moderne: Arnold Schönberg.
    Taktgeber für den Aufbruch der Musik in die Moderne: Arnold Schönberg. Foto: dpa (Archivbild)

    Lieben Sie Schönberg, Arnold Schönberg? Nicht wenige Anhänger selbst anspruchsvollster und ernsthaftester Musik dürften bei dieser Frage müde lächeln – weil sie das Wort „Liebe“ in einem Atemzug mit den atonalen und zwölftönigen Kompositionen des vor 150 Jahren, am 13. September 1874, geborenen Wieners als abwegig, dreist, satirisch empfinden. Sogar die umfangreichste, Abertausende von Seiten umfassende deutsche Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ konstatiert trocken: „Ginge es alleine um die Publikumsgunst, die sich an der Zahl der Konzertveranstaltungen und Zuhörer ablesen lässt, ginge es also um Quoten, so wären im Blick auf Schönberg wenige Worte zu verlieren.“

    Gleichwohl widmet diese Enzyklopädie dem heutigen Jubilar ein kleines Buch im Buch. Worum also, Frage, geht es bei Schönberg entscheidend, wenn schon nicht um Quoten? Es geht um einen Komponisten, der – ob man nun will oder nicht – aufgrund seiner Werke und anhand seines pädagogischen Eros einen ungeheuren Einfluss auf den Fortgang der Musikgeschichte genommen hat. Und es geht um einen klugen, nicht nur musikalisch erfindungsreichen Kopf, der genau das tat, was von jedem tonangebenden (oder vorbildlich bildenden) Künstler zu erwarten ist: nämlich etwas Neues, etwas ganz Eigenes zu schaffen.

    Irgendwann begann Schönberg, sich eigene Regeln zu entwerfen

    Genau dies gelang Schönberg – und zwar aus der Tradition heraus. Die Antwort auf die Frage „Lieben Sie Schönberg?“ dürfte von annäherungsweise 95 Prozent konzentriert lauschender Hörerschaft mit „Ja“ beantwortet werden, wenn es allein um seine spätromantischen Kompositionen wie etwa die aufrauschenden „Gurre-Lieder“ oder auch die „Verklärte Nacht“ gehen würde. Erst in der Folge schlug Schönberg einen neuen Weg ein und tat letztlich das, was Richard Wagner jedem Musiker für eine gelungene Komposition schon in den „Meistersingern“ empfiehlt. Stolzing, im Willen, ein Lied zu entwerfen, fragt dort: „Wie fang ich nach der Regel an?“ Und Hans Sachs, der Handwerker, antwortet: „Du stellst sie selbst und folgst ihr dann.“

    Die ersten Regeln, die Schönberg sich um 1906/1907 mit freiem Geist selbst gab, lauteten verkürzt: Es entstehe eine Musik ohne tonales Zentrum; die Dissonanz emanzipiere sich gegenüber der Konsonanz bis zur Gleichwertigkeit; Akkorde müssen nicht terzgeschichtet sein; keine periodischen Wiederholungen. Damit freilich wurde es weit schwieriger, Schönberg liebend nachzupfeifen. Und doch: Wer unvoreingenommen die Kammersinfonie op. 9 oder das Streichquartett op. 10 hört, der entdeckt exakt auf der Demarkationslinie zwischen Spätromantik und „befreiter Tonalität“ so etwas wie ein „vertrautes Neuland“. In beiden Stücken schrieb Schönberg Musik über Musik. (Übrigens war ihm und seinen Schülern durchaus auch bedauernd bewusst, dass Expedition, Revolution und Bruch das Bekannte, Vertraute hinter sich lassen – speziell hinsichtlich eines musikalischen Zusammenhangs.) 

    Schönberg wollte der deutschen Musik die Vorherrschaft sichern

    Der zweite folgenreiche Schritt Schönbergs aber geschah dann 1920/1921, als er seine „Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ entwarf. Nun war die Zwölftontechnik geboren; nun kamen Ordnung und System in die Atonalität, wenn auch keineswegs dogmatisch. Doch im Prinzip galt: kein Ton einer Stimm-Linie wiederhole sich, bevor nicht die anderen elf chromatischen Töne auch erklungen sind. Schönberg glaubte, etwas gefunden zu haben, „das der deutschen Musik die Vorherherrschaft für die nächsten hundert Jahre“ sichere. In der Tat erschuf er epochale Werke wie seine unvollendete Oper „Moses und Aron“ (1932) mit dieser Methode. Doch dann übernahmen die Nationalsozialisten die Herrschaft in Deutschland; der Jude Schönberg, der sich 1898 hatte protestantisch taufen lassen, kehrte 1933 in Paris – mit Marc Chagall als Zeugen – zum mosaischen Glauben zurück, nachdem er aus Deutschland geflohen war. Sein Schüler Rudolf Kolisch hatte ihm zuvor aus dem Ausland doppeldeutig warnend empfohlen: „dringend Luftveränderung“.

    Vorbei war es mit Schönbergs Einsatz für jedwede Art anspruchsvoller Musik, wechselnd zwischen Wien und Berlin. Er emigrierte in die USA. Vorbei war es mit seiner jahrzehntelangen öffentlichen musikalischen Vermittlungsarbeit (von der Tonkünstler-Vereinigung bis hin zu Rundfunk-Beiträgen), vorbei war es mit seiner akademischen Lehrtätigkeit, nachdem zu seinen Schülern unter anderem Alban Berg, Anton Webern, Hanns Eisler gezählt hatten. Vorbei war es in deutsch-österreichischen Musiklanden überhaupt mit dem Gebrauch seiner kompositorischen Lehrwerke. Ja, Arnold Schönberg sah sich lebenslang in hoher pädagogischer Selbstverpflichtung – auch noch in den USA, wo er mit Strawinsky, der temporär seine Zwölftontechnik aufgriff, das Schicksal eines zunächst tantiemelosen Tonschöpfers und eines erfolglosen Filmkomponisten teilen musste. Und wo er mit Thomas Mann aneinander geriet, weil der – bei diabolischem Zusammenhang – in seinem Roman „Doktor Faustus“ die Zwölftontechnik Schönbergs thematisierte, ohne zunächst dessen Schöpfer ehrend beim Namen zu nennen.

    Zunehmend wurde Schönbergs Methode kritisch betrachtet

    Als dann aber der Krieg vorbei war und Schönberg nur noch sechs Jahre zu leben hatte, konnte er noch miterleben, wie jüngere Komponisten an seine Zwölftontechnik anknüpften, nun unter dem Oberbegriff der „seriellen Musik“, die die Zwölfer-Reihenform von der Stimmlinie auch u. a. auf Tondauer und Tondynamik übertrug. Oliver Messiaen praktizierte es, dann der heuer 100-jährige Luigi Nono, dessen Hochzeit mit Tochter Nuria der Vater Schönberg nicht mehr miterlebte. Er hätte sich darüber gewiss mehr gefreut als über die Tatsache, dass die serielle Musik zunehmend kritisch betrachtet wurde. Bis hin zu dem heuer gestorbenen Wolfgang Rihm, der erklärte: „Komponieren nach System ist der Beweis schöpferischer Impotenz.“ So weit können ästhetische Schulen auseinanderliegen.

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