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Weltumwelttag: Klimawandel bis 2050: "Deutschland wird ein anderes Land sein"

Weltumwelttag

Klimawandel bis 2050: "Deutschland wird ein anderes Land sein"

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    Die Trockenheit und die milden Winter werden für die Landwirtschaft nicht nur im Osten der Republik ein Problem.
    Die Trockenheit und die milden Winter werden für die Landwirtschaft nicht nur im Osten der Republik ein Problem. Foto: dpa

    Bevor wir zum Konkreten kommen: Wie haben Sie das überhaupt gemacht? Wie lässt sich einigermaßen verlässlich sagen, was in 30 Jahren sein wird?

    Nick Reimer: Die Klimamodellierung funktioniert wie die Wettervorhersage: Die Welt wird in kleine Quader eingeteilt, und dann werden Luftmassen, Wolken und Temperaturen in den nächsten Quader verschoben und wieder in den nächsten, und es wird berechnet, was passiert: Regnen die Wolken ab, weil sie an einem Gebirge aufsteigen müssen? Kühlt sich die Temperatur ab, weil die Luftmasse über dem kühleren Meer wandert? Die Wettervorhersage ist heute so gut, dass zu mehr als 90 Prozent auch eintrifft, was für übermorgen prognostiziert wird. Die Modelle sind also geeignet, die Realität zu beschreiben. Die Klimavorhersage funktioniert genauso – und mit mehr Unbekannten. Eine wichtige ist beispielsweise die Frage, ob die Menschheit vernünftig wird und sofort starken Klimaschutz betreibt oder ob es mit den Emissionen einfach immer so weitergeht. Wir haben uns beim Deutschen Wetterdienst einmal angesehen, wie die Experten vorgehen: Der Großrechner in Offenbach ist so groß wie eine Kantine. Im Ergebnis interessant ist, dass Deutschland Mitte des Jahrhunderts zwei Grad wärmer sein wird verglichen mit der vorindustriellen Zeit. Das Klima ist ein träges System, wir haben die Entwicklung bis Mitte des Jahrhunderts bereits angeschoben.

    Toralf Staud: Wie gut die Klimamodelle funktionieren, sieht man, wenn die Experten zurückrechnen, etwa wenn sie das Klima Anfang des Jahrhunderts simulieren. Da gab es ja Messwerte – und siehe, die Simulation kommt nahe an diese Messwerte ran!

    Die Autoren des Buches "Deutschland 2050": Nick Reimer (rechts) und Toralf Staud.
    Die Autoren des Buches "Deutschland 2050": Nick Reimer (rechts) und Toralf Staud. Foto: Joachim Gern

    So wissenschaftlich das sein mag – unpolitisch über das Klima sprechen kann man spätestens in diesem Jahr, wo es auch ein bestimmendes Wahlkampfthema sein wird, eigentlich gar nicht mehr. Kürzlich hat das Verfassungsgericht die Bundesregierung zu weitergehenden Plänen gedrängt. Reicht das? Oder ist Ihr Buch auch als Alarm zu verstehen, dass wir dringend noch viel mehr tun müssen?

    Toralf Staud: Nein, wir haben das Buch ganz bewusst nüchtern und sachlich geschrieben – Alarmismus liegt uns fern. Wir beschreiben halt, was auf der Basis gut gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse vor uns liegt: Deutschland wird ein heißeres Land, ein Land mit mehr Dürren, und es wird ein unsichereres Land. Wir beschreiben in mehr als einem Dutzend Kapiteln, was die Folgen sind – etwa für die Wälder und die Landwirtschaft, aber auch für Städte, die Wirtschaft, die Verkehrsnetze, die Energieversorgung. Nicht zuletzt unser aller Gesundheit. Die Folgen bei 1,5 bis 2 Grad mittlerer Erwärmung werden schwerwiegend, aber vermutlich noch beherrschbar. Wenn man verhindern will, dass es noch schlimmer wird – dass zumindest noch etwas Sicherheit und Stabilität in Deutschland gesichert bleibt –, dann muss jetzt tatsächlich mit viel stärkerem Klimaschutz begonnen werden.

    Bislang nur eine Bildmontage: Aber ohne teure Schutzmaßnahmen wird nicht nur Hamburg unbewohnbar werden.
    Bislang nur eine Bildmontage: Aber ohne teure Schutzmaßnahmen wird nicht nur Hamburg unbewohnbar werden. Foto: adobe.stock

    Das wird teuer werden, oder? Und die Gefahr gesellschaftlicher und eben auch politischer Verwerfungen könnte beträchtlich steigen …

    Nick Reimer: Das Gegenteil ist richtig! Wenn wir heute nichts tun, wird es teuer, wenn wir heute nichts tun, werden die gesellschaftlichen Verwerfungen beträchtlich. Ein Beispiel: Der Eisschild auf Grönland ist 3300 Meter hoch. Jeder, der in die Berge wandern geht, packt sich einen Pullover ein – oben ist es kühler als unten. Wenn der Grönland-Eispanzer oben anfängt zu tauen, dann schmilzt er in immer wärmere Schichten nach unten, man kann das nicht mehr aufhalten. Wir entscheiden dieser Tage, ob der Prozess in Gang gesetzt wird. Ist dieser Eisschild geschmolzen, werden die Meere sieben Meter höher stehen als heute. Emden, Bremen, Hamburg, Rostock werden dann nicht mehr bewohnbar sein. Wissenschaftler haben deshalb vorgeschlagen, die Nordsee einzudeichen, 637 Kilometer Sperranlagen müssten gebaut werden, zwischen Norwegen und Schottland, zwischen England und Frankreich, um Küstenstädte zu retten. Das wird mindestens 550 Milliarden Euro kosten. Die Debatte, ob sinnvoll ist, so viel auszugeben, um Emden zu retten, die wird die gesellschaftlichen Verwerfungen illustrieren.

    Sie schreiben: „Deutschland wird ein anderes Land sein.“ Was heißt das im Allgemeinen? Müssen wir uns auf mehr Extreme gefasst machen, größere regionale Unterschiede, ein Ende des flächendeckend und berechenbar gemäßigten Klimas? Werden wir zu einer anderen Gesellschaft?

    Nick Reimer: Genau, wir werden mehr Wetterextreme haben – und damit auch größere Gefahren. Was das für eine sicherheitsfixierte Gesellschaft wie die deutsche bedeutet, weiß heute niemand.

    Hitzetage über 40 Grad werden deutlich zunehmen, vor allem in den Städte, die darauf nicht ausgerichtet sind.
    Hitzetage über 40 Grad werden deutlich zunehmen, vor allem in den Städte, die darauf nicht ausgerichtet sind. Foto: dpa-Archiv

    Konkret: Was kommt auf uns zu?

    Nick Reimer: Wie gesagt, im Durchschnitt wird sich Deutschland schon bis 2050 um rund zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau erwärmen. Das mag wenig klingen – aber hinter dieser Durchschnittszahl verbergen sich viel mildere Winter. Klar, darüber kann man sich freuen, aber viele Ackerkulturen in der Landwirtschaft sind auf einen Kältereiz angewiesen – wenn der ausbleibt, gibt es schlechtere Ernten. Vor allem aber werden die Sommer heißer. Und was das bedeutet, haben wir seit dem Jahr 2000 schon mehrfach erlebt, mit langen Hitzewellen und Temperaturen über 40 Grad. Für viele Menschen ist das quälend, für manche tödlich. In einem Extremsommer wie 2018 gibt es in Deutschland viele tausend Hitzetote – die aber kaum auffallen, weil es ja keinen Krankheitserreger gibt, den man per PCR-Test nachweisen kann. Und das, was heute ein Extremsommer ist, wird um 2050 ganz normal sein. Wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht, werden Ende des Jahrhunderts diese heißen Sommer sogar schon als eher kühl gelten.

    Was bedeutet das für das Leben in den Städten, die ja ohnehin immer schon Hitzeräume sind?

    Nick Reimer: Der Mensch ist eine Wärmemaschine, während dieses Interviews produzieren ich und Sie Wärme, selbst wenn wir nur nachdenken. Diese Wärme muss abgegeben werden; steigt die Außentemperatur aber auf mehr als 37 Grad, ist das nicht mehr möglich. In Süddeutschland waren im Zeitraum 1971 bis 2000 durchschnittlich nicht einmal 30 Tage wärmer als 25 Grad. Mitte des Jahrhunderts wird das an 80 Tagen so sein. Das Thermometer wird nicht nur häufiger steigen, sondern auch bis zu 45 Grad. Die Zahl der tropischen Nächte nimmt bis auf 20 zu – Nächte, an denen die Umgebung nicht mehr unter 20 Grad Celsius abkühlt. Für solche Hitze sind unsere Städte nicht gebaut: Anders als in Südeuropa haben wir große Fenster, wenig Schatten, anderen Anstrich. München wird 2050 ein Klima wie Mailand besitzen, Köln wie San Marino, in Berlin wird es dann sein wie heute in Toulouse.

    Die Zukunft des Waldes in Deutschland? "Traurig"

    Und beim Wasser? Dürren gab es ja zuletzt häufiger, vor allem im Osten…

    Toralf Staud: Viele Regionen Deutschlands gehen jetzt schon ins vierte Dürrejahr – nicht nur im Osten. Nach den teils ergiebigen Regenfällen der vergangenen Monate mag man die vorherigen Trockenjahre vergessen haben – aber der Boden vergisst nicht. Auch wenn die oberen Zentimeter gut durchgefeuchtet sind, herrscht in den Schichten bis 1,80 Tiefe vielerorts noch immer krasser Wassermangel. Der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung erlaubt einen Blick in die tieferen Bodenschichten. Wenn man dort auf die Website geht, dann sieht man aktuell vor allem im Osten noch immer weite Gebiete in tiefroter Warnfarbe – aber zum Beispiel auch Gegenden in Mittelfranken, Oberfranken und der Oberpfalz. Das kann vor allem für die Wälder dramatisch sein, weil Bäume ihr Wasser oft aus tiefen Bodenschichten ziehen.

    Das wird auch eine andere Landwirtschaft erfordern, oder?

    Toralf Staud: Ja, natürlich. Beim künftig heißeren und trockenen Klima bekommen viele traditionelle Ackerkulturen große Probleme, zum Beispiel der Winterweizen. Er braucht im Herbst bereits Feuchte, damit die Saat aufgeht, die dann auf den Feldern überwintert. Aber gerade im Herbst wird es künftig viel trockener sein – viele Regionen Deutschlands werden deshalb für den Anbau von Winterweizen nicht mehr geeignet sein. Genaue Berechnungen dazu wird das Umweltbundesamt Mitte Juni in einem großen Bericht zur Klimaverwundbarkeit Deutschlands vorlegen. Die Bauern werden natürlich versuchen, mit stärkerer Beregnung dagegenzuhalten – in Nordrhein-Westfalen wird laut Studien langfristig eine zwanzigfache Zunahme des Wasserbedarfs erwartet. Dafür gibt es aber gar nicht genug Grundwasser! Wir haben für unser Buch Pflanzenforscher interviewt, und die sagen ganz klar, dass Hirse oder Soja oder Kichererbsen in Teilen Deutschlands eine große Zukunft haben.

    Schädlinge wie der Borkenkäfer wird immer leichteres Spiel in den Wäldern haben - diese werden ausdünnen.
    Schädlinge wie der Borkenkäfer wird immer leichteres Spiel in den Wäldern haben - diese werden ausdünnen. Foto: dpa-Archiv

    Sie hatten vorhin Folgen für den Wald in Deutschland angesprochen. Was ist da zu erwarten, wie sieht dessen Zukunft Ihrem Szenario zufolge aus?

    Toralf Staud: Traurig. Viele Standorte, an denen in der Vergangenheit Fichte, Kiefer, Eiche oder Buche gediehen, werden in den nächsten Jahrzehnten zu trocken werden. Dann haben Schädlinge wie der Borkenkäfer leichtes Spiel, von dem im heißeren Klima der Zukunft pro Jahr viel mehr Generationen schlüpfen können. Wir werden wohl in einigen Jahrzehnten Landstriche ohne alte Bäume haben. Klar, irgendetwas wird immer wachsen. Aber, sagten uns Experten, den gewohnten dichten, produktiven Wald wird es vielerorts nicht mehr geben. Für Brandenburg sehen Wissenschaftler, so wörtlich, „einen Trend zur Steppe“.

    Viele Millionen Flüchtlinge werden sich auf den Weg zu uns machen

    Und zum Schluss noch der Blick über Deutschland hinaus. In beträchtlichen Teilen der Welt werden 2050 die Probleme aller Voraussicht nach viel größer sein, oder?

    Nick Reimer: In der Tat, es gibt heute bereits dramatische Hotspots! Lima zum Beispiel, die Hauptstadt Perus, liegt mitten in der Wüste, dort ist es noch trockener als in der Sahara. Die mehr als zehn Millionen Menschen können dort nur leben, weil die Andengletscher Trinkwasser liefern. Prognosen zufolge könnten diese Gletscher aber in den 2030er Jahren verschwunden sein. Neben dem Trinkwasser wird extreme Hitze zum Problem: Heute leben nur wenige Menschen in Gebieten, in denen es regelmäßig so heiß wird, dass es für den Durchschnittsmenschen lebensgefährlich ist. Im Jahr 2030 werden es aber schon 300 Millionen sein, die mit dieser Hitze zurechtkommen müssen, Mitte des Jahrhunderts eine Milliarde. Es ist völlig klar, dass viele dieser Menschen versuchen werden, in gemäßigtere Gefilde zu fliehen – beispielsweise nach Mitteleuropa zu uns!

    Und was entgegnen Sie Menschen, die sagen, Deutschland allein könne die Welt sowieso nicht retten, besonders klimabewusstes Handeln helfe also einerseits nicht wirklich, bringe uns andererseits aber viel zu viele Nachteile?

    Toralf Staud: Es stimmt, Deutschland ist lediglich für zwei Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich – das aber mit nur rund einem Prozent der Bevölkerung. Wir müssen also eindeutig runter mit den Emissionen. Andere Länder sind da übrigens längst weiter, die deutsche Wirtschaft droht, beim Zukunftsmarkt Klimaschutz längst abgehängt zu werden.

    Nick Reimer: Seit Jahren versuchen uns die fossilen Lobbyisten einzureden, dass Klimaschutz Nachteile bringt. Wir empfehlen deshalb sehr die Lektüre unseres Buches: der Beweis, dass nur Nichthandeln Nachteile bringt!

    Das Buch und die Autoren

    Die Journalisten Nick Reimer, 54, und Toralf Staud, 49, wurden im Jahr 2012 für die Online-Plattform klimaluegendetektor.de ausgezeichnet. Reimer gründete 1989 die Umweltzeitung „Ökostroika“ noch in der DDR mit, Staud schreibt heute unter anderem für das Wissenschaftsportal klimafakten.de. Ihr Buch „Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ (384 S., 18 Euro) ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

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