Nach der Documenta 15 im vergangenen Jahre sollte alles besser werden. Vermieden werden sollte zum Beispiel, dass es nochmals zu einem Antisemitismus-Skandal kommt. Die Verantwortlichen wollten aufarbeiten, wie es dazu kommen konnte und daraus ihre Lehren ziehen. Mittlerweile befindet sich die Suche nach der neuen künstlerischen Leitung in einer entscheidenden Phase. Ende 2023, Anfang 2024 sollte bekannt gegeben werden, wer für die Documenta 16 im Jahr 2027 künstlerisch verantwortlich ist. Nun treten zwei Mitglieder der Kommission zurück und neue Antisemitismusvorwürfe stehen im Raum.
Dem indischen Schriftsteller und Kurator Ranjit Hoskoté, der Mitglied der sechsköpfigen Findungskommission ist, ist eine Nähe zur Israel-Boykott-Bewegung BDS vorgeworfen worden. Hoskoté habe im August 2019 ein Schreiben von BDS India unterzeichnet, wie die Süddeutsche Zeitung zuerst berichtete. In dem Schreiben wird Zionismus als „rassistische Ideologie“ bezeichnet, die einen „Siedler-kolonialistischen Apartheidstaat“ fordere. In der Praxis habe er zur „ethnischen Säuberung“ von Palästinensern in den vergangenen sieben Jahrzehnten geführt.
Der Vorwurf traf die Documenta-Geschäftsführung unerwartet
Die Documenta-Geschäftsführung traf dieser Vorwurf unerwartet. Alle Mitgliedern der Findungskommission hätten vor Aufnahme der Arbeit sich „von der BDS-Bewegung explizit distanziert“, so Geschäftsführer Andreas Hoffmann in einer Stellungnahme. In Gesprächen habe Hoskoté gegenüber der Documenta-Geschäftsführung ausgeführt, dass er sich mit der Unterzeichnung der Erklärung 2019 gegen den Hindu-Extremismus gestellt habe und die Ziele der BDS-Bewegung nicht unterstütze. Er sei darüber hinaus um Stellungnahme gebeten worden. Dabei habe „die Erwartung einer unmissverständlichen Distanzierung von seiner Unterschrift beziehungsweise den antisemitischen Inhalten des Statements“ bestanden. Hierauf sei am Sonntag das Schreiben Hoskotés gefolgt, mit dem er seinen Rücktritt aus der Findungskommission für die Documenta 16 erklärte.
Anders verhält es sich bei dem Rückzug von Bracha Lichtenberg Ettinger. Sie begründete ihren Rücktritt am vergangenen Freitag laut der Documenta mit der aktuellen Situation im Nahen Osten. Sie habe dabei betont, dass ihr Schritt in keinem Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um Hoskoté stehe, hieß es. „Sie rekurriert dagegen auf die Schwierigkeiten, die es ihr bereitet, nach dem 7. Oktober 2023 und dem Beginn des Hamas-Terrors in Israel einen Beitrag zu der Arbeit der Findungskommission zu leisten.“
Für die israelische Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger ist die Kunstwelt zerbrochen
Die israelische Künstlerin habe vor diesem Hintergrund um eine Unterbrechung des Findungsprozesses gebeten, die zum damaligen Zeitpunkt „mit Blick auf den sehr weit fortgeschrittenen Findungsprozess“ nicht umgesetzt worden sei, hieß es. In ihrem Brief an die Geschäftsführung an die Documenta, in dem sie ihre Gründe für den Rückzug erklärt, heißt es: „Die Kunstwelt, wie wir sie uns vorgestellt haben, ist zusammengebrochen und zersplittert. Unschuldige Zivilisten litten und starben, und mein Herz weint um jeden Toten auf allen Seiten. Jedes Leben ist kostbar.“ Und sie fragt, was die Kunst „in unseren dunklen Zeiten“ bringen könne?
Die ursprünglich sechsköpfige Findungskommission soll bis Ende 2023 oder Anfang 2024 einen Kurator, eine Kuratorin oder ein Kollektiv für die kommende Ausgabe der Documenta im Jahr 2027 vorschlagen. Was die Rücktritte für den weiteren Prozess des Gremiums bezüglich Zeitplan und Zusammensetzung bedeute, werde derzeit intensiv erörtert, hieß es.
Die Documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst
Bereits die „documenta fifteen“ war von einem Antisemitismus-Eklat überschattet worden. Die Schau gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. Die 16. Ausgabe der Documenta soll vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfinden.
„Die aktuellen Entwicklungen rund um die Findungskommission der Documenta 16 zeigen einmal mehr, wie lang der Weg zu einer konsequenten Aufarbeitung der Documenta 15 noch ist“, erklärte der Geschäftsführer der Documenta gGmbH, Andreas Hoffmann. Es bedürfe einer konsequenten Distanzierung von jeglicher Form von Antisemitismus. „Die Ereignisse des Sommer 2022 dürfen sich nicht wiederholen. Nur so kann nach den Geschehnissen der Documenta 15 ein echter Neuanfang gelingen.“ (mit dpa)