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Zukunft: "Grenzen des Wachstums": Ist der Mensch nun vernunftbegabt?

Zukunft

"Grenzen des Wachstums": Ist der Mensch nun vernunftbegabt?

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    Das Cover von „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“: In der Titelillustration schien die Möglichkeit einer Wiedergeburt der Welt angedeutet.
    Das Cover von „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“: In der Titelillustration schien die Möglichkeit einer Wiedergeburt der Welt angedeutet. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Das Endspiel ist eigentlich längst eröffnet. Januar 1972: Es treten jene beiden Geisteskräfte des Menschen, die ihn in der Natur als eine Ausnahmeerscheinung kennzeichnen, wie selten hervor. Da ist seine Verstandeskraft, die ihn zum Wissenschaftler und Ingenieur des Fortschritts befähigt: Nun hatten Forscher des Massachusetts Institut of Technology durch Computersimulationen und Modellierungen errechnet, wie die Welt der Zukunft aussehen würde. Und da ist die Vernunft, die ihn befähigt, über eigene und gegenwärtige Interessen hinaus in universeller Verantwortung zu handeln: Daran appellierte nach Auswertung jener Studie eine fächer- und länderübergreifende Vereinigung aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, der Club of Rome, im Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Ein Alarm „zur Lage der Menschheit“.

    Genau 50 Jahre und einige Modellierungen später kann angesichts technischer und wissenschaftlicher Weiterentwicklungen die Verstandeskraft des Menschen kaum bezweifelt werden – seine Vernunft aber umso mehr. Zum Jubiläum des Club of Rome jedenfalls resümierte dessen ehemaliger Co-Vorsitzender Ernst Ulrich von Weizsäcker: „In diesen letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, hat sich der Konsum mehr als verzehnfacht, haben sich die ökologischen Bedingungen der Welt dramatisch verschlechtert.“

    Die Hoffnung hat sich bisher nicht bestätigt

    Die wissenschaftliche Bilanz ist sehr gut, das errechnete Szenario wurde im Wesentlichen bestätigt. Damit aber ist die Vernunftbilanz verheerend. Mit den Worten des Verlegers Ernst Klett von damals: „Das große Versprechen des Club of Rome ist, dass Wissenschaft, Technik und Wirtschaft keine Schicksalsmächte sind.“ Der erhoffte Effekt, dass die Vernunft deren eigengesetzliches Fortschreiten aufs Sinnhafte hin regulieren könnte, dass sich die beiden Geisteskräfte zum Wohl der Menschheit verbünden könnten, statt als Kontrahenten zu erscheinen – diese Hoffnung hat sich bislang alles andere als bestätigt.

    Was zur Frage führt: Gibt es diese zweite Geisteskraft überhaupt? Oder ist der Mensch höchstens fähig zu strategischer Intelligenz, wie sich etwa im Fall der Atombombe und des Kalten Krieges zeigte: den Untergang im erweiterten Eigeninteresse durch strategische Erwägungen verhindern, durch herstell- und verrechenbare Gleichgewichte gegenseitiger Bedrohung. Was im Umgang mit der Natur aber unmöglich ist. Diese Krise verlangt per se nach einer universellen Perspektive.

    Wir sind lediglich begabt für die Vernunft

    „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ So heißt es in einer Formulierung von Kants Kategorischem Imperativ. Wobei der Philosoph den Menschen ja nicht etwa im Besitz der Vernunft, sondern ihn lediglich dazu begabt sah. Aber welche Anzeichen gibt es im weiter Gestalt annehmenden Endspiel, dass diese Begabtheit auch im Handeln verwirklicht wird?

    Es ist ein doppeltes Problem auf zwei Ebenen. Da braucht es keinen Kant. Man stelle sich je nach Alter sein Kind oder Enkelkind in der Zukunft vor, das angesichts der eskalierten Klimalage mit fatalen Folgen bis Wirtschaftliche und Soziale uns persönlich fragt: Warum habt ihr nichts getan? Und Greta Thunberg überträgt das ins Allgemeine, gerichtet an die Regierenden der Welt. Welche anderen handelnden Instanzen sollte die Vernunft haben, um sich durchzusetzen als jeden Einzelnen und die politischen Repräsentanten in den Vereinten Nationen.

    Der Umweltökonom Dennis Meadows gilt als einer der wichtigsten Kämpfer für globale Gerechtigkeit.
    Der Umweltökonom Dennis Meadows gilt als einer der wichtigsten Kämpfer für globale Gerechtigkeit. Foto: Axel Heimken, dpa

    Die Probleme auf beiden Ebenen nun: Zum einen die Unzulänglichkeit der eigenen Möglichkeiten - denn was hätten wir schon bewirken können? Als Einzelne in der Masse – oder auch als Deutschland angesichts der Macht und der Effekte etwa Chinas. Dabei lehrt das Bild vom Blick in die Augen des eigenen Nachwuchses, wie essenziell es für das übrigens auch bei Kant leitende „moralische Gefühl“ ist, selbst sagen zu können: Ich habe alles getan, was ich konnte. Zum zweiten, was sich auch in der Corona-Krise abzeichnet: Der Forderung nach Vernunft wird der Boden entzogen durch die Mittel des Verstandes. Selbst wo Wissenschaft und Forschung in noch so großer Mehrheit Handlungsbedarf signalisieren, gilt der Anspruch auf den eigenen (freien!) Standpunkt, notfalls gestützt auf „Alternativfakten“.

    In der Klimafrage etwa kursieren derzeit durch die letzten Ausbrüche aktualisierte Meldungen in breit geteilten Facebook-Posts: Ein aktiver Vulkan verursache „mehr Klimaschäden als die ganze Menschheit in zehn Jahren“. Und immerhin gibt es (Stand 10. Januar 2022) weltweit 27 aktive Vulkane – ist der Klimawandel also weder menschengemacht, noch durch den Menschen aufzuhalten? Dabei zeigen Studien, ob von der US-Erdbebenwarte USGS oder anderen: 260 bis 360 Millionen Tonnen CO2 stoßen die Vulkane der Erde im Jahr aus – durch Verbrennung von Kohle, Öl und Gas durch den Menschen waren es laut „Global Carbon Project“ 2020 hingegen 34 Milliarden Tonnen (der Mineralölkonzern BP errechnet rund 32 Milliarden). Das ist grob das Hundertfache der Vulkane. Selbst der Anteil Deutschlands mit gut 600 Millionen Tonnen CO2 war demnach ungefähr doppelt so hoch … Nur mal zum Beispiel. Aber: Sich gegen die Einigkeit von inzwischen 99 Prozent der globalen Klimaforschung (parallel zur Virologie) zu stellen, scheint mitunter einfacher als der eigenen Verantwortung, der Vernunft.

    Wo ist die Instanz der Verantwortung?

    Man glotze dazu gerne aktuell die so alberne wie bitterhellsichtige Filmsatire „Don’t look up!“. Darin wird durch die (wissenschaftliche) Verstandeskraft des Menschen frühzeitig erfasst, dass ein verheerender Meteorit direkt auf die Erde zurast – nicht wenige Menschen und auch populistische Politik sieht aber schlicht nicht hin, selbst als das Verhängnis sich bereits am Himmel abzeichnet. In den Untergang aber führt in dieser Fiktion erst, dass die Rettung, die eine verantwortliche Politik samt Forschung trotzdem rechtzeitig bringen könnte, durch wirtschaftliche Interessen sabotiert wird. Auch in Wirklichkeit also: Wo ist die Instanz der Verantwortung?

    Bei den alten Griechen, oft ja als Erfinder der Demokratie gefeiert, galt prominent (siehe Platon) in großen Gemeinschaften der Philosophenkönig als beste Regierungsform, ganz im Sinne der Vernunft. In der heute individualistisch ausgeprägten Demokratie aber sorgen bereits staatliche Verordnungen zum Gesundheits- oder Klimaschutz für Diktatur-Vorwürfe. Die moderne, kapitalistische Gesellschaft wiederum fußt weitestgehend auf dem Prinzip: Die (sich quasi durch eine unsichtbare Hand selbst regulierenden) Märkte, die ja auch Arbeit und Versorgung der Menschen gewährleisten, sind es, wo sich Zukunft entscheidet. Die Politik regt den Wandel höchstens über Anreize an, er muss quasi auch gekauft werden. Die Vernunft wird zum Qualitätslabel des Konsums – damit die Märkte zum Ort und die Konsumenten zum Medium der Vernunft werden?

    Nicht mehr Herr im eigenen Haus

    Das ist also die eine Wette im Endspiel um die Zukunft, die die Menschheit eingegangen ist: dass sich Vernunftbegabtheit allmählich als moralisches Gefühl an der Ladentheke des Kapitalismus durchsetzt. Auf (möglichst noch rechtzeitigen) Erfolg kann diese Wette allein durch eine zweite hoffen, dass sich gleichzeitig das Verhältnis im vor 50 Jahren aufgetretenen Doppel der Geisteskräfte umkehrt: dass der Verstand des Ingenieurs im Dienst der Vernunft triumphiert. Aktuell etwa wird neben der Umstellung auf erneuerbare Energien und dem technischen Ringen um Rohstoff-Effizienz über das Schießen von Mikrospiegeln in die Atmosphäre diskutiert, um Teile der erderhitzenden Sonneneinstrahlung direkt ins All zurück zu reflektieren …

    Fortschritt und Konsum also sollen die Zukunft retten – und damit die beiden Dynamiken, die wesentlich die Krise entfacht haben. Ob das, begleitet von regelmäßigen Absichtserklärungen bei Weltklimakonferenzen, 50 Jahre nach dem Erscheinen von „Die Grenzen des Wachstums“, von Vernunftbegabung zeugt? Vielmehr vielleicht davon, dass der Mensch mit den Mitteln seiner Dominanz über die Erde seine nächste, ultimative Demütigung durch die Natur zu verhindern versucht. Er steht seit Kopernikus nicht mehr im Zentrum des Universums, er stammt seit Darwin vom Affen ab, er ist seit Freud nicht mehr Herr im eigenen Haus, vom Un- und Unterbewussten gesteuert: Und wird nun sehenden Auges zum Verheerer seiner eigenen Lebensgrundlagen, bei aller Denkfähigkeit zum letztlich gegen jede Vernunft von seinen Konsumlüsten in den Untergang getriebenen Tor.

    Zum 50-Jährigen ließ der Club of Rome mit neuesten Daten erneut Simulationen der Zukunft durchrechnen. Ergebnis: Nur in einem von vier Szenarien trat ein Kollaps nicht ein. Bereits 1972 lauteten Forderungen unter anderem: (freiwillige!) Begrenzung des Wirtschaftswachstums vor allem in den Industriestaaten, mehr Bildung in den ärmeren Regionen und gerechtere Verteilung des Vermögens. Denn auch das gehört – mal abgesehen von Verheerungen, für die Extreme der Armut und des Reichtums sonst sorgen – zur Rationalität des Menschen: In Bildung und Wohlstand pflanzt er sich weniger fort.

    Bloß wer soll diese auf den Fortbestand der Menschheit zielenden Gebote der Vernunft umsetzen? Im Wohlstandsland Deutschland etwa kursiert in reaktionären Kreisen, angelehnt an den Spruch „Chantal, heul leise“ aus dem Film „Fack ju Göhte“ ein Bonmot: „Heul leiser, Greta.“ Quasi: Fack ju, Kant!

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