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Warum Rocklegenden wie Jethro Tull und die Rolling Stones auch heute noch begeistern

Rockmusik

Jethro Tull, die Stones und andere mehr: Ihre Musik altert richtig gut

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    Als Rock-Opa nach wie vor bei der Arbeit: Ian Anderson, Kopf von Jethro Tull.
    Als Rock-Opa nach wie vor bei der Arbeit: Ian Anderson, Kopf von Jethro Tull. Foto: Will Ireland

    Es ist, als würde man in einen Raum aus früheren Zeiten zurückkehren. Nichts hat sich verändert, die Gardinen, der Tisch, die Anordnung der Stühle, die Bilder an der Wand. Alles noch da. Klar, ein bisschen Staub angesetzt, aber nicht der Rede wert. Und mit einem Mal kommen die Erinnerungen zurück; an die Pubertät, die Jahre der Unverwundbarkeit, die ersten Rockpartys, an Sonnenaufgänge nach durchzechten Nächten, an Claudia und bestimmte Songs.

    „Curious Ruminant“ (InsideOutMusic/Sony) lautet die selbstironische Zeitreise, zu der Jethro Tull gerade wieder einlädt. Die Übersetzung sagt mehr als tausend Worte: Neugierige Wiederkäuer. Sind wir das nicht alle? Menschen, die erwartungsvoll, mitunter auch ängstlich in die Zukunft blicken, die sich in der Krise bereitwillig aufs Altbewährte zurückziehen, weil es ihnen eine Sicherheit zurückgibt, die in Wahrheit längst verschwunden ist. Da ist diese Flöte, bei der sofort ein ums Lagerfeuer rumpelstilzender Kobold auf Speed vor dem geistigen Auge auftaucht, dieses Melodiengestrüpp aus dornigen, mittelalterlichen Weisen und saturiertem Progrock, dieses barocke Piano-Intro und natürlich Ian Anderson, der dank der Errungenschaften von Tontechnik und Medizin mit beinahe 78 noch fast genauso klingt wie auf „Thick As A Brick“.

    Die Baby-Boomer seufzen wehmütig bei dieser Musik

    Alles mehr als ein halbes Jahrhundert her. Aber Jethro Tull, diese nach einem englischen Agrarwissenschaftler aus dem 17. Jahrhundert benannte Band, gibt es immer noch. Ihr unsterbliches Motto haben sie vor über 50 Jahren in ihrem „Living In The Past“ hinterlegt. Und die Generation der Baby-Boomer seufzt wehmütig bei den aktuellen Geschichten von Songs wie „Puppet And The Puppet Master“, „Dunsinane Hill“ oder „Savannah Of Paddington Green“ auf, als hätte sie ihre verlorene Jugend wiedergefunden. Dabei kauzt Ian Anderson neun Stücke lang über die moderne Welt – weil er sie nicht mag. Vor allem „Over Jerusalem“ ist eine schallende Ohrfeige für zwei Seiten, die partout nicht verzeihen wollen.

    Anderson und Jethro Tull sind keineswegs eine singuläre Erscheinung. Eine bemerkenswerte Armada an Bands aus der goldenen Ära des Rockʼnʼ Roll – so sie denn mit Glück die üblichen, selbstzerstörerischen Drogen- und Alkoholexzesse früherer Jahre heil überstanden haben – geht noch heute ihrem immer noch goldenen Handwerk nach. Während das Gros ihrer Altersgenossen den Lebensabend in Pflege verbringt, schleppen sie sich noch regelmäßig auf Bühnen oder in Studios und finden weiterhin überraschend großen Zuspruch. Eric Clapton ist gerade 80 geworden, Angus Young, der Boss von AC/DC, turnt als frischgebackener 70-jähriger unermüdlich in Pennäler-Uniform vor 80.000 Leuten im Duck-Walk herum. Die Rolling Stones (Gründungsjahr 1962) sorgten 2023 im fortgeschrittenen Greisenalter mit „Hackney Diamonds“ für eine der musikalischen Knalleffekte des Jahres, während die 1969 gegründete Südstaaten-Combo Little Feat Anfang Mai mit „Strike Up The Band“ nach 13 Jahren Pause ihr 41. Album veröffentlichen will und die Doobie Brothers (1969) im Juni mit „Walk This Road“ ihren 32. Longplayer an den Start schicken.

    Die Lords aus Deutschland gibt es länger als die Rolling Stones

    Nur ein kleiner Auszug aus der Liste der Unkaputtbaren: U 2 (seit 1976), Journey (1973), die Eagles (1971), Queen (1970), das Electric Light Orchestra (1970), Aerosmith (1970), Uriah Heep (1969), Sweet (1968), Deep Purple (1968), Steppenwolf (1967), Fleetwood Mac (1967), Chicago (1967), Jefferson Starship (1965), The Who (1965), Status Quo (1962), The Beach Boys (1961). Bis in die 1950er Jahre reicht das Geburtsdatum der deutschen Lords (1959) oder der Ventures (1958) zurück. Natürlich haben fast alle ehedem tragende Säulen verloren, schaukeln aber mit gezielten Blutauffrischungen als Rock- und Pop-Zombies weiter munter durch die Lande. Und ein Ende scheint nicht in Sicht. Warum auch?

    Denn die Alten sind die letzten Überlebenden einer besseren, einer friedlicheren, einer sorgenfreieren Zeit. Sie locken quer durch die Generationen noch Zehntausende in Stadien oder Hallen. Und sie verkaufen sogar noch physische Tonträger, ganz im Gegensatz zu den Jungen, die ihr Publikum nahezu ausschließlich über Streamingdienste abholen. Auch sonst hat sich das musikalische Konsumverhalten gewandelt. Weil nach Metallica (gegründet 1981), Bon Jovi (1983), den Red Hot Chilli Peppers (1983), Guns NʼRoses (1985) und Nirvana (1987) die goldene Ära der großen Rock- und Pop-Dinos endete, haben Newcomer allenfalls als Solokünstler eine Überlebenschance. Für die Plattenlabels scheinen die vorhersehbaren bandinternen Streitigkeiten unter vier, fünf Egos finanziell kaum mehr kalkulierbar, eine langfristige Vermarktungsstrategie so gut wie unmöglich. Selbst bei Boy-Groups blieb am Schluss häufig das am besten vermarktbare Mitglied übrig. Nicht nur Robby Williams weiß längst: Geteiltes Geld ist weniger Geld.

    Die Klassiker des Rock kann man ja sampeln

    Dabei war früher beileibe nicht alles besser, sondern schlicht und einfach eine Frage des Talents. Vor 50 Jahren musste man definitiv noch singen oder Gitarre spielen können, um Karriere machen zu können. Heute kann im Prinzip jeder selbsternannte Influencer dank einer pfiffigen Programmierung Klicks über Spotify oder Apple Music generieren. Längst geht es bei den aktuellen Künstlerinnen und Künstlern vor allem um den Aufbau eines Images via Social Media. Die Musik spielt dabei allenfalls eine begleitende Rolle. Und wenn es mal wieder eine zündende Idee braucht, dann kann man ja bei den Klassikern stibitzen oder sie am besten gleich sampeln. Musik ist schließlich für den Augenblick gedacht und nicht für die Ewigkeit.

    Ob bei solchen Rahmenbedingungen Taylor Swift in 30 Jahren noch auf einer Bühne stehen wird, scheint alles andere als sicher. An Geld dürfte es der dann 65-Jährigen kaum mangeln. Aber wer erinnert sich noch an ihre Songs?

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