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Warum der Osten Deutschlands anders bleibt: Mau's Analyse

Ost-Wahlen

Die alte Parteien-Demokratie hat im Osten kaum eine Chance

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    West und Ost ticken auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung anders, wie nun der Soziologe Steffen Mau erklärt.
    West und Ost ticken auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung anders, wie nun der Soziologe Steffen Mau erklärt. Foto: Augsburger Allgemeine

    Bereits im vergangenen Herbst legte Steffen Mau, gemeinsam mit weiteren Autoren, weithin beachtet die „Triggerpunkte“ hinter sozialen Spaltungen frei und wurde medial zum wohl gefragtesten Gesellschafts-Erklärer. Nun hat der Berliner Professor für Makrosoziologie kurz vor den Landtagswahlen erneut ein Buch der Stunde geschrieben, das erklären will, „warum der Osten anders bleibt“.

    Dass der Osten anders bleibt, ist zunächst als ein Aufruf gemeint, den Osten endlich ernst zu nehmen. Auch nach all den Jahren begreife man Westdeutschland noch immer lagerübergreifend als die Norm, von der aus man auf den abweichenden Osten schaut. Das zeige sich auch in einer moralisch geführten Debatte über den Osten, die in Schuldzuweisungen entlang eines starren Ostwestschemas verharre. Mau geht es aber nicht nur um eine aktuelle Debatte, sondern um einen anhaltenden blinden Fleck, dessen unheilvolle Konsequenzen seit der Wiedervereinigung er aufzeigen will. Immer wieder wurde die Andersheit des Ostens von einer Angleichungs- und Nachahmungserzählung überdeckt und überlagert, die weit über das Ziel gleicher Lebensverhältnisse hinaus auch auf politische und kulturelle Themen ausgriff.

    Steffen Mau enthüllt: Die bleibende Andersartigkeit Ostdeutschlands

    Ein Sensorium für die Unterschiede fehlte, wie Mau aufzeigt, schon beim Beitritt zur Bundesrepublik im März 1990. Der Osten fügte sich in ein „ready-made“ politisches System ein, das zudem keinen Platz vorsah für die keimhaften direktdemokratischen Beteiligungsstrukturen des Herbst 1989. Das nun auf den Osten übertragene Beteiligungs-Modell der Bundesrepublik, das von mitgliederstarken Parteien und zivilgesellschaftlichen Institutionen zehrt, habe dort – entgegen allen Angleichungshoffnungen – nie richtig Fuß fassen können. Mau deutet die Wiedervereinigung daher aus ostdeutscher Perspektive als faktische „Selbstentmächtigung“, die, wie Mau schreibt, in bedeutenden Teilen der Bevölkerung auf „Gefühle der Verohnmächtigung“ einzahlen musste.

    Derartige unterschwellige emotionale Verletzungen sind vor allem deswegen wichtig für Mau, weil er dadurch die plötzliche Drift von politischen Einstellungen und Stimmungen in einigen Bevölkerungsgruppen im vergangenen Jahrzehnt erklären will. So würden ein „Grundgefühl des Hinnehmen-Müssens“ oder eine allgemeine Veränderungsmüdigkeit „nicht selten in Ressentiment und eine skeptische Haltung gegenüber staatlichen Institutionen, Politik und Medien“ umschlagen. Insbesondere, weil politische „Polarisierungsunternehmer“ diese Emotionen mittlerweile geschickt auszuschlachten verstünden.

    Steffen Maus Debattenbeitrag wurde erneut zum Bestseller
    Steffen Maus Debattenbeitrag wurde erneut zum Bestseller Foto: Suhrkamp Verlag

    Mau zufolge haben Ohnmachtsgefühle und Ressentiments auch mit einem mangelnden Begriff der politisch-kulturellen Andersheit zu tun. Das zeigt sich für ihn nicht zuletzt in einer bisweilen kaum erfolgreichen DDR-Erinnerungskultur, die „die DDR nicht verharmlosen, die aber auch in den Alltagsdeutungen bestehen können“. In der Folge arbeite sich die ostdeutsche Gesellschaft stärker am tatsächlichen oder vermeintlichen Westen ab als an der eigenen Vergangenheit. All das erschwert, so kann man Mau verstehen, eine Bearbeitung der emotionalen Last der DDR- und Wendejahre zusätzlich, weil der Anteil eigener Verantwortung nur schwer ausgemacht und angenommen werden kann.

    Laut Steffen Mau ist ein AfD-Verbot nur eine Schein-Lösung

    Dass „der Osten anders bleibt“, ist zwar sicher nicht nur, aber doch auch eine eindringliche Warnung. Über weite Strecken versucht das Buch „Ungleich vereint“ seinen Leserinnen und Lesern vieldiskutierte Lösungen – von AfD-Verbot und Brandmauer über politische Bildung und „besser Zuhören“ – als Schein-Lösungen aufzudecken. Dass der Osten anders bleibt, heißt für Mau mit Blick auf rechtspopulistische Erfolge auch, dass viele Züge längst abgefahren sind.

    Am schwersten wiegt hier wohl, dass Mau eine Wiederbelebung der Parteiendemokratie alter Form im Osten für unwahrscheinlich hält, auch weil sich die Parteienlandschaft bereits nach den Landtagswahlen seiner Einschätzung nach weiter verkeilen und blockieren dürfte. Zur politischen Aktivierung einer „stillen Mitte“ im Osten, die bei den Anti-AfD-Protesten zum Vorschein gekommen sei, solle daher der Osten zum „Labor der Partizipation“ umgebaut werden, in dem direktdemokratische Formen der Beteiligung die Institutionen der parlamentarischen Demokratie zwar nicht ersetzen, aber doch wesentlich ergänzen sollen. Dabei hat er nicht Volksentscheide im Sinn, sondern solche politischen Formen, die statt auf bloße Willensäußerung erst auf die politische Willensbildung abzielen. In nach Zufallsprinzip zusammengesetzten Bürgerräten könnte, so Mau, am ehesten das eingeübt werden, „was im Großen oft diskursiv nicht gelingt“, die Übersetzung partikularer Interessen in einen allgemeinen politischen Willen.

    Ein solches „Labor der Partizipation“ könnte nicht nur Gefühle des Außenvorseins abschwächen, sondern hätte auch den Charme, dass es einen demokratiehistorischen Eigensinn des Ostens ernst nähme, von dem auch der Westen profitieren könnte.

    Steffen Mau: Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt. Suhrkamp. 168 Seiten, 18 Euro.

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