Es ist zwei Jahre her, da saßen rund achtzig Musikerinnen und Musiker des Kyiv Symphony Orchestras auf der Open-Air-Bühne im Hofwiesenpark im thüringischen Gera. Die Gruppe spielte zu einem besonderen Anlass: Die Ukraine feierte ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte das Land damals bereits mit Krieg überzogen, die Musikerinnen und Musiker flüchteten und wurden in Gera willkommen geheißen. „Das ist das erste Mal, dass wir wieder ein Zuhause gefunden haben“, zeigte sich Chefdirigent Luigi Gaggero vor dem Konzert noch zuversichtlich.
Zwei Jahre später jedoch haben die Musiker ihrem neuen Zuhause aus den Rücken gekehrt, dafür soll es finanzielle und atmosphärische Gründe gegeben haben. Von Gaggero trennte man sich in Unfrieden, es scheint, als habe eine ostdeutsche Stadt wieder alle Vorurteile erfüllt: Ausländerfeindlichkeit gepaart mit Russlandliebe. Doch was ist wirklich geschehen?
Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt setzte sich persönlich für das ukrainische Orchester ein
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt könnte es wissen. Sie hatte sich nach Ausbruch des Krieges persönlich für das Orchester eingesetzt und es gemeinsam mit der damaligen Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund (beide Grüne) nach Gera vermittelt. „Ich bin dankbar für die Gastfreundschaft und das zupackende Engagement des damaligen Oberbürgermeisters Julian Vonarb“, sagt Göring-Eckardt. Viel mehr will sie zu dem Fall nicht sagen.
Vonarb ist seit wenigen Wochen nicht mehr Bürgermeister. Innerhalb weniger Tage sei die Unterbringung der 120 Männer und Frauen organisiert worden, blickt er zurück. „Es ging uns allen darum, Menschen zu helfen.“ Wohnraum wurde schnell gefunden. In Gera stehen viele Wohnungen leer, die zu DDR-Zeiten für die Kumpel der nahegelegenen Uranbergwerke gebaut wurden. In der Plattenbausiedlung Gera-Lusan und in anderen Randgebieten der Stadt sind heute mehrere Tausend Ukrainer untergebracht.
Ukrainerin in Gera: „Die Musik erfüllt mich mit Stolz für mein Heimatland“
Vonarb erinnert sich gerne an das erste große Konzert im Hofwiesenpark. 1.500 Geraer und geflohene Ukrainer seien damals zusammengekommen. „Man hat gespürt, wie emotional der Abend für die Musiker und das Publikum war.“ Das Orchester spielte Stücke von zwei der wichtigsten ukrainischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Myroslaw Skoryk und Lewko Mykolajowytsch Rewuzkyj. Dazu Beethovens Zwölf Contretänze. Die Botschaft war eindeutig. Musik verbindet die Völker. Und: Die Ukraine ist ein eigenständiges Land hat und hat eine eigene Kultur, ist kein Anhängsel Russlands.
Eine Handvoll Konzerte spielten die Profi-Musiker aus Kiew seitdem in Gera. Besucht waren sie stets gut, sagt Olena Chernetska, die im Frühjahr 2022 aus der Ukraine nach Gera geflohen war. Die junge Frau lernt Deutsch im Café Global in Gera, ein Angebot von Flüchtlingshelfer Franz Beutel und einigen Ehrenamtlern aus Gera. Sie beugt sich über einen kleinen Tisch und liest mit einem schüchternen Lächeln und in gebrochenem Deutsch von einem Stück Papier ab, was sie zum Kiewer Orchester sagen möchte. Ihre musizierenden Landsleute hätten sie sehr berührt, sagt sie beispielsweise. Sie sei im Exil mit Stolz für ihr Heimatland erfüllt gewesen.
Orchestermitglieder sah Chernetska nie in einem der Deutschhilfe-Kurse. Proben konnten die Musikerinnen und Musiker in der Tonhalle, einer Art Mehrzweck-Konzerthaus in der Geraer Innenstadt. Der Geschäftsführer des Orchesters, Oleksandr Zaitsev, sagt, von dort aus verbreiteten sie „ukrainische Musik als Teil der breiteren europäischen Musiktradition“. Hört man dem Manager zu, ist das nach der Ankunft in Thüringen geglückt. „Fast zwei Jahre lang hatten wir keine Schwierigkeiten, mit den Menschen in Gera zu kommunizieren.“ Geändert habe sich die Lage erst Anfang des Jahres.
Ukrainische Musiker bekamen Probleme mit den deutschen Behörden
Der Wegzug des Orchesters hatte mehrere Gründe, viele der Beteiligten sprechen übereinstimmend von zunehmende Geldprobleme bei den Musikern. Sie bezogen Bürgergeld, so wie für Geflüchtete aus der Ukraine üblich, und mussten demnach Zusatzverdienste aus Gagen ihrer europaweiten Konzerte mit dem Jobcenter verrechnen. Dabei gab es offenbar Schwierigkeiten, noch heute laufen in Gera Verfahren wegen der angeblichen Angabe falscher Arbeitszeiten. Mit den Behörden habe es gehäuft Probleme gegeben, sagt Flüchtlingshelfer Beutel, „vor allem in der Kommunikation“.
Orchestermanager Zaitsev bedauert die Anschuldigungen und bringt sie mit der Kommunalwahl in Gera im Mai und Juni in Verbindung. Journalisten hätten „den Ruf des Orchesters [...] beschädigen“ wollen, behauptet er. In Thüringen sind die Pro-Putin-Parteien AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht stark. Die Veröffentlichungen der finanziellen Schwierigkeiten hätten die öffentliche Meinung in Gera beeinflusst. Von fremdenfeindlichen Angriffen ist die Rede, Zaitsev beschränkt sich auf eine nüchterne Aussage: „Die Haltung der Einwohner und der lokalen Behörden gegenüber den Musikern des Orchesters hat sich spürbar abgekühlt.“
Kyiv Symphony Orchestra hofft auf friedlichen Neuanfang in Monheim am Rhein
Neben dem Chefdirigenten Gaggero verließen auch einige der Musiker das Ensemble in den vergangenen Monaten. Die Übriggebliebenen sind in Monheim am Rhein, einer finanzstärkeren Kleinstadt zwischen Düsseldorf und Köln, untergekommen. Eine neue musikalische Leitung gibt es bisher nicht. Auf drei Jahre sind sie befristet bei den stadteigenen Kulturwerken angestellt.
Orchestersprecher Zaitsev freut sich auf den Neuanfang und verspricht, dass sich das Orchester in seiner neuen Heimat am Rhein mit deutscher Kultur auseinandersetzen will: „Wir haben bereits mit der Stadtverwaltung vereinbart, dass die Orchestermitglieder nach dem Umzug nach Monheim neben der Proben- und Konzerttätigkeit aktiv Deutsch lernen, um sich schneller zu integrieren.“
Am diesjährigen ukrainischen Unabhängigkeitstag spielt das Kyiv Symphony Orchestra auf einem Musikfestival in Schleswig-Holstein. Auf dem Programm steht wieder Komponist Rewuzkyj. Das Orchester hält an seinem Motto fest: Musik verbindet Völker. Einzig geht Gera, geht der Osten Deutschlands, bei diesem Kulturaustausch in Zukunft wieder einmal leer aus.
Kein Wunder, dass das Engagement für das Orchester nicht lange gutgehen konnte. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Sendung in der ARD vom 22.03.2024 hinweisen. In der Anmoderation heißt es wörtlich:" Seit Jahren schon setzt sich durch die Straßen der Kleinstadt jeden Montag ein Tross aus Rechtsradikalen und Mitläufern in Gang. Angeführt von einem, der uns bei unseren Recherchen immer wieder begegnet: Christian Klar, ein bekannter Neonazi, der vom Umsturz träumt. Unsere Recherchen zeigen: Er kann sich auf die Unterstützung der stärksten Partei in der Stadt verlassen: die AfD." Man kann sich also gut vorstellen, was Kulturschaffenden in Thüringen blüht, wenn die AfD dort das Sagen bekommt. ICh glaube nicht, dass sich die, die hier das Fähnchen für die AFD hochhalten, das wirklich vorstellen können. Nichtwissen oder Nichtwissen wollen? Ich hoffe jedenfalls, das das Kyiv Symphony Orchestra in Monheim am Rhein eine Heimat ohne "athmosphärische Störungen" finden wird.
Sorry, ich habe mich verschrieben, die ARD-Sendung war am 22.02.2024.
..........und mussten demnach Zusatzverdienste aus Gagen ihrer europaweiten Konzerte mit dem Jobcenter verrechnen. Dabei gab es offenbar Schwierigkeiten, noch heute laufen in Gera Verfahren wegen der angeblichen Angabe falscher Arbeitszeiten. . . .......das nennt man dann wohl Sozialbetrug!!
Wenn man jemand nicht (mehr) haben will, findet an immer Mittel und Wege, wenn man am richtigen Hebel sitzt. Und "angeblich" ist kein Sozialbetrug, sondern ein Verdacht, der sich ausräumen lässt.
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