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Volker Kutscher beendet Gereon-Rath-Reihe mit dunklem Finale

Literatur

Es wird düster um Gereon Rath: Volker Kutscher vollendet seine Krimi-Reihe

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    In der Fernsehserie „Babylon Berlin“ spielt Volker Bruch den Titelhelden Gereon Rath. Nun erscheint das zehnte und letzte Buch der Romanserie.
    In der Fernsehserie „Babylon Berlin“ spielt Volker Bruch den Titelhelden Gereon Rath. Nun erscheint das zehnte und letzte Buch der Romanserie. Foto: Frederic Batier, dpa

    Deutschland 1938, es zerschlägt gerade die Tschechoslowakei. Doch der englische Premier Neville Chamberlain glaubt, den Krieg in Europa durch Entgegenkommen verhindern zu können. Er handelt mit anderen Staatschefs und Adolf Hitler das Münchner Abkommen aus. Alle Leserinnen und Leser von Volker Kutschers zehntem und letztem Buch des Krimi-Zyklus‘ um Gereon Rath wissen, dass Konrad Adenauer, der wieder im Roman vorkommt, recht hat, wenn er sagt, dass es ein schwaches Signal an die Nationalsozialisten war, dass es Krieg geben wird.

    In diesem letzten Band, der einfach nur „Rath“ heißt, wird es düster und ausweglos. Das wilde, ungezügelte Berlin der späten 1920er Jahre liegt eine Ewigkeit zurück und kommt einem wie ein ferner Traum aus einer anderen Zeit und Welt vor. Die Nationalsozialisten haben den Staat und die Gesellschaft auf ganzer Linie unterworfen. Wer nicht mitmacht, wer anders denkt, lebt gefährlich. Für die Haft im Konzentrationslager reicht es, anonym denunziert zu werden. Die Folter dort führt früher oder später immer zu Geständnissen. Noch schlimmer geht es den Juden, ob sie nun religiös sind oder nicht. Die Hitlerjugend marschiert gleich zu Beginn des Romans auf einen Bolzplatz, um Spielern eines jüdischen Fußballvereins einzubläuen, was es für sie heißt, auf einem deutschen Sportplatz zu kicken. Dass sie dafür Miete zahlen, einen Vertrag haben, spielt da keine Rolle. Die Hitlerjugend argumentiert mit Zaunlatten. Ihre Botschaft soll einschüchtern, soll verletzen. Ermittelt wird danach allerdings nicht gegen die Hitlerjugend, sondern den jüdischen Fußballverein.

    Volker Kutschers zehnter Band „Rath“ spielt wieder ganz in Deutschland

    Alleiniger Handlungsort für den Abschlussband ist Deutschland. Gereon Rath ist gemeinsam mit seinem Bruder Severin Rath und dessen neuer Freundin Marion Goldstein aus den USA zurückgekehrt. Der Vater der Brüder, Engelbert Rath, ist schwer erkrankt, stirbt aber doch nicht gleich. Charlotte und Gereon führen eine Fernbeziehung, treffen sich einmal im Monat in Hannover unter falschem Namen. Nähe gibt es für beide nur noch in homöopathischen Dosen. Satt werden sie davon nicht. Charlotte Rath will mit Gereon das Land verlassen, er zögert es hinaus wegen seines Vaters. Als er so weit ist, kann sie nicht mehr. Ihr ehemaliger Pflegesohn Friedrich „Fritze“ Thormann befindet sich in Gefahr. Er ist wieder davongerannt von seiner Pflegefamilie, den Rademanns. Dann werden zwei Hitlerjungen, mit denen er im Clinch lag, umgebracht. Alles deutet darauf hin, dass Fritze die Morde begangen hat. Nur Charlotte Ritter, die immer noch in der Detektei Böhm ermittelt, glaubt an seine Unschuld und will diese beweisen.

    Volker Kutscher versammelt in „Rath“ noch einmal sein großes Figurenpersonal. Die Ermittler, die man schon kennengelernt hat, mit ihren unterschiedlichen Wegen: Reinhold Gräf, der SS-Obersturmführer, der jetzt im Reichskriminalamt arbeitet, Wilhelm Böhm mit seiner Detektei, Kriminalrat Ernst Gennat, Andreas Lange. Mittendrin versucht der einarmige SS-Offizier Sebastian Tornow, seine Rachepläne in die Tat umzusetzen. Er weiß, dass Gereon Rath noch lebt und er will ihn umbringen - lassen.

    Volker Kutscher transportiert mehr als nur Spannung und Krimihandlung

    Auf gut 620 Seiten bringt Volker Kutscher sein Mammutprojekt zu Ende, das 2008 mit dem Krimi „Der nasse Fisch“ begann. Dem Krimi-Genre bleibt Kutscher all die Bände über treu, es geht um Morde, um Ermittlungen. Doch jenseits der Genre-Spannung transportiert Kutscher in dem Zyklus noch mehr: Mit Gereon Rath und Charlotte Ritter, später dann Rath, schaut man anders auf die Zeit. Beide Romanfiguren wissen eben nicht, wie alles enden wird. Anfang 1933 konnte man noch glauben, dass sich Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten ähnlich kurz an der Macht halten würden wie seine Vorgänger. Reichskanzler kamen und gingen in der Spätphase der Weimarer Republik.

    Im zehnten Band „Rath“ zeigt Kutscher noch einmal das Nebeneinander der verschiedenen Polizeibehörden – und dass bei der SS mit Sicherheitsdienst und Gestapo die Polizeimacht zusammenlief, dass dort entschieden wurde, wer was ermittelte und was nicht. Im Abschlussband wird Kollaps des Rechtsstaats spürbar. Anstelle der Gerechtigkeit werden Ideologie und Staatsdoktrin als oberste Ziele hochgehalten. Wenn ein jüdisches Mädchen bei der Zwangssterilisierung stirbt, hat das für den behandelnden Arzt keine Folgen, nein ist gefährlich, überhaupt in diese Richtung zu ermitteln.

    Volker Kutscher, Krimiautor und Schriftsteller, in einem Café in Köln. Gerade ist der letzte Band seiner Reihe um den Kriminalkommissar Gereon Rath im Berlin der 1930-er Jahre erschienen.
    Volker Kutscher, Krimiautor und Schriftsteller, in einem Café in Köln. Gerade ist der letzte Band seiner Reihe um den Kriminalkommissar Gereon Rath im Berlin der 1930-er Jahre erschienen. Foto: Oliver Berg, dpa

    Anstelle staatlicher Rechtssprechung rückt die Selbstjustiz, in „Rath“ gleich mehrfach und von verschiedenen Seiten her zu beobachten. Gereon Rath nimmt die Rechtssprechung selbst in die Hand, Marion Goldstein sucht sich jemanden, der ihren Ex-Mann Abraham Goldstein rächen soll. Und die Polizeibehörden? Organisieren die erste große Deportation von Juden, die „Polenaktion“ im Oktober 1938. Damit erinnert Kutscher an das Schicksal der jüdischen Bevölkerung in Deutschland, die keinen deutschen, sondern einen polnischen Pass hatte. Polen wollte ihnen per Gesetz die Staatsbürgerschaft entziehen können, falls sie länger als fünf Jahre im Ausland gelebt haben. Woraufhin Nazi-Deutschland die Deportation vor Inkrafttreten des polnischen Gesetzes vorbereitete und auch ausführte. Friedrich Tormann sieht im Roman an der deutsch-polnischen Grenze die Menschen - ohne Hab und Gut gefangen im Grenzgebiet, im Niemandsland.

    Eine der ausgewiesenen Familien stammte aus Hannover, die Familie Grynszpan. Ihre Nachricht aus dem Grenzgebiet veranlasste Herschel Grynszpan in Paris dazu, ein Attentat auf den Botschaftssekretär Ernst vom Rath zu verüben. Dieses Attentat diente den Nationalsozialisten als Vorwand für die Novemberpogrome. Sie wiederum markieren den historischen Endpunkt des Romans. Die Synagogen brennen, Geschäfte werden geplündert, der Volkszorn gegenüber den Juden wird von den Nationalsozialisten brutal inszeniert. Zum Einsatz kommen statt Zaunlatten nun Eisenstangen. Während die SA prügelt, zerstört und auf offener Straße ermordet, verhaftet die SS 30.000 Juden im Land.

    „Rath“ ist das starke Finale von Kutschers Krimi-Buchreihe

    Der Romantitel „Rath“ verweist also nicht nur auf die beiden Hauptfiguren, sondern gleichzeitig auch auf den historischen Rahmen. Der Abschlussband ist ein starkes Finale der Serie, das offene Enden hinterlässt. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Lesen lohnt sich, das Hörbuch übrigens auch.

    Volker Kutscher: Rath; Piper Verlag, 624 Seiten, 26 Euro.

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