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Verschachtelt: „Hoffmanns Erzählungen“ bei den Salzburger Festspielen

Festspiel-Premiere

"Hoffmanns Erzählungen": Komm, wir drehen einen Künstlerfilm!

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    Hier sitzt der Künstler und kann nicht anders: Hoffmann (Benjamin Bernheim) als Regisseur seiner eigenen Erzählungen, links neben ihm Nicklausse (Kate Lindsey).
    Hier sitzt der Künstler und kann nicht anders: Hoffmann (Benjamin Bernheim) als Regisseur seiner eigenen Erzählungen, links neben ihm Nicklausse (Kate Lindsey). Foto: Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

    „Hoffmanns Erzählungen“, Jacques Offenbachs große, von ihm selbst nicht mehr ganz fertiggestellte Oper, besitzt eines der originellsten, aber auch kompliziertesten, weil stark verschachtelten Librettos der Gattungsgeschichte. Die Rahmenhandlung erzählt vom romantischen Dichter E.T.A. Hoffmann und seiner unglücklichen Liebe zu der Sängerin Stella. Wohingegen in drei Rückblicken sich Hoffmann jeweils einen Opern-Akt lang an Frauen-Begegnungen erinnert, die für ihn sämtlich desaströs endeten – weshalb er im Finale, nun wieder auf der Ebene des Rahmengeschehens, sich ausschließlich dem Schreiben als Sublimierung seines Liebesleidens zuwendet. Eine ganze Batterie von weiteren Figuren bevölkert obendrein dieses wundersame Opern-Panoptikum.

    Als wären „Les Contes d’Hoffmann“, wie der französische Originaltitel lautet, also nicht schon windungsreich genug, legt bei den Salzburger Festspielen die Regisseurin Mariame Clément noch eine Windung dazu. Dergestalt, dass in ihrer Lesart der Künstler Hoffmann kein Schriftsteller, sondern Filmemacher ist. Und somit die beiden retrospektiven Akte um die angebeteten Frauen Olympia beziehungsweise Antonia (nicht aber die Giulietta-Geschichte) als Film-Dreh konzipiert sind. Als Regisseur erarbeitet Hoffmann mit jeweils einer der Herzdamen jene „Erzählung“ von sich selbst, wie vom Libretto vorgegeben – zugleich aber tritt der Regisseurs-Hoffmann auf einer zusätzlichen Ebene in stets konfliktreichen Kontakt mit seinen Schauspielerinnen Olympia und Antonia, sobald diese aus der Film-Szene heraussteigen. Alles klar? Nicht unbedingt …

    Im Gewusel könnte man Hoffmann glatt verlieren

    Vor dem Hintergrund dieser mehrfachen perspektivischen Brechung entfacht Regisseurin Clément im Großen Festspielhaus ein Gewusel, in dem es auch „Hoffmann“-geübten Betrachtern schwerfällt, den Durchblick zu bewahren. Zu viele stumme Akteure kreuzen die Bahnen der Protagonisten, Scriptgirls hier und Best Boys dort, Equipment-Träger neben Kaffee-Beschaffern, was der Dreh eben so alles braucht. Gott sei Dank lassen Hoffmann und Co. immer wieder von sich hören, man könnte sie sonst glatt verlieren in all dem Trubel.

    Spot auf Olympia: Kathryn Lewek in einer ihrer vier Rollen.
    Spot auf Olympia: Kathryn Lewek in einer ihrer vier Rollen. Foto: Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

    Dennoch ist es nicht so, dass Mariame Cléments Inszenierung nicht ihre Qualitäten hätte. Vor allem der dritte, der Antonia-Akt macht plausibel, weshalb Hoffmanns Frauenbeziehungen scheitern. Nicht wegen dämonischer Einflüsse seitens des Finsterlings Dr. Miracle, sondern aufgrund von Hoffmanns selbstsüchtigem Verhalten, das ihn seine (Film-)Kunst über seine Gefühle zu angehimmelten Frauen wie eben Antonia stellen lässt. Es ist ein feministisch-erfrischender Blick, den Mariame Clément hier auf die männliche Kunst/Leben-Problematik wirft, fortgeführt auch in der finalen Entscheidung Stellas, weder dem gescheiterten Egomanen Hoffmann noch dem nicht weniger selbstbezogenen Bürgerspießer Lindorf zu folgen und lieber ihren eigenen Weg zu gehen. Umso erstaunlicher, dass der Regie im Epilog der Oper nichts weiter einfällt als die ungebrochene Apotheose des Künstlers: per aspera ad astra – das Liebesweh wird Hoffmann letztlich zur Kunst.

    Marc Minkowski dirigiert seine eigene Fassung

    Musikalische Grundlage der Salzburger Neuinszenierung ist die Fassung mit orchesterbegleiteten Rezitativen, allerdings in einer Bearbeitung durch Marc Minkowski. Manches hat der französische Dirigent aus seiner Aufführungspartitur verbannt, Anderes aus dem umfangreichen Notenlachlass mitaufgenommen. Durchaus Prominentes findet sich bei diesem Auswechslungsverfahren wie etwa Dapertuttos Arie „Scintille diamant“, für die ein anderes Bass-Bravourstück eingewechselt wird. Solches zeigt den peniblen Umgang des Alte-Musik-Spezialisten Minkowski mit den komplexen Fragen von Offenbachs letzter Partitur – umso erstaunlicher dann, dass Minkowski am Pult der Wiener Philharmoniker eine enttäuschende Vorstellung gibt. Kaum je findet der Dirigent zu einem dramatischen Bogen, vieles wirkt matt und zerstückt, von Esprit keine Spur. Aber auch das Orchester ist nicht auf gewohntem Niveau, wirkt unkonzentriert und folgt, wo Minkowski Tempodehnungen vorgibt, nur schleppend.

    Die Sängerin, die in Salzburg alle vier Partien der Hoffmann-Geliebten in Personalunion schultert, ist Kathryn Lewek. Die Mühelosigkeit, mit der sie die Koloraturen der Olympia in Stimm-Stratosphären wirft, ist geradezu artistisch. Dass sie auch anders kann, macht die Sopranistin im Falle von Antonia deutlich, wenn sie mit stimmlicher Wärme und Leuchtkraft den wechselnden emotionalen Zuständen der Figur eindringliches vokales Profil verleiht.

    Christian Van Horn oder die vielen Tönungen von Schwarz

    Mehrfachbelegungen gibt es in „Hoffmanns Erzählungen“ auch bei den Männern, vorneweg bei der diabolische Viererkette Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto. Der Bassbariton Christian Van Horn vermag den Dunkelmännern individuelle Akzente zu geben, sein Antonia umkreisender Doktor besitzt mephistophelische Schwärze, sein Lindorf hingegen ist soignierter, im Stimmuntergrund jedoch nicht weniger berechnend. Fürs keck-helle Gegengewicht sorgt Marc Mauillon als Andrès und dessen Ableger. Ein Glanzpunkt im Ensemble ist schließlich Kate Lindsey in der Doppelrolle von Muse und Nicklausse mit ihrem herrlichen Mezzo-Bronzeschimmer, aber auch durch ihre Aktionsfreude im Spiel.

    Hoffmann gehört zu den Paraderollen von Benjamin Bernheim, und das merkt man, so routinehaft sich der Tenor über weite Strecken durch die Inszenierung bewegt. Sängerisch spielt Bernheim natürlich alle seine Qualitäten aus, seinen Stimmschmelz, seine erlesene Mixtur aus Brust- und Kopfregister in hoher Lage, aber auch die Fähigkeit zu explosiver Attacke etwa in den Intervallsprüngen des Liedes von Klein-Zack. Die emotionalen Achterbahnfahrten Hoffmanns hätte man aber gerne mit überzeugender Beteiligung gespiegelt gesehen in Bernheims Bühnenauftritt. Applaus gab es für ihn dennoch uneingeschränkt, überhaupt Beifall für alle Beteiligten, mit Ausnahme des Produktionsteams um Mariame Clément, dem doch etliches Missfallen entgegenschlug.

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