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Ursula Poznanskis 'Scandor': Thriller über die Macht der Wahrheit

Buchbesprechung

„Scandor“ weiß, wer wann lügt

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    Die österreichische Schriftstellerin Ursula Poznanski hat ihren neuen Roman „Scandor“ präsentiert.
    Die österreichische Schriftstellerin Ursula Poznanski hat ihren neuen Roman „Scandor“ präsentiert. Foto: Gaby Gerster

    Da hat Ursula Poznanski mal wieder einen rausgehauen. „Scandor“ heißt das neueste Werk der mehrfach preisgekrönten Jugendbuchautorin aus Österreich und wie viele Vorgänger hallt auch dieses Buch lange nach. Allein die Vorstellung, die Geschichte darin könnte vielleicht eines Tages Realität werden, erzeugt ein Schaudern. Genau das ist es aber, was Poznanskis Büchern einen so raffinierten Thrill verleiht, dass man sie kaum mehr aus der Hand legen kann. Ihre Protagonisten lassen sich auf anfangs harmlos wirkende, visionäre Technologien und Gerätschaften ein. Doch je mehr die Maschine die Macht übernimmt, desto größer wird die Bedrohung für die Menschen. Besonders für diejenigen, die anfangs naiv glauben, der Technik überlegen zu sein oder ihr gar ein Schnippchen schlagen zu können.

    So auch in „Scandor“. Der gleichnamige, unfehlbare Lügendetektor der Firma VeriTech soll sich nämlich erstmals in einem großen Feldversuch bewähren. Dazu findet ein geheimer Wettbewerb statt, eine Challenge Royale, von dem sich das Unternehmen neueste Erkenntnisse rund um Lüge und Wahrheit erwartet. Handverlesen sind die 100 Kandidaten und Kandidatinnen, die teilnehmen dürfen. Weil er von seiner Studienkameradin Raffaela die codierte Münze, die zu einer Teilnahme berechtigt, geschenkt bekommt, macht auch Philipp mit. Dem jungen Mann schwant allerdings schon bei der Anmeldung, dass er sich da in ein gewaltiges Problem hineinmanövriert. Doch zum einen winken dem Sieger fünf Millionen Euro, zum anderen will er vor seinem heimlichen Schwarm Raffaela nicht als Lusche dastehen. Also nimmt Philipp teil.

    Philipp im Kampf gegen Scandor: Der Wettbewerb beginnt

    Die Regeln sind denkbar einfach. Ihm darf bis zum Ende des Wettbewerbs keine Lüge über die Lippen kommen. Mittels eingepflanzten Chip im Unterarm registriert Lügendetektor Scandor jede noch so minimale Schwindelei und eliminiert den Teilnehmer sofort, indem er ihm ein kaltes Signal durch den Körper schickt. Ein zwar freundliches, aber nicht ernst gemeintes „Nein“ auf die Frage „Störe ich?“ reicht da schon aus, um von Scandor aus dem Wettbewerb gekickt zu werden.

    Während fünf Mitbewerber nicht einmal die erste Stunde überstehen, schlägt sich Philipp wacker, ringt mit Blick auf seinen gruseligen Wetteinsatz Minute für Minute um Wahrheit und Lüge. Denn verliert Philipp, muss er sich dem schlimmsten stellen, was er sich vorstellen kann. In seinem Fall ist es das Tauchen, weil er seit jeher Angst vor Wasser hat. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin muss im Falle des Ausscheidens nämlich genau das tun, was er oder sie am meisten fürchtet. Auch das hat der unfehlbare Scandor vorher festgelegt.

    Das Leben ist kompliziert, wenn nicht einmal eine Notlüge erlaubt ist

    Für Tessa ist die furchtbarste Vorstellung ohne Zweifel ein Arbeitsverhältnis bei ihrem verhassten Onkel Henrik. Auch das unkonventionelle Mädchen mit den blauen Haaren nimmt am Wettbewerb teil, weil sie unbedingt Geld braucht, um ihre Familie von Henrik finanziell unabhängig zu machen. Sie klaut diesem deshalb die Teilnahme-Münze und meldet sich selbst an. Doch auch Tessa erlebt schnell, wie kompliziert das Leben ist, wenn nicht einmal mehr die kleinste Notlüge erlaubt ist. So verliert sie ihren Job in einer Bar, als sie den Gästen – von Scandor überwacht – sagen muss, was sie wirklich über sie denkt.

    Wie gut, dass Tessa irgendwann Philipp trifft. Zu ihm fühlt sie sich hingezogen. Sie spürt, dass er ihr, anders als alle anderen Mitbewerber, nichts Böses will. Gemeinsam unterstützen sie sich darin, die Challenge zu überstehen. Was anfangs gut klappt. Bis sie merken, dass jemand hinter den Kulissen zusätzliche Fäden zieht. Ein Unbekannter, der großes Interesse daran hat, eine Wahrheit ans Licht bringen will, die andere im Verborgenen halten wollen. Bald stecken Tessa und Philipp mittendrin in einem Lügengeflecht der Vergangenheit, das eng mit ihnen selbst verbunden ist.

    So schön die Vorstellung auch ist, immer bei der Wahrheit zu bleiben, Poznanski zeigt, wie problematisch eine rigorose Ehrlichkeit für die zwischenmenschlichen Beziehungen werden kann. Wie sehr gesellschaftlicher Konsens, Taktgefühl und Freundlichkeit auf den vielen, unbemerkten kleinen Lügen des Alltags basieren. Das falsche „Tut mir leid“, wenn man im Bus einer widerwärtigen Person auf die Füße tritt, oder das leicht dahingesagte „Ich habe keine Zeit“ bei der Absage eines unliebsamen Termins. Doch wann sind Lügen noch gerechtfertigt? Wann führen sie in eine Katastrophe? Poznanski beantwortet diese Fragen nicht, regt aber mit ihrem Buch an, über die Konsequenzen von Lüge und Wahrheit nachzudenken. Und liefert nebenbei wieder einmal großartig spannenden Lesestoff. Ganz ehrlich!

    Ursula Poznanski: Scandor, Loewe Verlag, 448 Seiten, 19,95 Euro

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