Einen Abgesang auf Mensch und Gott stimmt Elfriede Jelinek in ihrem neuesten Bühnenwerk "Asche" an. Das mit der Schöpfung, das mit der göttlichen Ordnung der Welt, das alles ging nicht richtig auf. Die Luft ist verbraucht, es lässt sich fast nicht mehr atmen, die fünf Elemente sind durcheinandergekommen. Die Götter oben sind sich auch nicht sicher, wer jetzt zuerst da war: erst die Menschen, dann die Götter, oder andersherum. Auf jeden Fall haben beide abgewirtschaftet, wissen nicht weiter, spüren, dass ein Neuanfang bevorsteht, alles wieder auf Anfang gesetzt wird. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass in der Welt nach dem Neustart wieder alles auf die alten Konstellationen zuläuft. An den Münchner Kammerspielen hat Regisseur Falk Richter den neuen Jelinek-Theatertext uraufgeführt.
Richter will nicht unterstreichen, er setzt in seiner Inszenierung einen Kontrapunkt. Liest sich Jelineks "Asche" wie ein grauer, dunkler Abgesang auf die Welt, hat sich bei ihm die Apokalypse in ein Bonbonpapier eingewickelt. Die versehrten Gestalten, die anfangs auf die Bühne kommen, schwimmen bald am schreibunten Plastik-Müll-Strand. Von da geht's im Bilderreigen weiter in eine Heim- und Klinikumswelt – die orangefarbene Bettwäsche signalisiert Rettung, aber wenn es hakt, gibt es doch nur Pille. Später treten in dem Bühnenzwitter die Göttlichen als Mischwesen auf: prächtige Mensch-Federvieh-Schimären, an denen man sich kaum sattsehen kann. Untergänge können auch überwältigend schön sein (Bühne Katrin Hoffmann, Kostüme Andy Besuch).
Die Kammerspiele lassen die Jelinek-Perlen funkeln
Feste Figuren und Rollen finden sich nicht, der Text mäandert im Ensemble (Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Thomas Schmauser, Ulrike Willenbacher) hin und her. Man meint, in Ulrike Willenbacher, später auch in der auf Alt geschminkten Katharina Bach, eine Bühnenwiedergängerin von Jelinek ausmachen zu können, vielleicht auch einfach nur die Erzählerin. Alle zusammen fassen den Text behutsam an, immer auf den Zusammenhang bedacht.
Und Jelinek-Perlen wie diese können einfach funkeln: "Die Welt hat mir, mit ihrem alten Kumpel Zeit, Wunden zugefügt und Schönheit weggenommen, obwohl ich mich bis zum Schluss an meinem Bild, das ich selbst gemalt habe, jeden Tag wieder, festgekrallt habe, zwei Tonnen Kosmetika sind nun zu entsorgen, machen Sie sich keine Sorgen, alles bio, wird folgenlos beerdigt, ich kaufe mir neue, und sie, die Zeit, die ein Reisekamerad ist, aber leider nicht meiner, ich bin nicht mit ihr im Bunde und sie nicht mit mir, hat meinen Geist wirklich beschränkt im Laufe der Jahre."
Die Videoeinblendungen spannen den großen Rahmen auf
All dem fügen Richter, Lion Bischof (Video) und Matthias Grübel (Musik) eine Flut von Bildern, Geräuschen und Musik hinzu, die alles noch einmal auf eine andere Ebene hebt. Holt Richter den Abgesang auf die Welt vorne mit dem Ensemble in allzu menschliche Bereiche, präsentiert er im Hintergrund via Videoeinblendung den großen Rahmen: etwa die Ruinen alter untergegangener Kulturen. Er stellt die Gewalt der Elemente auf den Kopf, lässt Wellen rückwärtslaufen, Vögel rückwärtsfliegen, führt Zerstörung, Krieg und Klimawandel vor. Zerstörung und Untergang in all ihren Schattierungen. Die Bilder wirken dabei, als ob sie von einer künstlichen Intelligenz geschaffen worden sind. Nicht ganz echt, erfunden. Und hat man für den Videosprecher alle Gesichter des Ensembles übereinandergelegt? Zum Schluss hin wird es eine Kunstinstallation, wenn die Beleuchtung wie eine Raumsonde auf einer neuen unverbrauchten, noch sandigen Erde landet. Ein Abend für ein Publikum, das Zwitterwesen mag. Applaus.
Die nächsten Termine am 30. April, 6., 8., 16. und 21. Mai.